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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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wohl seit dem Vundesgenossenkriege als Beneventer dieser Ehre theilhaftig ge¬
worden.

Endlich hatte es vielleicht Orbilius grade seinen eckigen Manieren mit
Schuld zu geben, wenn er, wie Sueton erzählt, "mit größerem Rufe als Ge¬
winn" lehrte. Ueberhaupt dürfte ja der Mittellehrer weniger fordern als der
Rhetor und des letzteren Ehrensold betrug zu Juvenals Zeit nicht ganz 150 Thlr.
für jeden Schüler. Am besten fuhren wohl diejenigen, welche, wie der gewandte
und artige Zeitgenosse und College des Orbilius: Antonius Gnipho, gar keine
Uebereinkunft über das Schulgeld trafen, sondern dies der Liberalität der Aeltern
anheimstellten, Orbilius kam wenigstens nicht dazu, sich einen Sparpfennig für
sein Alter zurückzulegen und doch war es ihm beschicken, beinahe das hundertste
Jahr zu erreichen! So donirte er denn fort, bis die Kräfte abnahmen und die
Zahl der Schüler sich verringerte. Schon in der genannten Schrift erwähnte
er, daß er "unter den Dachziegeln", also wahrscheinlich mehre Treppen hoch,
wohne,, als einer von denen, "welchem," wie Juvenal sagt, "allein vor Regen
ein Dachstein Schirm verleiht, wo die zärtlichen Tauben nisten." Zuletzt verlor
er sein treffliches Gedächtniß gänzlich, fo daß ein Vers des spitzigen Jamben-
dichters Furius Bibakulus lautete: "Wo ist Orlul. der Wissenschaft Vergeßlich¬
keit?" Wie es heute noch so oft geschieht, hatten die bitteren Erfahrungen des
Vaters seinen Sohn dennoch nicht abgehalten, denselben Beruf zu wählen. "Er
hinterließ einen Sohn," heißt es bei Sueton, "der ebenfalls Lehrer der Gram¬
matik war." Es scheint, als habe Sueton die Bildsäule des Orbilius Pupillus
zu Benevent sich selbst zeigen lassen; denn er weiß genau, daß sie auf der linken
Seite des Capitels stand und daß der Gefeierte in sitzender Gestalt und im
griechischen Mantel (wodurch man ihn wahrscheinlich als zur griechischen Ge¬
lehrten- und Philosvphenzunft gehörig bezeichnen wollte) aus Marmor gebildet
war, während zwei jener großen cylindrischen Schachteln, in denen die Bücher¬
rollen verwahrt wurden, neben ihm standen.

Orbilius starb ungefähr ein Decennium vor Christi Geburt. Der zweite
Schulmann, dem wir Beachtung schenken, wird grade zu unserer Zeitrechnung
das Licht der Welt erblickt haben. Es liegen also zwischen der Zeit, wo Orbi¬
lius aufhörte zu wirken und seinem Auftreten als Grammatiker kaum fünfzig
Jahre. Wie mancherlei änderte sich dennoch in dieser kurzen Periode im Schul¬
wesen! Hatten die Bürgerkriege am Ende des Freistaats auf alle literarischen
Verhältnisse störend und hemmend gewirkt, so traten die Studien und wissen¬
schaftlichen Interessen unter Begünstigung des Hofes bald so in den Vorder¬
grund, daß geistige Cultur und Bildung schnell aufhörte das Besitzthum Weniger
zu sein. Natürlich gewannen dadurch Schulen und Lehrer an Schätzung und
Umfang. Der Unterricht wurde rationeller und schmiegte sich passender an die
verschiedenen Altersstufen an. Besonders aber wuchs das Material, indem man,


wohl seit dem Vundesgenossenkriege als Beneventer dieser Ehre theilhaftig ge¬
worden.

Endlich hatte es vielleicht Orbilius grade seinen eckigen Manieren mit
Schuld zu geben, wenn er, wie Sueton erzählt, „mit größerem Rufe als Ge¬
winn" lehrte. Ueberhaupt dürfte ja der Mittellehrer weniger fordern als der
Rhetor und des letzteren Ehrensold betrug zu Juvenals Zeit nicht ganz 150 Thlr.
für jeden Schüler. Am besten fuhren wohl diejenigen, welche, wie der gewandte
und artige Zeitgenosse und College des Orbilius: Antonius Gnipho, gar keine
Uebereinkunft über das Schulgeld trafen, sondern dies der Liberalität der Aeltern
anheimstellten, Orbilius kam wenigstens nicht dazu, sich einen Sparpfennig für
sein Alter zurückzulegen und doch war es ihm beschicken, beinahe das hundertste
Jahr zu erreichen! So donirte er denn fort, bis die Kräfte abnahmen und die
Zahl der Schüler sich verringerte. Schon in der genannten Schrift erwähnte
er, daß er „unter den Dachziegeln", also wahrscheinlich mehre Treppen hoch,
wohne,, als einer von denen, „welchem," wie Juvenal sagt, „allein vor Regen
ein Dachstein Schirm verleiht, wo die zärtlichen Tauben nisten." Zuletzt verlor
er sein treffliches Gedächtniß gänzlich, fo daß ein Vers des spitzigen Jamben-
dichters Furius Bibakulus lautete: „Wo ist Orlul. der Wissenschaft Vergeßlich¬
keit?" Wie es heute noch so oft geschieht, hatten die bitteren Erfahrungen des
Vaters seinen Sohn dennoch nicht abgehalten, denselben Beruf zu wählen. „Er
hinterließ einen Sohn," heißt es bei Sueton, „der ebenfalls Lehrer der Gram¬
matik war." Es scheint, als habe Sueton die Bildsäule des Orbilius Pupillus
zu Benevent sich selbst zeigen lassen; denn er weiß genau, daß sie auf der linken
Seite des Capitels stand und daß der Gefeierte in sitzender Gestalt und im
griechischen Mantel (wodurch man ihn wahrscheinlich als zur griechischen Ge¬
lehrten- und Philosvphenzunft gehörig bezeichnen wollte) aus Marmor gebildet
war, während zwei jener großen cylindrischen Schachteln, in denen die Bücher¬
rollen verwahrt wurden, neben ihm standen.

Orbilius starb ungefähr ein Decennium vor Christi Geburt. Der zweite
Schulmann, dem wir Beachtung schenken, wird grade zu unserer Zeitrechnung
das Licht der Welt erblickt haben. Es liegen also zwischen der Zeit, wo Orbi¬
lius aufhörte zu wirken und seinem Auftreten als Grammatiker kaum fünfzig
Jahre. Wie mancherlei änderte sich dennoch in dieser kurzen Periode im Schul¬
wesen! Hatten die Bürgerkriege am Ende des Freistaats auf alle literarischen
Verhältnisse störend und hemmend gewirkt, so traten die Studien und wissen¬
schaftlichen Interessen unter Begünstigung des Hofes bald so in den Vorder¬
grund, daß geistige Cultur und Bildung schnell aufhörte das Besitzthum Weniger
zu sein. Natürlich gewannen dadurch Schulen und Lehrer an Schätzung und
Umfang. Der Unterricht wurde rationeller und schmiegte sich passender an die
verschiedenen Altersstufen an. Besonders aber wuchs das Material, indem man,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/113>, abgerufen am 22.12.2024.