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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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-- er hatte glücklicherweise sich erst nach dem Octoberaufstande constituirt --
zusammentrat, war der revolutionäre Rausch bereits verflogen, der träumerischen
politischen Phantasie von dem praktischen Verstände das Feld wenigstens theil¬
weise abgewonnen worden.

Die Partei, welche in dem Kaiserreiche nur einen Haufen zusammengewor¬
fener Werksteine sah, die sich bei neuen politischen Bauten besser verwenden
lassen und deshalb den Haufen auscinanderschlagcn wollte, hatte die Flucht
ergriffen oder sich in verzagtes Schweigen gehüllt, die Anhänger des Hofes, die
Beamten glaubten noch nicht, auch ohne Zugeständnisse mit der Revolution
fertig werden zu können. Die extremen Meinungen nach rechts und links regten
sich nicht, das Gefühl der Zusammengehörigkeit der einzelnen Provinzen und
Stämme machte sich in hohem Grade geltend, man sah die Nothwendigkeit
einer Einigung ein, weil namentlich kein außerdeutschcr Stamm für sich hin¬
reichende Lebenskraft besaß, man erkannte auch die Möglichkeit derselben. Das
praktische Beispiel der Verträglichkeit bewies der kremsterer Reichstag und je
länger er tagte, eine desto geringere Macht übten die anfangs so schroffen
nationalen Gegensätze auf seine Beschlüsse aus. Die streng politischen Grund¬
sätze des kremsierer Verfassungsentwurfs lassen sich nicht anfechten, sie trugen,
um Dauer zu gewinnen, viel zu sehr die Spuren der achtundvierziger Stim¬
mung an sich, sie waren zu start von der betäubenden Märzlust durchzogen.
Das Problem, innerhalb der durch die östreichische Staatsidee gebotenen Gren¬
zen den einzelnen Nationalitäten und Provinzen gerecht zu werden, löste eben
die kremsterer Verfassung vollkommener als jede spätere Constitution.

Doch was nützt die Trefflichkeit einer Verfassung, wenn sie nun einmal zu
den begrabenen und vergessenen Dingen gehört. In Briefen, die zwischen den
Mitgliedern des kremsierer Reichstags gewechselt wurden, hallte die Erinnerung
an sie bis etwa in die Mitte der fünfziger Jahre nach. Der alte wackere Viser
in Linz gönnte wenigstens im Postscriptum der kremsierer Thätigkeit ein freund¬
liches Wort, der viel zu früh verstorbene Pinta in Prag hielt das kremsierer
Werk hoch in Ehren, auch aus Fischhofs, des Vielgeprüften und doch Ungebro¬
chenen, Munde vernahm man ein billiges Urtheil, aber die große Masse des
Volks, die spätere Generation der Politiker weiß nichts mehr von Kremsier.
Die Czechen beeilten sich, zu ihrer unfruchtbaren föderalistischen Doctrin zurück¬
zukehren, die Polen waren froh, auf eigene Faust wieder Intriguen schmieden
und ihren Phantasien nachgehen zu können, die deutschen Liberalen in Wien,
insbesondere die Helden des juridisch-politischen Lesevereins, hielten sich für viel
zu vornehm, um einen Bersassungsplan, den sie nicht selbst geschaffen, zu stützen.
Die Clique, die mit Bach gute Freundschaft pflegte und dann mit umgewcnde-
tem Rocke unter Schmerling diente, konnte es niemals verschmerzen, daß sie im
Jahre 1848 zum Kegelschieben in Döbling und anderem still ländlichen Zeit-


— er hatte glücklicherweise sich erst nach dem Octoberaufstande constituirt —
zusammentrat, war der revolutionäre Rausch bereits verflogen, der träumerischen
politischen Phantasie von dem praktischen Verstände das Feld wenigstens theil¬
weise abgewonnen worden.

Die Partei, welche in dem Kaiserreiche nur einen Haufen zusammengewor¬
fener Werksteine sah, die sich bei neuen politischen Bauten besser verwenden
lassen und deshalb den Haufen auscinanderschlagcn wollte, hatte die Flucht
ergriffen oder sich in verzagtes Schweigen gehüllt, die Anhänger des Hofes, die
Beamten glaubten noch nicht, auch ohne Zugeständnisse mit der Revolution
fertig werden zu können. Die extremen Meinungen nach rechts und links regten
sich nicht, das Gefühl der Zusammengehörigkeit der einzelnen Provinzen und
Stämme machte sich in hohem Grade geltend, man sah die Nothwendigkeit
einer Einigung ein, weil namentlich kein außerdeutschcr Stamm für sich hin¬
reichende Lebenskraft besaß, man erkannte auch die Möglichkeit derselben. Das
praktische Beispiel der Verträglichkeit bewies der kremsterer Reichstag und je
länger er tagte, eine desto geringere Macht übten die anfangs so schroffen
nationalen Gegensätze auf seine Beschlüsse aus. Die streng politischen Grund¬
sätze des kremsierer Verfassungsentwurfs lassen sich nicht anfechten, sie trugen,
um Dauer zu gewinnen, viel zu sehr die Spuren der achtundvierziger Stim¬
mung an sich, sie waren zu start von der betäubenden Märzlust durchzogen.
Das Problem, innerhalb der durch die östreichische Staatsidee gebotenen Gren¬
zen den einzelnen Nationalitäten und Provinzen gerecht zu werden, löste eben
die kremsterer Verfassung vollkommener als jede spätere Constitution.

Doch was nützt die Trefflichkeit einer Verfassung, wenn sie nun einmal zu
den begrabenen und vergessenen Dingen gehört. In Briefen, die zwischen den
Mitgliedern des kremsierer Reichstags gewechselt wurden, hallte die Erinnerung
an sie bis etwa in die Mitte der fünfziger Jahre nach. Der alte wackere Viser
in Linz gönnte wenigstens im Postscriptum der kremsierer Thätigkeit ein freund¬
liches Wort, der viel zu früh verstorbene Pinta in Prag hielt das kremsierer
Werk hoch in Ehren, auch aus Fischhofs, des Vielgeprüften und doch Ungebro¬
chenen, Munde vernahm man ein billiges Urtheil, aber die große Masse des
Volks, die spätere Generation der Politiker weiß nichts mehr von Kremsier.
Die Czechen beeilten sich, zu ihrer unfruchtbaren föderalistischen Doctrin zurück¬
zukehren, die Polen waren froh, auf eigene Faust wieder Intriguen schmieden
und ihren Phantasien nachgehen zu können, die deutschen Liberalen in Wien,
insbesondere die Helden des juridisch-politischen Lesevereins, hielten sich für viel
zu vornehm, um einen Bersassungsplan, den sie nicht selbst geschaffen, zu stützen.
Die Clique, die mit Bach gute Freundschaft pflegte und dann mit umgewcnde-
tem Rocke unter Schmerling diente, konnte es niemals verschmerzen, daß sie im
Jahre 1848 zum Kegelschieben in Döbling und anderem still ländlichen Zeit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/122>, abgerufen am 22.12.2024.