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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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von stümperhaften Übersetzungen absehend, die Meisterwerke der eigenen Lite¬
ratur den Schülern vorlegte und Cicero, Virgil, Horaz und andere nationale
Schriftsteller zu tractiren begann. Andererseits freilich wurden diese Fortschritte
paralysnt durch die wachsende Verderbniß und Charakterlosigkeit der häuslichen
Erziehung. Die Blasirtheit und Altklugheit der Jugend.brachte den ungebun¬
denen Ton des lasterhaften Hauses mit zu dem Lehrer und? strebte auch bei
vorhandenem Eifer immer mehr nach dem Genusse des prickelnden Schaumes
als nach gründlicher Befriedigung des Wissensdranges. Besonders schwärmte
das Zeitalter für die öffentlichen Productionen einer sophistischen Rhetorik und
die Examenprobe des römischen Schülers war ein dcclamatonsches Schaustück.
Viele Lehrer gingen aus Elugeiz oder Gewinnsucht auf die Thorheiten des
Zeitalters ein. Namentlich zogen die Grammatiker die Künste der Rhetorik in
ihren Bereich hinein, so daß Quiutilion sagt: "Es ist doch höchst lächerlich, daß
man einen Knaben nicht eher zum Lehrer der Declamirkunst schicken zu dürfen
glaubt, als bis er schon zu declamiren versteht." Höchst ungünstig charakterisirt
die Nachgiebigkeit und Unselbständigkeit der Lehrer Tacitus in seinem Gespräche
über die Redner. Nachdem davon die Rede gewesen ist, daß die jungen Leute
zu Hause und in der Schule von nichts sprächen als von Schauspielern, Gla¬
diatoren und Pferden, fährt er fort: "Selbst die Lehrer unterhalten sich über
feinen Gegenstand häusiger mit ihren Zuhörern. Denn sie sammeln sich
Schüler nicht durch Strenge der Zucht, noch durch Beweise von Talent, sondern
durch antichambrirende Wvhldienerei und durch den Köder des Schmeicheln?."

Ein recht auffallendes Beispiel für die Möglichkeit, in jener Zeit bei der
niedrigsten Gesinnung und dem unsittlichsten Lebenswandel sein Glück als Lehrer
machen zu können, liefert der Grammatiker Quintus Rhemmius Famulus Pa-
lämon, dessen Blüthe in die Regierungszeit der Kaiser Tiberius, Caligula und
Claudius fällt. Er stammte aus Biccnza im Benetianischen und war ein ge¬
borener Sklave. Die Arroganz und Zungenfertigkeit, welche er später entwickelte,
stand vielleicht nicht außer Zusammenhang mit seinen ersten Lebensumstände";
denn die im Hause aufwachsenden Sklaven wurden theils von den Gebietern
verhätschelt, theils lernten sie auch genau die Geheimnisse und schwachen Seiten
derselben kennen und infolge dessen war ihre Dreistigkeit und geschmeidige
Schlauheit sprichwörtlich. Sein Herr, Rhemmius Famulus, scheint frühzeitig
gestorben zu sein. Die Wittwe verkannte oder mißachtete die Fähigkeiten des
jungen Burschen und steckte ihn in die Spinnstube, wo die Spinnmädchen die
Spindel drehten und die Weberschiffchen durch den Aufzug schwirrten, begleitet
von zeitverkürzendem Gesang der Weber und Weberinnen. Die Erlernung der
Weberei, einer Kunst, welcher in der guten alten Zeit die Hausfrauen selbst im
Atrium obgelegen hatten, wird dem anstelligen Palämon nicht schwer gefallen
sein. Wer konnte auch wissen, wozu ihm einst diese Kenntnisse nützen sollten?


von stümperhaften Übersetzungen absehend, die Meisterwerke der eigenen Lite¬
ratur den Schülern vorlegte und Cicero, Virgil, Horaz und andere nationale
Schriftsteller zu tractiren begann. Andererseits freilich wurden diese Fortschritte
paralysnt durch die wachsende Verderbniß und Charakterlosigkeit der häuslichen
Erziehung. Die Blasirtheit und Altklugheit der Jugend.brachte den ungebun¬
denen Ton des lasterhaften Hauses mit zu dem Lehrer und? strebte auch bei
vorhandenem Eifer immer mehr nach dem Genusse des prickelnden Schaumes
als nach gründlicher Befriedigung des Wissensdranges. Besonders schwärmte
das Zeitalter für die öffentlichen Productionen einer sophistischen Rhetorik und
die Examenprobe des römischen Schülers war ein dcclamatonsches Schaustück.
Viele Lehrer gingen aus Elugeiz oder Gewinnsucht auf die Thorheiten des
Zeitalters ein. Namentlich zogen die Grammatiker die Künste der Rhetorik in
ihren Bereich hinein, so daß Quiutilion sagt: „Es ist doch höchst lächerlich, daß
man einen Knaben nicht eher zum Lehrer der Declamirkunst schicken zu dürfen
glaubt, als bis er schon zu declamiren versteht." Höchst ungünstig charakterisirt
die Nachgiebigkeit und Unselbständigkeit der Lehrer Tacitus in seinem Gespräche
über die Redner. Nachdem davon die Rede gewesen ist, daß die jungen Leute
zu Hause und in der Schule von nichts sprächen als von Schauspielern, Gla¬
diatoren und Pferden, fährt er fort: „Selbst die Lehrer unterhalten sich über
feinen Gegenstand häusiger mit ihren Zuhörern. Denn sie sammeln sich
Schüler nicht durch Strenge der Zucht, noch durch Beweise von Talent, sondern
durch antichambrirende Wvhldienerei und durch den Köder des Schmeicheln?."

Ein recht auffallendes Beispiel für die Möglichkeit, in jener Zeit bei der
niedrigsten Gesinnung und dem unsittlichsten Lebenswandel sein Glück als Lehrer
machen zu können, liefert der Grammatiker Quintus Rhemmius Famulus Pa-
lämon, dessen Blüthe in die Regierungszeit der Kaiser Tiberius, Caligula und
Claudius fällt. Er stammte aus Biccnza im Benetianischen und war ein ge¬
borener Sklave. Die Arroganz und Zungenfertigkeit, welche er später entwickelte,
stand vielleicht nicht außer Zusammenhang mit seinen ersten Lebensumstände»;
denn die im Hause aufwachsenden Sklaven wurden theils von den Gebietern
verhätschelt, theils lernten sie auch genau die Geheimnisse und schwachen Seiten
derselben kennen und infolge dessen war ihre Dreistigkeit und geschmeidige
Schlauheit sprichwörtlich. Sein Herr, Rhemmius Famulus, scheint frühzeitig
gestorben zu sein. Die Wittwe verkannte oder mißachtete die Fähigkeiten des
jungen Burschen und steckte ihn in die Spinnstube, wo die Spinnmädchen die
Spindel drehten und die Weberschiffchen durch den Aufzug schwirrten, begleitet
von zeitverkürzendem Gesang der Weber und Weberinnen. Die Erlernung der
Weberei, einer Kunst, welcher in der guten alten Zeit die Hausfrauen selbst im
Atrium obgelegen hatten, wird dem anstelligen Palämon nicht schwer gefallen
sein. Wer konnte auch wissen, wozu ihm einst diese Kenntnisse nützen sollten?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/114>, abgerufen am 22.12.2024.