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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Erde zeigen. Neiden Westmächten ist der Kampf ^in Kreta, die Gährung in
Thessalien und unter allen Südslawen die große Verlegenheit dieses Jahres,
und Rußlands Fortschritte sind kaum noch aufzuhalten. Auch Preußen hat an
der Frage ein Interesse der Ehre, denn der entschlossene Hohenzollern, welcher
sich in Rumänien auf eigene Hand durchgesetzt hat, ist ein deutscher Fürst, und
Preußen wird einen Sohn seines Herrcngeschlechts in der Stunde der Gefahr
die Hilfe nicht versagen, welche es gewähren kann, ohne seine deutschen Inter¬
essen gefährlich zu schädigen.

Wenn nicht alles trügt, so stehen wir vor einer großen Katastrophe im
Orient. Vielleicht ist es schon möglich, den Weg zu erkennen, auf dem sich in
der nächsten Zukunft die Auflösung der europäischen Türkcnherrschaft vollziehen
wird. Ueberall sind dort schwache Ansähe zu neuen Staaten vorhanden. Neben
Rumänien das politische Wesen der Serben, denen sich die Nasa in Bosnien
und der Herzegowina anzuschließen bereit sind, Griechenland mit dem Bestreben,
seine Grenzen nach Norden zu erweitern, auf den Inseln die Anfänge neu-
hellenischer Gemeinwesen, wie in Scunos auch in Kreta. Ueber die Lebensfähig¬
keit dieser schwachen und unfertigen Neubildungen abzuurtheilen, wäre vorschnell,
sie sämmtlich werden gehoben durch das Nationalitätsprincip, das herrschende
unserer Zeit. Wir sehen, wie schwer es auf altem Germanenboden und im
unteren Dvnauthal der östreichischen Regierung wird, die disparaten Völkcr-
trümmer, die seit der Wanderzeit dort angesiedelt sind, in einem Körper zu er¬
halten. Diese Erfahrung berechtigt zu dem Schluß, baß Rußland es nicht
Weniger schwer finden würde, die Länder im Süden der Weißen save und des
Balkan seinem großen Leibe zu vereinigen. Fast genau wie zur Hellcneuzcit
haben die Landschaften dort das Bestreben, sich in kleine politische Einheiten zu
sondern, und vielleicht würde ein föderatives Band, wie unkräftig es auch sei,
die sachgemäße Form sein, in welcher diese Staaten vorläufig neben einander
bestehen könnten.

Für den norddeutschen Bundesstaat ist die Ableitung der allgemeinen Sorge
nach dem Osten ein werthvoller Gewinn. Was in Deutschland geworden ist,
macht die Bundesgenossenschaft Preußens unentbehrlich bei der Entscheidung der
orientalischen Frage. In Frankreich aber hat sich der Groll gegen die Fort¬
schritte Preußens nur wenig gemindert. Kindisch sind die Denunciationen, welche
die Presse unserer Nachbarn im Westen über preußische Eroberungsplänc zu
Tage bringt. Preußische Generale sollen die Schweiz ausgekundschaftet haben,
Belgien soll noch immer von Preußen an Frankreich verrathen werden, Preußen
soll im Schilde führen, den Niederlanden das Schicksal Hannovers zu bereiten.
Dergleichen Geschwätz könnte uns wohl behagen, weil es immerhin beweist, wie
sehr die Erfolge unserer Waffen dem Auslande imponirt haben. Es ist aber
zugleich Symptom einer Gefahr, denn es verräth und unterhält eine stille


Erde zeigen. Neiden Westmächten ist der Kampf ^in Kreta, die Gährung in
Thessalien und unter allen Südslawen die große Verlegenheit dieses Jahres,
und Rußlands Fortschritte sind kaum noch aufzuhalten. Auch Preußen hat an
der Frage ein Interesse der Ehre, denn der entschlossene Hohenzollern, welcher
sich in Rumänien auf eigene Hand durchgesetzt hat, ist ein deutscher Fürst, und
Preußen wird einen Sohn seines Herrcngeschlechts in der Stunde der Gefahr
die Hilfe nicht versagen, welche es gewähren kann, ohne seine deutschen Inter¬
essen gefährlich zu schädigen.

Wenn nicht alles trügt, so stehen wir vor einer großen Katastrophe im
Orient. Vielleicht ist es schon möglich, den Weg zu erkennen, auf dem sich in
der nächsten Zukunft die Auflösung der europäischen Türkcnherrschaft vollziehen
wird. Ueberall sind dort schwache Ansähe zu neuen Staaten vorhanden. Neben
Rumänien das politische Wesen der Serben, denen sich die Nasa in Bosnien
und der Herzegowina anzuschließen bereit sind, Griechenland mit dem Bestreben,
seine Grenzen nach Norden zu erweitern, auf den Inseln die Anfänge neu-
hellenischer Gemeinwesen, wie in Scunos auch in Kreta. Ueber die Lebensfähig¬
keit dieser schwachen und unfertigen Neubildungen abzuurtheilen, wäre vorschnell,
sie sämmtlich werden gehoben durch das Nationalitätsprincip, das herrschende
unserer Zeit. Wir sehen, wie schwer es auf altem Germanenboden und im
unteren Dvnauthal der östreichischen Regierung wird, die disparaten Völkcr-
trümmer, die seit der Wanderzeit dort angesiedelt sind, in einem Körper zu er¬
halten. Diese Erfahrung berechtigt zu dem Schluß, baß Rußland es nicht
Weniger schwer finden würde, die Länder im Süden der Weißen save und des
Balkan seinem großen Leibe zu vereinigen. Fast genau wie zur Hellcneuzcit
haben die Landschaften dort das Bestreben, sich in kleine politische Einheiten zu
sondern, und vielleicht würde ein föderatives Band, wie unkräftig es auch sei,
die sachgemäße Form sein, in welcher diese Staaten vorläufig neben einander
bestehen könnten.

Für den norddeutschen Bundesstaat ist die Ableitung der allgemeinen Sorge
nach dem Osten ein werthvoller Gewinn. Was in Deutschland geworden ist,
macht die Bundesgenossenschaft Preußens unentbehrlich bei der Entscheidung der
orientalischen Frage. In Frankreich aber hat sich der Groll gegen die Fort¬
schritte Preußens nur wenig gemindert. Kindisch sind die Denunciationen, welche
die Presse unserer Nachbarn im Westen über preußische Eroberungsplänc zu
Tage bringt. Preußische Generale sollen die Schweiz ausgekundschaftet haben,
Belgien soll noch immer von Preußen an Frankreich verrathen werden, Preußen
soll im Schilde führen, den Niederlanden das Schicksal Hannovers zu bereiten.
Dergleichen Geschwätz könnte uns wohl behagen, weil es immerhin beweist, wie
sehr die Erfolge unserer Waffen dem Auslande imponirt haben. Es ist aber
zugleich Symptom einer Gefahr, denn es verräth und unterhält eine stille


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[0204] Erde zeigen. Neiden Westmächten ist der Kampf ^in Kreta, die Gährung in Thessalien und unter allen Südslawen die große Verlegenheit dieses Jahres, und Rußlands Fortschritte sind kaum noch aufzuhalten. Auch Preußen hat an der Frage ein Interesse der Ehre, denn der entschlossene Hohenzollern, welcher sich in Rumänien auf eigene Hand durchgesetzt hat, ist ein deutscher Fürst, und Preußen wird einen Sohn seines Herrcngeschlechts in der Stunde der Gefahr die Hilfe nicht versagen, welche es gewähren kann, ohne seine deutschen Inter¬ essen gefährlich zu schädigen. Wenn nicht alles trügt, so stehen wir vor einer großen Katastrophe im Orient. Vielleicht ist es schon möglich, den Weg zu erkennen, auf dem sich in der nächsten Zukunft die Auflösung der europäischen Türkcnherrschaft vollziehen wird. Ueberall sind dort schwache Ansähe zu neuen Staaten vorhanden. Neben Rumänien das politische Wesen der Serben, denen sich die Nasa in Bosnien und der Herzegowina anzuschließen bereit sind, Griechenland mit dem Bestreben, seine Grenzen nach Norden zu erweitern, auf den Inseln die Anfänge neu- hellenischer Gemeinwesen, wie in Scunos auch in Kreta. Ueber die Lebensfähig¬ keit dieser schwachen und unfertigen Neubildungen abzuurtheilen, wäre vorschnell, sie sämmtlich werden gehoben durch das Nationalitätsprincip, das herrschende unserer Zeit. Wir sehen, wie schwer es auf altem Germanenboden und im unteren Dvnauthal der östreichischen Regierung wird, die disparaten Völkcr- trümmer, die seit der Wanderzeit dort angesiedelt sind, in einem Körper zu er¬ halten. Diese Erfahrung berechtigt zu dem Schluß, baß Rußland es nicht Weniger schwer finden würde, die Länder im Süden der Weißen save und des Balkan seinem großen Leibe zu vereinigen. Fast genau wie zur Hellcneuzcit haben die Landschaften dort das Bestreben, sich in kleine politische Einheiten zu sondern, und vielleicht würde ein föderatives Band, wie unkräftig es auch sei, die sachgemäße Form sein, in welcher diese Staaten vorläufig neben einander bestehen könnten. Für den norddeutschen Bundesstaat ist die Ableitung der allgemeinen Sorge nach dem Osten ein werthvoller Gewinn. Was in Deutschland geworden ist, macht die Bundesgenossenschaft Preußens unentbehrlich bei der Entscheidung der orientalischen Frage. In Frankreich aber hat sich der Groll gegen die Fort¬ schritte Preußens nur wenig gemindert. Kindisch sind die Denunciationen, welche die Presse unserer Nachbarn im Westen über preußische Eroberungsplänc zu Tage bringt. Preußische Generale sollen die Schweiz ausgekundschaftet haben, Belgien soll noch immer von Preußen an Frankreich verrathen werden, Preußen soll im Schilde führen, den Niederlanden das Schicksal Hannovers zu bereiten. Dergleichen Geschwätz könnte uns wohl behagen, weil es immerhin beweist, wie sehr die Erfolge unserer Waffen dem Auslande imponirt haben. Es ist aber zugleich Symptom einer Gefahr, denn es verräth und unterhält eine stille

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/204>, abgerufen am 03.07.2024.