Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verfluchen und daß das wüste Konglomerat von Ländern und Stammen bald
zusammenbreche, wünschen. Aber das geschah leise, nur unter den vertrautesten
Freunden und wurde geäußert, wie man eben Träume ausspricht, ohne die
Ahnung möglicher Erfüllung. Daß sich laut und öffentlich der Gedanke eines
zerfallenden Oestreichs kundgiebt, daß in einer politischen Versammlung in Wien
der Kronprinz Nudolpl, als Romulus Augustulus bezeichnet, im böhmischen
Landtage die Schlacht am weißen Berge als das größte Unglück der Nation
dargestellt, die freie Fürstcnwahl als ein praktisch wichtiges Recht proclamirt
wird, mußte auch den Insassen der Hofburg den Schrecken in die Glieder jagen,
wenn man hier nicht Hoffen und Fürchten längst verlernt und das in den
Tag Hineinleben zum Grundsatze angenommen hätte.

Was in Oestreich vorgeht, ist keine innere Frage mehr, ganz Europa ist
da"n interessirt und vor allem wir Preußen haben alle Ursache, mit der größten
Aufmerksamkeit den Verlauf des Processes, -- ist es ein Proceß der Neube¬
lebung oder der Zersetzung? -- zu beobachten. Mit dem reorganisirten Oest¬
reich, das die Kraft zu existire" in sich' selbst findet, können wir friedlich ab¬
rechnen und freundliche Beziehungen unterhalten. So weitverbreitet auch in
Oestreich der Glaube ist, daß Bismarck auf den Verfall des Kaiserreichs spe-
cuiire, jeder Preuße in Erbfeindschaft gegen Oestreich erglühe, so wenig ist der¬
selbe doch in Wahrheit begründet. Unser Kampf galt Oestreich als dem Hort
der deutschen Klcinstaatsmisöre, galt seinen unberechtigten Ansprüchen auf die
Herrschaft in Deutschland. Mit Oestreich, welches seinen Schwerpunkt nicht
mehr außerhalb seiner Grenzen sieht, nur Culturinteressen mit Deutschland ge¬
meinsam hat, drohen uns keine Conflicte. Dagegen sind wir uns dessen Wohl
bewußt, daß ein so gewaltiger Körper nur nach heftigen Zuckungen absterben
kann. Gewinnen auch die leitenden Kräfte in Wien die Ueberzeugung, daß für
den Staat die Wege der Regeneration versperrt sind, so werben sie noch einen
und den andern Verzweiflungsstreich wagen, um auf dem alten gezwungen ver¬
lassenen Wege die Macht, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder zu erringen.
Solchem desperaten Streiche zu wehren, den Arm des Wahnsinnigen zu lähmen,
ehe er uns verwundet, ist unsere Pflicht.

Wenn sogar das ultraconscrvalive "Vaterland" das Bekenntniß ablegt, so
wie bisher gehe es nicht weiter, so sind wir wohl des Beweises von der Un-,
Haltbarkeit der gegenwärtigen Zustände enthoben. Darübci ist alle Welt einig.
Was aber an die Stelle des Alten treten soll, weiß niemand zu errathen, posi¬
tive Rathschläge wagt niemand zu ertheilen. Wie häuften sich in früheren
Jahren die Verfassungsprvgrammc, mit welcher Gewißheit proclamirte jede
Partei die glänzendsten Erfolge für den Staat, wenn er ihre Grundsätze an¬
nähme. Jetzt weist man nur achselzuckend aus d>e Schwierigkeiten hin, welche
sich der Constituirung des Gemeinwesens entgegenstellen, selbst politische Char-


verfluchen und daß das wüste Konglomerat von Ländern und Stammen bald
zusammenbreche, wünschen. Aber das geschah leise, nur unter den vertrautesten
Freunden und wurde geäußert, wie man eben Träume ausspricht, ohne die
Ahnung möglicher Erfüllung. Daß sich laut und öffentlich der Gedanke eines
zerfallenden Oestreichs kundgiebt, daß in einer politischen Versammlung in Wien
der Kronprinz Nudolpl, als Romulus Augustulus bezeichnet, im böhmischen
Landtage die Schlacht am weißen Berge als das größte Unglück der Nation
dargestellt, die freie Fürstcnwahl als ein praktisch wichtiges Recht proclamirt
wird, mußte auch den Insassen der Hofburg den Schrecken in die Glieder jagen,
wenn man hier nicht Hoffen und Fürchten längst verlernt und das in den
Tag Hineinleben zum Grundsatze angenommen hätte.

Was in Oestreich vorgeht, ist keine innere Frage mehr, ganz Europa ist
da«n interessirt und vor allem wir Preußen haben alle Ursache, mit der größten
Aufmerksamkeit den Verlauf des Processes, — ist es ein Proceß der Neube¬
lebung oder der Zersetzung? — zu beobachten. Mit dem reorganisirten Oest¬
reich, das die Kraft zu existire» in sich' selbst findet, können wir friedlich ab¬
rechnen und freundliche Beziehungen unterhalten. So weitverbreitet auch in
Oestreich der Glaube ist, daß Bismarck auf den Verfall des Kaiserreichs spe-
cuiire, jeder Preuße in Erbfeindschaft gegen Oestreich erglühe, so wenig ist der¬
selbe doch in Wahrheit begründet. Unser Kampf galt Oestreich als dem Hort
der deutschen Klcinstaatsmisöre, galt seinen unberechtigten Ansprüchen auf die
Herrschaft in Deutschland. Mit Oestreich, welches seinen Schwerpunkt nicht
mehr außerhalb seiner Grenzen sieht, nur Culturinteressen mit Deutschland ge¬
meinsam hat, drohen uns keine Conflicte. Dagegen sind wir uns dessen Wohl
bewußt, daß ein so gewaltiger Körper nur nach heftigen Zuckungen absterben
kann. Gewinnen auch die leitenden Kräfte in Wien die Ueberzeugung, daß für
den Staat die Wege der Regeneration versperrt sind, so werben sie noch einen
und den andern Verzweiflungsstreich wagen, um auf dem alten gezwungen ver¬
lassenen Wege die Macht, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder zu erringen.
Solchem desperaten Streiche zu wehren, den Arm des Wahnsinnigen zu lähmen,
ehe er uns verwundet, ist unsere Pflicht.

Wenn sogar das ultraconscrvalive „Vaterland" das Bekenntniß ablegt, so
wie bisher gehe es nicht weiter, so sind wir wohl des Beweises von der Un-,
Haltbarkeit der gegenwärtigen Zustände enthoben. Darübci ist alle Welt einig.
Was aber an die Stelle des Alten treten soll, weiß niemand zu errathen, posi¬
tive Rathschläge wagt niemand zu ertheilen. Wie häuften sich in früheren
Jahren die Verfassungsprvgrammc, mit welcher Gewißheit proclamirte jede
Partei die glänzendsten Erfolge für den Staat, wenn er ihre Grundsätze an¬
nähme. Jetzt weist man nur achselzuckend aus d>e Schwierigkeiten hin, welche
sich der Constituirung des Gemeinwesens entgegenstellen, selbst politische Char-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0120" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/190279"/>
            <p xml:id="ID_355" prev="#ID_354"> verfluchen und daß das wüste Konglomerat von Ländern und Stammen bald<lb/>
zusammenbreche, wünschen. Aber das geschah leise, nur unter den vertrautesten<lb/>
Freunden und wurde geäußert, wie man eben Träume ausspricht, ohne die<lb/>
Ahnung möglicher Erfüllung. Daß sich laut und öffentlich der Gedanke eines<lb/>
zerfallenden Oestreichs kundgiebt, daß in einer politischen Versammlung in Wien<lb/>
der Kronprinz Nudolpl, als Romulus Augustulus bezeichnet, im böhmischen<lb/>
Landtage die Schlacht am weißen Berge als das größte Unglück der Nation<lb/>
dargestellt, die freie Fürstcnwahl als ein praktisch wichtiges Recht proclamirt<lb/>
wird, mußte auch den Insassen der Hofburg den Schrecken in die Glieder jagen,<lb/>
wenn man hier nicht Hoffen und Fürchten längst verlernt und das in den<lb/>
Tag Hineinleben zum Grundsatze angenommen hätte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_356"> Was in Oestreich vorgeht, ist keine innere Frage mehr, ganz Europa ist<lb/>
da«n interessirt und vor allem wir Preußen haben alle Ursache, mit der größten<lb/>
Aufmerksamkeit den Verlauf des Processes, &#x2014; ist es ein Proceß der Neube¬<lb/>
lebung oder der Zersetzung? &#x2014; zu beobachten. Mit dem reorganisirten Oest¬<lb/>
reich, das die Kraft zu existire» in sich' selbst findet, können wir friedlich ab¬<lb/>
rechnen und freundliche Beziehungen unterhalten. So weitverbreitet auch in<lb/>
Oestreich der Glaube ist, daß Bismarck auf den Verfall des Kaiserreichs spe-<lb/>
cuiire, jeder Preuße in Erbfeindschaft gegen Oestreich erglühe, so wenig ist der¬<lb/>
selbe doch in Wahrheit begründet. Unser Kampf galt Oestreich als dem Hort<lb/>
der deutschen Klcinstaatsmisöre, galt seinen unberechtigten Ansprüchen auf die<lb/>
Herrschaft in Deutschland. Mit Oestreich, welches seinen Schwerpunkt nicht<lb/>
mehr außerhalb seiner Grenzen sieht, nur Culturinteressen mit Deutschland ge¬<lb/>
meinsam hat, drohen uns keine Conflicte. Dagegen sind wir uns dessen Wohl<lb/>
bewußt, daß ein so gewaltiger Körper nur nach heftigen Zuckungen absterben<lb/>
kann. Gewinnen auch die leitenden Kräfte in Wien die Ueberzeugung, daß für<lb/>
den Staat die Wege der Regeneration versperrt sind, so werben sie noch einen<lb/>
und den andern Verzweiflungsstreich wagen, um auf dem alten gezwungen ver¬<lb/>
lassenen Wege die Macht, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder zu erringen.<lb/>
Solchem desperaten Streiche zu wehren, den Arm des Wahnsinnigen zu lähmen,<lb/>
ehe er uns verwundet, ist unsere Pflicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_357" next="#ID_358"> Wenn sogar das ultraconscrvalive &#x201E;Vaterland" das Bekenntniß ablegt, so<lb/>
wie bisher gehe es nicht weiter, so sind wir wohl des Beweises von der Un-,<lb/>
Haltbarkeit der gegenwärtigen Zustände enthoben. Darübci ist alle Welt einig.<lb/>
Was aber an die Stelle des Alten treten soll, weiß niemand zu errathen, posi¬<lb/>
tive Rathschläge wagt niemand zu ertheilen. Wie häuften sich in früheren<lb/>
Jahren die Verfassungsprvgrammc, mit welcher Gewißheit proclamirte jede<lb/>
Partei die glänzendsten Erfolge für den Staat, wenn er ihre Grundsätze an¬<lb/>
nähme. Jetzt weist man nur achselzuckend aus d&gt;e Schwierigkeiten hin, welche<lb/>
sich der Constituirung des Gemeinwesens entgegenstellen, selbst politische Char-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0120] verfluchen und daß das wüste Konglomerat von Ländern und Stammen bald zusammenbreche, wünschen. Aber das geschah leise, nur unter den vertrautesten Freunden und wurde geäußert, wie man eben Träume ausspricht, ohne die Ahnung möglicher Erfüllung. Daß sich laut und öffentlich der Gedanke eines zerfallenden Oestreichs kundgiebt, daß in einer politischen Versammlung in Wien der Kronprinz Nudolpl, als Romulus Augustulus bezeichnet, im böhmischen Landtage die Schlacht am weißen Berge als das größte Unglück der Nation dargestellt, die freie Fürstcnwahl als ein praktisch wichtiges Recht proclamirt wird, mußte auch den Insassen der Hofburg den Schrecken in die Glieder jagen, wenn man hier nicht Hoffen und Fürchten längst verlernt und das in den Tag Hineinleben zum Grundsatze angenommen hätte. Was in Oestreich vorgeht, ist keine innere Frage mehr, ganz Europa ist da«n interessirt und vor allem wir Preußen haben alle Ursache, mit der größten Aufmerksamkeit den Verlauf des Processes, — ist es ein Proceß der Neube¬ lebung oder der Zersetzung? — zu beobachten. Mit dem reorganisirten Oest¬ reich, das die Kraft zu existire» in sich' selbst findet, können wir friedlich ab¬ rechnen und freundliche Beziehungen unterhalten. So weitverbreitet auch in Oestreich der Glaube ist, daß Bismarck auf den Verfall des Kaiserreichs spe- cuiire, jeder Preuße in Erbfeindschaft gegen Oestreich erglühe, so wenig ist der¬ selbe doch in Wahrheit begründet. Unser Kampf galt Oestreich als dem Hort der deutschen Klcinstaatsmisöre, galt seinen unberechtigten Ansprüchen auf die Herrschaft in Deutschland. Mit Oestreich, welches seinen Schwerpunkt nicht mehr außerhalb seiner Grenzen sieht, nur Culturinteressen mit Deutschland ge¬ meinsam hat, drohen uns keine Conflicte. Dagegen sind wir uns dessen Wohl bewußt, daß ein so gewaltiger Körper nur nach heftigen Zuckungen absterben kann. Gewinnen auch die leitenden Kräfte in Wien die Ueberzeugung, daß für den Staat die Wege der Regeneration versperrt sind, so werben sie noch einen und den andern Verzweiflungsstreich wagen, um auf dem alten gezwungen ver¬ lassenen Wege die Macht, wenn auch nur für kurze Zeit, wieder zu erringen. Solchem desperaten Streiche zu wehren, den Arm des Wahnsinnigen zu lähmen, ehe er uns verwundet, ist unsere Pflicht. Wenn sogar das ultraconscrvalive „Vaterland" das Bekenntniß ablegt, so wie bisher gehe es nicht weiter, so sind wir wohl des Beweises von der Un-, Haltbarkeit der gegenwärtigen Zustände enthoben. Darübci ist alle Welt einig. Was aber an die Stelle des Alten treten soll, weiß niemand zu errathen, posi¬ tive Rathschläge wagt niemand zu ertheilen. Wie häuften sich in früheren Jahren die Verfassungsprvgrammc, mit welcher Gewißheit proclamirte jede Partei die glänzendsten Erfolge für den Staat, wenn er ihre Grundsätze an¬ nähme. Jetzt weist man nur achselzuckend aus d>e Schwierigkeiten hin, welche sich der Constituirung des Gemeinwesens entgegenstellen, selbst politische Char-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/120
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/120>, abgerufen am 22.12.2024.