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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Solche augenfällige Willkür und ein solches Verkennen des Verhältnisses
der Worte zur musikalischen Charakteristik bedarf keiner ferneren Bemerkungen.
Wir gehen nun weiter zu dem Ständchen. Man kann sich zu einer wonne¬
vollen Musik einen holperigeren, öderen Text nicht denken, als der es ist.
den man in der Regel dazu zu hören bekommt.


Rochlitz:

Erklinge, liebe Zither: das Liebchen lauschet!
Erklinge bis sie Seel' um Seele lauschet!
Erzähl im sanften Ton der Schönsten meine Pein,
Dann schmilzt ihr weiches Herz und läßt mich glücklich sein.

O du, in deren Busen Liebe thronet;
Blaues, schmachtendes Aug', in dem Sanftmut!) wohnet:
Du kennst von Liebe nur -- ach, ihre Schmerzen,
Lern auch der Liebe Glück: hier, Herz am Herzen.

Wolzogen:

Horch auf den Klang der Laute und öffne mir, o Tranke!
Ach, lind're meine Pein und laß mich glücklich sein!
Läßt du mich trostlos flehen, so macht ein rascher Tod,
Harthcrz'ge, sollst es sehen, das Ende meiner Noth!

Dein Auge gleicht der Sonne, dem Honigseim dein Mund,
O mach', du meine Wonne, mir bald mein Glücke kund.
Erhöre doch mein Flehen, du weißt ich hab dich lieb!
Laß dich doch endlich sehen, komm, loser Herzensdieb!

Bitter:

O öffne doch das Fenster, du Holde, Süße!
Hör' meine Klagen an, sieh' meine Thränen!
Giebst du mir keinen Trost, dann, Theure, wisse,
Vor deinen Augen hier starb ich vor Sehnen.
Dein Mund, so zart und rosig, hauchet Wonne,
Heiße Glut füllt die Brust mit. sanftem Triebe!
O sei nicht grausam mir, du meine Sonne!
Laß mich dein Antlitz seh'n im Strahl der Liebe!


Es würde zu weit führen, wollten wir die Auswahl solcher Partien und
die Gegenüberstellung andrer Lesarten fortsetzen. Schon aus wenigen Proben
wird man erkennen, wie hoch Bitters Uebersetzung über den früheren steht.
Unrichtigkeiten. Geschmacklosigkeiten, Willkürliches und Unpassendes ist fast in
allen früheren Übertragungen nachzuweisen und es ließe sich ein Buch darüber
schreiben, wollte man eingehend auf die einzelnen Fälle zurückkommen. Dennoch
war es den verschiedenen späteren Bearbeitern wirklich Ernst darum, eine des
Gegenstandes würdige Verdeutschung zu geben und wir haben es hier keines-


Solche augenfällige Willkür und ein solches Verkennen des Verhältnisses
der Worte zur musikalischen Charakteristik bedarf keiner ferneren Bemerkungen.
Wir gehen nun weiter zu dem Ständchen. Man kann sich zu einer wonne¬
vollen Musik einen holperigeren, öderen Text nicht denken, als der es ist.
den man in der Regel dazu zu hören bekommt.


Rochlitz:

Erklinge, liebe Zither: das Liebchen lauschet!
Erklinge bis sie Seel' um Seele lauschet!
Erzähl im sanften Ton der Schönsten meine Pein,
Dann schmilzt ihr weiches Herz und läßt mich glücklich sein.

O du, in deren Busen Liebe thronet;
Blaues, schmachtendes Aug', in dem Sanftmut!) wohnet:
Du kennst von Liebe nur — ach, ihre Schmerzen,
Lern auch der Liebe Glück: hier, Herz am Herzen.

Wolzogen:

Horch auf den Klang der Laute und öffne mir, o Tranke!
Ach, lind're meine Pein und laß mich glücklich sein!
Läßt du mich trostlos flehen, so macht ein rascher Tod,
Harthcrz'ge, sollst es sehen, das Ende meiner Noth!

Dein Auge gleicht der Sonne, dem Honigseim dein Mund,
O mach', du meine Wonne, mir bald mein Glücke kund.
Erhöre doch mein Flehen, du weißt ich hab dich lieb!
Laß dich doch endlich sehen, komm, loser Herzensdieb!

Bitter:

O öffne doch das Fenster, du Holde, Süße!
Hör' meine Klagen an, sieh' meine Thränen!
Giebst du mir keinen Trost, dann, Theure, wisse,
Vor deinen Augen hier starb ich vor Sehnen.
Dein Mund, so zart und rosig, hauchet Wonne,
Heiße Glut füllt die Brust mit. sanftem Triebe!
O sei nicht grausam mir, du meine Sonne!
Laß mich dein Antlitz seh'n im Strahl der Liebe!


Es würde zu weit führen, wollten wir die Auswahl solcher Partien und
die Gegenüberstellung andrer Lesarten fortsetzen. Schon aus wenigen Proben
wird man erkennen, wie hoch Bitters Uebersetzung über den früheren steht.
Unrichtigkeiten. Geschmacklosigkeiten, Willkürliches und Unpassendes ist fast in
allen früheren Übertragungen nachzuweisen und es ließe sich ein Buch darüber
schreiben, wollte man eingehend auf die einzelnen Fälle zurückkommen. Dennoch
war es den verschiedenen späteren Bearbeitern wirklich Ernst darum, eine des
Gegenstandes würdige Verdeutschung zu geben und wir haben es hier keines-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/200>, abgerufen am 03.07.2024.