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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Zeit seines wilnaer Proconsulats vielfach benutzt, so wollte er doch von ihren
"modernen" und "demokratischen" Tendenzen nichts wissen, -- er gehörte der
nikolaitischen Schule an und sah es schon ungern, daß Nichtmilitärs überhaupt
zur Geltung kamen. Das erste Opfer seines neugewonnenen Einflusses war
der Unterrichtsminister Golownin, ein Anhänger seines Todfeindes des Gro߬
fürsten Konstantin; man machte es diesem Staatsmann zum Vorwurf, durch
seine Begünstigung des Realschulwesens und der naturwissenschaftlichen Studien
der Verbreitung der communistisch-materialistischen Lehren des Nihilismus vor¬
gearbeitet zu haben und ersetzte ihn durch den conservativen Grafen Tolstoy,
einen Freund Schuwalows.

Von dem wachsenden Einfluß dieses Mannes, der gegenwärtig dem kaiser¬
lichen Vertrauen am nächsten stehen dürfte, zeugte alsbald eine Reihe anderer
wichtiger Veränderungen. Schuwalows Nachfolger in Riga wurde der conser-
vativ-liberale und dabei höchst human gesinnte Graf Baranow, ein persönlicher
Freund des Kaisers; Finnland erhielt den gleichfalls der gemäßigten Partei an-
gehörigen Grafen Adlerberg (den zweiten Sohn des Hofministers) zum Statt¬
halter, der derselben Richtung angehörige Geheimrath Deljanow wurde Gehilfe
des Untcnichtsministers, der livländische Landmarschall und bewährte Führer
der liberalen Partei des tur- und Inländischen Adels Fürst Paul Liewen
Kurator des Petersburger Lehrbezirks und Oberceremonienmeister. Schuwalows
Einfluß endlich war es zuzuschreiben, daß der Finanzminister v. Reutern vor
dem ihm bestimmten Loose, Murawjews Grimm zu verfalle" und seinem Freunde
Golownin in das Privatleben zu folgen, bewahrt blieb: er mußte sich dazu
verstehen, einen Freund des jungen Polizeiministers, den General Grcigh, zu
seinem Gehilfen zu nehmen. Diesen Personalveränderungen, die rasch auf ein¬
ander folgte", gab ein kaiserliches Rescript vom 23. Mai alsbald die authen¬
tische Interpretation: Recht, Eigenthum und Religion -- so hieß es in jenem
Actenstück, das von der damals mit Kriegssorgen überbeschäftigten deutschen
Presse vollständig ignorirt wurde -- seien durch gefährliche socialistische Um¬
triebe, denen man zufolge des Attentats auf die Spur gekommen, schwer
bedroht; die liberalen Absichten der Negierung seien mißverstanden worden, der
Kaiser erkläre feierlich, daß er die Nothwendigkeit des Eigenthums anerkenne,
daß er sich auf die conservativen Elemente des Staatslebens, zumal auf den
Adel stützen und jede Agitation gegen denselben, rühre sie her von wem sie
wolle, -- niederhalten werde.

Dieser kaiserlichen Willcnsmanifesiation folgten verschiedene Regierungs-
handlungen, welche darauf schließen ließen, daß man die Zügel schärfer anzu¬
ziehen entschlossen sei. Zwei radical-demokratische Journale wurden unterdrückt
und die bis dahin allmächtig gewesene Moskaner Zeitung, von der ausgemacht
war, daß sie über dem Gesetz stand, wegen Ungehorsam gegen die Anordnungen


Zeit seines wilnaer Proconsulats vielfach benutzt, so wollte er doch von ihren
„modernen" und „demokratischen" Tendenzen nichts wissen, — er gehörte der
nikolaitischen Schule an und sah es schon ungern, daß Nichtmilitärs überhaupt
zur Geltung kamen. Das erste Opfer seines neugewonnenen Einflusses war
der Unterrichtsminister Golownin, ein Anhänger seines Todfeindes des Gro߬
fürsten Konstantin; man machte es diesem Staatsmann zum Vorwurf, durch
seine Begünstigung des Realschulwesens und der naturwissenschaftlichen Studien
der Verbreitung der communistisch-materialistischen Lehren des Nihilismus vor¬
gearbeitet zu haben und ersetzte ihn durch den conservativen Grafen Tolstoy,
einen Freund Schuwalows.

Von dem wachsenden Einfluß dieses Mannes, der gegenwärtig dem kaiser¬
lichen Vertrauen am nächsten stehen dürfte, zeugte alsbald eine Reihe anderer
wichtiger Veränderungen. Schuwalows Nachfolger in Riga wurde der conser-
vativ-liberale und dabei höchst human gesinnte Graf Baranow, ein persönlicher
Freund des Kaisers; Finnland erhielt den gleichfalls der gemäßigten Partei an-
gehörigen Grafen Adlerberg (den zweiten Sohn des Hofministers) zum Statt¬
halter, der derselben Richtung angehörige Geheimrath Deljanow wurde Gehilfe
des Untcnichtsministers, der livländische Landmarschall und bewährte Führer
der liberalen Partei des tur- und Inländischen Adels Fürst Paul Liewen
Kurator des Petersburger Lehrbezirks und Oberceremonienmeister. Schuwalows
Einfluß endlich war es zuzuschreiben, daß der Finanzminister v. Reutern vor
dem ihm bestimmten Loose, Murawjews Grimm zu verfalle» und seinem Freunde
Golownin in das Privatleben zu folgen, bewahrt blieb: er mußte sich dazu
verstehen, einen Freund des jungen Polizeiministers, den General Grcigh, zu
seinem Gehilfen zu nehmen. Diesen Personalveränderungen, die rasch auf ein¬
ander folgte», gab ein kaiserliches Rescript vom 23. Mai alsbald die authen¬
tische Interpretation: Recht, Eigenthum und Religion — so hieß es in jenem
Actenstück, das von der damals mit Kriegssorgen überbeschäftigten deutschen
Presse vollständig ignorirt wurde — seien durch gefährliche socialistische Um¬
triebe, denen man zufolge des Attentats auf die Spur gekommen, schwer
bedroht; die liberalen Absichten der Negierung seien mißverstanden worden, der
Kaiser erkläre feierlich, daß er die Nothwendigkeit des Eigenthums anerkenne,
daß er sich auf die conservativen Elemente des Staatslebens, zumal auf den
Adel stützen und jede Agitation gegen denselben, rühre sie her von wem sie
wolle, — niederhalten werde.

Dieser kaiserlichen Willcnsmanifesiation folgten verschiedene Regierungs-
handlungen, welche darauf schließen ließen, daß man die Zügel schärfer anzu¬
ziehen entschlossen sei. Zwei radical-demokratische Journale wurden unterdrückt
und die bis dahin allmächtig gewesene Moskaner Zeitung, von der ausgemacht
war, daß sie über dem Gesetz stand, wegen Ungehorsam gegen die Anordnungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/20>, abgerufen am 22.12.2024.