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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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Pflichten ertheilt, aber niemals gehandelt. Er nahm mit Frankreich die Sache
Polens auf und erklärte im kritischen Augenblick, England werde niemals dafür
Krieg führen, er nahm bald darauf in der unverständigsten Weise Partei für
Dänemark und überließ es seinem Schicksal, er hatte nicht den Muth, die
amerikanische Conföderation anzuerkennen und compromittirte doch das Ver¬
hältniß Englands zur Union durch die versteckte Duldung der Ausrüstung von
südlichen Kapern und die schroffe Abweisung der Entschädigungsansprüche wegen
der Alabama, er zeigte endlich im verflossenen Sommer die lauteste, aber auch
unfruchtbarste Sympathie für Oestreich bis zu dem Augenblick, wo seine Re¬
gierung durch die halbschlächtige Reformbill Gladstones siel. Daß an seine Stelle
Lord Stanley trat, mußte jeden befremden, der nicht mit dem englischen Partei¬
wesen bekannt ist, gleich Lord Russell hatte sich sein Nachfolger niemals um
auswärtige Angelegenheiten bekümmert, vielmehr ausschließlich inneren Fragen
zugewandt, er hatte Indien und Amerika bereist, aber der Kontinent war ihm
fremd. Seine Ernennung hatte denn auch nur den Grund, daß die Partei
Disraeli, dessen Ehrgeiz das Foreign Office seit lange erstrebt, dort nicht haben
wollte, weil sie ihm mißtraut, die Tories können den talentvollen Emporkömm¬
ling nicht als Führer des Hauses entbehren, aber sie wollen ihn nicht zu einer
Stellung gelangen lassen, wo sein Thatendrang unbequem werden könnte, man
fürchtete, er könne England in einen Krieg stürzen, deshalb wies man ihm das
Schatzamt zu, wo er füglich nichts weiter thun kann, als die gladstonische
Finanzpolitik fortzusetzen. Lord Stanley hat nun allerdings den Tact gezeigt,
sich nicht wie sein Vorgänger als unberufener Rathgeber überall aufzudrängen,
er hat dem großen Umschwung der öffentlichen Meinung entsprechend eine
freundliche Stellung zu Preußen angenommen und wünscht dem deutschen
Einigungswcrke Gelingen, aber seine ganze Politik hat doch nicht mehr
positive Ziele als die der Whigs und geht nur darauf hinaus, England vor
jeder Verwickelung ängstlich zu bewahren. Es steht indeß dahin, ob nicht
grade diese Tendenz zu Verwickelungen im Osten führen muß, hätten die
Wcstmächte die kandiotische Frage gleich ernstlich in die Hand genommen, so
hätte sie niemals ihre gegenwärtige Bedeutung gewinnen können. Allein dem
hiesigen Cabinet. wie dem Kaiser Napoleon schien das Wiederaufleben der
orientalischen Frage sehr ungelegen, Marquis de Moustier führte, als er sich
von Konstantinopel nach Paris begab, um sein Portefeuille zu übernehmen,
auf der Durchreise in Athen eine fast drohende Sprache, England secundirte,
dadurch ward die Pforte halsstarrig gemacht, verweigerte jede Concession und
suchte nur die Unterwerfung der Kandioten zu formen, bis die Katastrophe von
Arkadi der Welt zeigte, daß es sich hier um einen Vernichtungskampf zwi¬
schen Griechen und Türken handelt. Jetzt wandte sich nun wieder das Miß-
Vergnügen der Westmächte gegen die Pforte und sie tadelten laut, daß dieselbe


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Pflichten ertheilt, aber niemals gehandelt. Er nahm mit Frankreich die Sache
Polens auf und erklärte im kritischen Augenblick, England werde niemals dafür
Krieg führen, er nahm bald darauf in der unverständigsten Weise Partei für
Dänemark und überließ es seinem Schicksal, er hatte nicht den Muth, die
amerikanische Conföderation anzuerkennen und compromittirte doch das Ver¬
hältniß Englands zur Union durch die versteckte Duldung der Ausrüstung von
südlichen Kapern und die schroffe Abweisung der Entschädigungsansprüche wegen
der Alabama, er zeigte endlich im verflossenen Sommer die lauteste, aber auch
unfruchtbarste Sympathie für Oestreich bis zu dem Augenblick, wo seine Re¬
gierung durch die halbschlächtige Reformbill Gladstones siel. Daß an seine Stelle
Lord Stanley trat, mußte jeden befremden, der nicht mit dem englischen Partei¬
wesen bekannt ist, gleich Lord Russell hatte sich sein Nachfolger niemals um
auswärtige Angelegenheiten bekümmert, vielmehr ausschließlich inneren Fragen
zugewandt, er hatte Indien und Amerika bereist, aber der Kontinent war ihm
fremd. Seine Ernennung hatte denn auch nur den Grund, daß die Partei
Disraeli, dessen Ehrgeiz das Foreign Office seit lange erstrebt, dort nicht haben
wollte, weil sie ihm mißtraut, die Tories können den talentvollen Emporkömm¬
ling nicht als Führer des Hauses entbehren, aber sie wollen ihn nicht zu einer
Stellung gelangen lassen, wo sein Thatendrang unbequem werden könnte, man
fürchtete, er könne England in einen Krieg stürzen, deshalb wies man ihm das
Schatzamt zu, wo er füglich nichts weiter thun kann, als die gladstonische
Finanzpolitik fortzusetzen. Lord Stanley hat nun allerdings den Tact gezeigt,
sich nicht wie sein Vorgänger als unberufener Rathgeber überall aufzudrängen,
er hat dem großen Umschwung der öffentlichen Meinung entsprechend eine
freundliche Stellung zu Preußen angenommen und wünscht dem deutschen
Einigungswcrke Gelingen, aber seine ganze Politik hat doch nicht mehr
positive Ziele als die der Whigs und geht nur darauf hinaus, England vor
jeder Verwickelung ängstlich zu bewahren. Es steht indeß dahin, ob nicht
grade diese Tendenz zu Verwickelungen im Osten führen muß, hätten die
Wcstmächte die kandiotische Frage gleich ernstlich in die Hand genommen, so
hätte sie niemals ihre gegenwärtige Bedeutung gewinnen können. Allein dem
hiesigen Cabinet. wie dem Kaiser Napoleon schien das Wiederaufleben der
orientalischen Frage sehr ungelegen, Marquis de Moustier führte, als er sich
von Konstantinopel nach Paris begab, um sein Portefeuille zu übernehmen,
auf der Durchreise in Athen eine fast drohende Sprache, England secundirte,
dadurch ward die Pforte halsstarrig gemacht, verweigerte jede Concession und
suchte nur die Unterwerfung der Kandioten zu formen, bis die Katastrophe von
Arkadi der Welt zeigte, daß es sich hier um einen Vernichtungskampf zwi¬
schen Griechen und Türken handelt. Jetzt wandte sich nun wieder das Miß-
Vergnügen der Westmächte gegen die Pforte und sie tadelten laut, daß dieselbe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/101>, abgerufen am 02.07.2024.