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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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latcme verzichten darauf, an der östreichischen Verfassungsfrage ihre Kunst zu
zeigen.

Soll etwa der Kaiser den Knoten einfach zerhauen, einen Staatsstreich
wagen und im Namen der materiellen Interessen, die in dem ewigen Ver¬
fassungsstreite so furcktbar leiden, die absolute Gewalt an sich reißen? Im An¬
fange der fünfziger Jahre erging man sich in allerhand Dictaturgelüste", pries
Louis Napoleon als nachahmungswcrthen Helden; man verstand ihn aber nur
in einem Punkte wirklich nachzuahmen, in dem brutalen Umsturze der Ber.
fassung. In allem Uebngen blieb es bei Velleitäten, die die Furcht vor der
absoluten Gewalt bald in Verachtung verwandelte. Was damals nicht gelang
mit verhältnißmäßig frischen Kräften, bei gehobenem Selbstvertrauen, matten,
ruhebcdürftigen Böllern gegenüber, damit kann man jetzt noch weniger durch¬
dringen, wo nur ausgeschwitzte Staatsmänner und muthlose Politiker zu finden
sind. Die vollständige Unfruchtbarkeit des Absolutismus von 1849--69 hat.
es mag Vielleicht paradox klingen, etwas Beängstigendes. Denn es brach sich
derselbe nicht an dem zähen Widerstande, an der Opposition der Regierten:
durch die Unfähigkeit der Staatslenker ging er zu Grunde. Eine Machtfülle,
wie selten zuvor, war in ihren Händen angesammelt, selbst ein gewisser Schein
des Rechts mangelte nicht. Inmitten der allgemeinen Zerfahrenheit, des Kam¬
pfes Aller gegen Alle konnte der höhere Staatswille nur durch greifbare Härte
sich geltend machen. Aber diese rücksichtslose Zurückweisung aller Sonderrechte
mußte durch das Angebot eines reichen Kulturlebens gesühnt, durch materielle
Vortheile ersetzt werden, was an Rechtsformen verloren ging. Zehn Jahre
eines absolutistischen Regiments brachten jedoch nur ein Resultat: Theatralisch
geputzte Gensdarmen. deren jeder für sich die Ehren von Geßlers Hute in An¬
spruch nahm.

Von dem Alpe einer absolutistischen Reaction, wie sie 1849--18S9 herrschte,
sind die östreichischen Völker befreit. Aber auch das einigende constitutionelle
Band ist ihnen abhanden gekommen. Von dem Augenblicke an, wo wir uns
überzeugten, der kr ernsterer Versa ssun g s e new urf sei einfach ein histo¬
risches Actenstück, für seine Verwirklichung erhebe sich keine Partei, sein Inhalt
sei aus der Erinnerung ausgewischt, sanken unsere Hoffnungen, jemals eine
constitutionelle Ordnung in Oestreich herrschend zu sehen. Unter den Proto¬
kollen des krcmsterer Verfassungsausschusses stehen die Namen Lesser und Brahei,
Hein und Smolke, Fischhof und Rieger, Pinta und Palazty, Jachimovicz und
Ziemialkowsky friedlich neben einander. So gut ist es Oestreich nie wieder
geworden, die Vertreter der verschiedenen nationalen und politischen Parteien
haben sich seitdem nicht mehr zu einem gemeinsamen Werke verbunden. Die
kremsierer Verfassung war ein ehrliches Kompromiß zwischen Deutschen und
Slawen, zwischen Föderalisten und Centralisten. Als der Verfassungsausschuß


latcme verzichten darauf, an der östreichischen Verfassungsfrage ihre Kunst zu
zeigen.

Soll etwa der Kaiser den Knoten einfach zerhauen, einen Staatsstreich
wagen und im Namen der materiellen Interessen, die in dem ewigen Ver¬
fassungsstreite so furcktbar leiden, die absolute Gewalt an sich reißen? Im An¬
fange der fünfziger Jahre erging man sich in allerhand Dictaturgelüste», pries
Louis Napoleon als nachahmungswcrthen Helden; man verstand ihn aber nur
in einem Punkte wirklich nachzuahmen, in dem brutalen Umsturze der Ber.
fassung. In allem Uebngen blieb es bei Velleitäten, die die Furcht vor der
absoluten Gewalt bald in Verachtung verwandelte. Was damals nicht gelang
mit verhältnißmäßig frischen Kräften, bei gehobenem Selbstvertrauen, matten,
ruhebcdürftigen Böllern gegenüber, damit kann man jetzt noch weniger durch¬
dringen, wo nur ausgeschwitzte Staatsmänner und muthlose Politiker zu finden
sind. Die vollständige Unfruchtbarkeit des Absolutismus von 1849—69 hat.
es mag Vielleicht paradox klingen, etwas Beängstigendes. Denn es brach sich
derselbe nicht an dem zähen Widerstande, an der Opposition der Regierten:
durch die Unfähigkeit der Staatslenker ging er zu Grunde. Eine Machtfülle,
wie selten zuvor, war in ihren Händen angesammelt, selbst ein gewisser Schein
des Rechts mangelte nicht. Inmitten der allgemeinen Zerfahrenheit, des Kam¬
pfes Aller gegen Alle konnte der höhere Staatswille nur durch greifbare Härte
sich geltend machen. Aber diese rücksichtslose Zurückweisung aller Sonderrechte
mußte durch das Angebot eines reichen Kulturlebens gesühnt, durch materielle
Vortheile ersetzt werden, was an Rechtsformen verloren ging. Zehn Jahre
eines absolutistischen Regiments brachten jedoch nur ein Resultat: Theatralisch
geputzte Gensdarmen. deren jeder für sich die Ehren von Geßlers Hute in An¬
spruch nahm.

Von dem Alpe einer absolutistischen Reaction, wie sie 1849—18S9 herrschte,
sind die östreichischen Völker befreit. Aber auch das einigende constitutionelle
Band ist ihnen abhanden gekommen. Von dem Augenblicke an, wo wir uns
überzeugten, der kr ernsterer Versa ssun g s e new urf sei einfach ein histo¬
risches Actenstück, für seine Verwirklichung erhebe sich keine Partei, sein Inhalt
sei aus der Erinnerung ausgewischt, sanken unsere Hoffnungen, jemals eine
constitutionelle Ordnung in Oestreich herrschend zu sehen. Unter den Proto¬
kollen des krcmsterer Verfassungsausschusses stehen die Namen Lesser und Brahei,
Hein und Smolke, Fischhof und Rieger, Pinta und Palazty, Jachimovicz und
Ziemialkowsky friedlich neben einander. So gut ist es Oestreich nie wieder
geworden, die Vertreter der verschiedenen nationalen und politischen Parteien
haben sich seitdem nicht mehr zu einem gemeinsamen Werke verbunden. Die
kremsierer Verfassung war ein ehrliches Kompromiß zwischen Deutschen und
Slawen, zwischen Föderalisten und Centralisten. Als der Verfassungsausschuß


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[0121] latcme verzichten darauf, an der östreichischen Verfassungsfrage ihre Kunst zu zeigen. Soll etwa der Kaiser den Knoten einfach zerhauen, einen Staatsstreich wagen und im Namen der materiellen Interessen, die in dem ewigen Ver¬ fassungsstreite so furcktbar leiden, die absolute Gewalt an sich reißen? Im An¬ fange der fünfziger Jahre erging man sich in allerhand Dictaturgelüste», pries Louis Napoleon als nachahmungswcrthen Helden; man verstand ihn aber nur in einem Punkte wirklich nachzuahmen, in dem brutalen Umsturze der Ber. fassung. In allem Uebngen blieb es bei Velleitäten, die die Furcht vor der absoluten Gewalt bald in Verachtung verwandelte. Was damals nicht gelang mit verhältnißmäßig frischen Kräften, bei gehobenem Selbstvertrauen, matten, ruhebcdürftigen Böllern gegenüber, damit kann man jetzt noch weniger durch¬ dringen, wo nur ausgeschwitzte Staatsmänner und muthlose Politiker zu finden sind. Die vollständige Unfruchtbarkeit des Absolutismus von 1849—69 hat. es mag Vielleicht paradox klingen, etwas Beängstigendes. Denn es brach sich derselbe nicht an dem zähen Widerstande, an der Opposition der Regierten: durch die Unfähigkeit der Staatslenker ging er zu Grunde. Eine Machtfülle, wie selten zuvor, war in ihren Händen angesammelt, selbst ein gewisser Schein des Rechts mangelte nicht. Inmitten der allgemeinen Zerfahrenheit, des Kam¬ pfes Aller gegen Alle konnte der höhere Staatswille nur durch greifbare Härte sich geltend machen. Aber diese rücksichtslose Zurückweisung aller Sonderrechte mußte durch das Angebot eines reichen Kulturlebens gesühnt, durch materielle Vortheile ersetzt werden, was an Rechtsformen verloren ging. Zehn Jahre eines absolutistischen Regiments brachten jedoch nur ein Resultat: Theatralisch geputzte Gensdarmen. deren jeder für sich die Ehren von Geßlers Hute in An¬ spruch nahm. Von dem Alpe einer absolutistischen Reaction, wie sie 1849—18S9 herrschte, sind die östreichischen Völker befreit. Aber auch das einigende constitutionelle Band ist ihnen abhanden gekommen. Von dem Augenblicke an, wo wir uns überzeugten, der kr ernsterer Versa ssun g s e new urf sei einfach ein histo¬ risches Actenstück, für seine Verwirklichung erhebe sich keine Partei, sein Inhalt sei aus der Erinnerung ausgewischt, sanken unsere Hoffnungen, jemals eine constitutionelle Ordnung in Oestreich herrschend zu sehen. Unter den Proto¬ kollen des krcmsterer Verfassungsausschusses stehen die Namen Lesser und Brahei, Hein und Smolke, Fischhof und Rieger, Pinta und Palazty, Jachimovicz und Ziemialkowsky friedlich neben einander. So gut ist es Oestreich nie wieder geworden, die Vertreter der verschiedenen nationalen und politischen Parteien haben sich seitdem nicht mehr zu einem gemeinsamen Werke verbunden. Die kremsierer Verfassung war ein ehrliches Kompromiß zwischen Deutschen und Slawen, zwischen Föderalisten und Centralisten. Als der Verfassungsausschuß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/121>, abgerufen am 22.12.2024.