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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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standen, aufzugeben und einen Tag des Scandals, der faulen Aepfel und viel¬
leicht eines Straßentumults nicht zu scheuen.

Die Aufhebung der Diäten muß, wenn sie durchgesetzt wird, allmälig die
meisten Beamten von selbst ausschließen, und das halten wir für kein Unglück;
sie droht aber für die nächste Zeit auch viele andere tüchtige Männer vom
Reichstag fern zu halten, denn noch ist bei uns die Zahl wohlhabender Gent¬
lemen, welche Muße und Verständniß für die großen politischen Fragen haben,
nicht so groß, daß aus ihnen allein genügendes Material für den neuen Reichs¬
tag gewonnen wird.

Aber nicht dies ist die große Frage der Zukunft. Ob der Reichstag den
preußischen Landtag, ob der Landtag den neuen Reichstag überdauern und in
sich aufnehmen wird, das hängt im letzten Grunde von der Antwort auf eine
Frage ab: welcher Versammlung wird das Recht zustehen, die großen Staats¬
einnahmen und Ausgaben zu bewilligen und nicht zu bewilligen? Hier liegt der
Angelpunkt des gesammten Versassungslebens, und niemand hat das einfacher
und hochsinniger ausgesprochen, als neulich Herr Simson im preußischen Ab-
geordnetenhause. Erhält der neue Reichstag das Bewilligungsrecht für die
sechzig Millionen zu Heer und Flotte, so wird er, das läßt sich voraussagen,
der große Kampfplatz parlamentarischer Talente und die Stätte werden, in
welche sich der ganze Schwerpunkt des öffentlichen Lebens in Preußen und
Deutschland verlegt. Wird der genannte Theil des Budgets, wie man be¬
hauptet, in der Art eisern sundirt, daß er der Competenz des Reichstags ent¬
zogen bleibt, so wird diese Versammlung, wie weit gemessen ihre sonstigen
Befugnisse sein mögen und wie zahlreich ihre Talente, doch nur ein Zollparlament,
d. h. eine große technische Commission, welche Gutachten oder Gesetze gebend, der
Nation nicht in das Herz wächst. In diesem Fall behält der preußische Land¬
tag, selbst wenn er nicht verhindern kann, daß das halbe Budget seiner Competenz
entzogen wird, seine maßgebende Bedeutung für Deutschland, dann dauert er
als die große Instanz, mit welcher die Minister abzurechnen haben, und die im
Laufe der Jahre das Ministerium zwingen wird, sich ihren Majoritäten zu fügen.

An der Entscheidung dieser Frage hängt, wir sind innig davon überzeugt,
die gesammte parlamentarische Zukunft Preußens und Deutschlands. Hat Graf
Bismarck die Absicht, den Reichstag zu dem künftigen Parlament des deutschen
Reiches zu erheben, so muß er jedes Jahresbudget des Reiches zu einem Act
der Gesetzgebung machen, was gar nicht verhindert, daß bestimmte Steuern und
Julräder dafür angewiesen werden. Will und kann er das nicht, so wird nach
neuen Kämpfen, deren einzelne Phasen sich jeder Berechnung entziehen, Reichs¬
tag und Bundesverfassung allmälig von dem preußischen Landtag aufgesogen.
Im erstem Falle mag sich die neue Zeit unter Führung des jetzigen Minister¬
präsidenten gestalten, im andern Fall wahrscheinlich im Kampfe gegen ihn.




standen, aufzugeben und einen Tag des Scandals, der faulen Aepfel und viel¬
leicht eines Straßentumults nicht zu scheuen.

Die Aufhebung der Diäten muß, wenn sie durchgesetzt wird, allmälig die
meisten Beamten von selbst ausschließen, und das halten wir für kein Unglück;
sie droht aber für die nächste Zeit auch viele andere tüchtige Männer vom
Reichstag fern zu halten, denn noch ist bei uns die Zahl wohlhabender Gent¬
lemen, welche Muße und Verständniß für die großen politischen Fragen haben,
nicht so groß, daß aus ihnen allein genügendes Material für den neuen Reichs¬
tag gewonnen wird.

Aber nicht dies ist die große Frage der Zukunft. Ob der Reichstag den
preußischen Landtag, ob der Landtag den neuen Reichstag überdauern und in
sich aufnehmen wird, das hängt im letzten Grunde von der Antwort auf eine
Frage ab: welcher Versammlung wird das Recht zustehen, die großen Staats¬
einnahmen und Ausgaben zu bewilligen und nicht zu bewilligen? Hier liegt der
Angelpunkt des gesammten Versassungslebens, und niemand hat das einfacher
und hochsinniger ausgesprochen, als neulich Herr Simson im preußischen Ab-
geordnetenhause. Erhält der neue Reichstag das Bewilligungsrecht für die
sechzig Millionen zu Heer und Flotte, so wird er, das läßt sich voraussagen,
der große Kampfplatz parlamentarischer Talente und die Stätte werden, in
welche sich der ganze Schwerpunkt des öffentlichen Lebens in Preußen und
Deutschland verlegt. Wird der genannte Theil des Budgets, wie man be¬
hauptet, in der Art eisern sundirt, daß er der Competenz des Reichstags ent¬
zogen bleibt, so wird diese Versammlung, wie weit gemessen ihre sonstigen
Befugnisse sein mögen und wie zahlreich ihre Talente, doch nur ein Zollparlament,
d. h. eine große technische Commission, welche Gutachten oder Gesetze gebend, der
Nation nicht in das Herz wächst. In diesem Fall behält der preußische Land¬
tag, selbst wenn er nicht verhindern kann, daß das halbe Budget seiner Competenz
entzogen wird, seine maßgebende Bedeutung für Deutschland, dann dauert er
als die große Instanz, mit welcher die Minister abzurechnen haben, und die im
Laufe der Jahre das Ministerium zwingen wird, sich ihren Majoritäten zu fügen.

An der Entscheidung dieser Frage hängt, wir sind innig davon überzeugt,
die gesammte parlamentarische Zukunft Preußens und Deutschlands. Hat Graf
Bismarck die Absicht, den Reichstag zu dem künftigen Parlament des deutschen
Reiches zu erheben, so muß er jedes Jahresbudget des Reiches zu einem Act
der Gesetzgebung machen, was gar nicht verhindert, daß bestimmte Steuern und
Julräder dafür angewiesen werden. Will und kann er das nicht, so wird nach
neuen Kämpfen, deren einzelne Phasen sich jeder Berechnung entziehen, Reichs¬
tag und Bundesverfassung allmälig von dem preußischen Landtag aufgesogen.
Im erstem Falle mag sich die neue Zeit unter Führung des jetzigen Minister¬
präsidenten gestalten, im andern Fall wahrscheinlich im Kampfe gegen ihn.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/14>, abgerufen am 22.07.2024.