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Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band.

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keinerlei, Concessionen mache, sie verlangen jetzt, man solle in Konstantinopel
den Forderungen Serbiens nachgeben, welche vorläufig dahin gehen, daß die
türkischen Besatzungen aus den dortigen Festungen zurückgezogen werden sollen..
Die Pforte aber erklärt es unmöglich, die Citadelle von Belgrad zu räumen,
weil das Aufgeben dieses Gibraltars in den Augen ihrer muselmännischen Be¬
völkerung, in welcher schließlich ihr ganzer Halt ruht, eine Selbsterniedrigung
wäre. Außerdem weiß man sehr wohl in Konstantinopel, daß dieser Forderung
andere folgen würden, weil Serbien dieselbe Unabhängigkeit erkämpfen will,
welche die Donaufürstenthümer errungen haben. Inzwischen läßt die griechische
Regierung die. Maske der Neutralität immer mehr fallen, der diplomatische
Bruch mit der Türkei wird sich schwerlich noch lange hinausschieben lassen und
demselben dürften thatsächliche Feindseligkeiten bald folgen. Daß Rußland im
Stillen schürt, zeigt die ganze Haltung seiner officiösen Presse, Fürst Gortscha-
koffs Ziel ist es, Rußland von den Fesseln des Vertrages von 1836 loszu-
machen, seine Organe sind geschäftig zu beweisen, daß die dort stipulirte Un-
verletzlichkeit der Türkei durch die Einführung der Erblichkeit in Aegypten und
den Donaufürstenthümcrn aufgegeben sei, daß die christlichen Unterthanen der
Pforte droh des Hatti - Hamagun nur um so mehr gedrückt seien, daß also
vom pariser Frieden nichts übrig sei als die gegen Rußland gerichteten Be¬
stimmungen.

Was werden England und Frankreich dieser wachsenden Bewegung gegen¬
über thun? Vorläufig scheinen sie nur zu dem Einverständnis, gelangt, in eng¬
ster Gemeinschaft bleiben zu wollen, damit sind alle weitergehenden Plane,
welche wohl sonst der Politik beider vorgeschwebt haben, wie z. B. die Er¬
werbung Aegyptens durch England, für jetzt bei Seite geschoben. Aber werden
sie sich über eine positive Action einigen, wenn alle Versuche, die Bewegung
einzudämmen, gescheitert sind? Es ist erlaubt, hieran zu zweifeln, bis man Be¬
weise des Gegentheils hat, hier wenigstens wird auch für diesen Fall bereits
stark absolute Nichtintervention gepredigt, eine Politik, die ganz mit den Wün¬
schen der Moskaner Zeitung übereinstimmt, welche dagegen die Garantie geben
will, daß Nußland auf jede Vergrößerung im Oriente verzichte.

Oestreichs innere Lage ist so verzweifelt, daß es schwerlich irgendwie activ
in jene Verhältnisse eingreifen kann, Preußen ist in der günstigen Situation
nicht direct betheiligt zu sein und daher um seine Freundschaft werben lassen zu
können.

Im Ganzen macht freilich unstreitig die auswärtige Politik der englischen
Negierung die geringste Sorge, die große Frage, mit der Lord Derby steht und
fällt, ist die Parlamentsrcform, welche die Session von 1867 wohl zu der be¬
wegtesten seit Abschaffung der Korngesetze machen wird.




keinerlei, Concessionen mache, sie verlangen jetzt, man solle in Konstantinopel
den Forderungen Serbiens nachgeben, welche vorläufig dahin gehen, daß die
türkischen Besatzungen aus den dortigen Festungen zurückgezogen werden sollen..
Die Pforte aber erklärt es unmöglich, die Citadelle von Belgrad zu räumen,
weil das Aufgeben dieses Gibraltars in den Augen ihrer muselmännischen Be¬
völkerung, in welcher schließlich ihr ganzer Halt ruht, eine Selbsterniedrigung
wäre. Außerdem weiß man sehr wohl in Konstantinopel, daß dieser Forderung
andere folgen würden, weil Serbien dieselbe Unabhängigkeit erkämpfen will,
welche die Donaufürstenthümer errungen haben. Inzwischen läßt die griechische
Regierung die. Maske der Neutralität immer mehr fallen, der diplomatische
Bruch mit der Türkei wird sich schwerlich noch lange hinausschieben lassen und
demselben dürften thatsächliche Feindseligkeiten bald folgen. Daß Rußland im
Stillen schürt, zeigt die ganze Haltung seiner officiösen Presse, Fürst Gortscha-
koffs Ziel ist es, Rußland von den Fesseln des Vertrages von 1836 loszu-
machen, seine Organe sind geschäftig zu beweisen, daß die dort stipulirte Un-
verletzlichkeit der Türkei durch die Einführung der Erblichkeit in Aegypten und
den Donaufürstenthümcrn aufgegeben sei, daß die christlichen Unterthanen der
Pforte droh des Hatti - Hamagun nur um so mehr gedrückt seien, daß also
vom pariser Frieden nichts übrig sei als die gegen Rußland gerichteten Be¬
stimmungen.

Was werden England und Frankreich dieser wachsenden Bewegung gegen¬
über thun? Vorläufig scheinen sie nur zu dem Einverständnis, gelangt, in eng¬
ster Gemeinschaft bleiben zu wollen, damit sind alle weitergehenden Plane,
welche wohl sonst der Politik beider vorgeschwebt haben, wie z. B. die Er¬
werbung Aegyptens durch England, für jetzt bei Seite geschoben. Aber werden
sie sich über eine positive Action einigen, wenn alle Versuche, die Bewegung
einzudämmen, gescheitert sind? Es ist erlaubt, hieran zu zweifeln, bis man Be¬
weise des Gegentheils hat, hier wenigstens wird auch für diesen Fall bereits
stark absolute Nichtintervention gepredigt, eine Politik, die ganz mit den Wün¬
schen der Moskaner Zeitung übereinstimmt, welche dagegen die Garantie geben
will, daß Nußland auf jede Vergrößerung im Oriente verzichte.

Oestreichs innere Lage ist so verzweifelt, daß es schwerlich irgendwie activ
in jene Verhältnisse eingreifen kann, Preußen ist in der günstigen Situation
nicht direct betheiligt zu sein und daher um seine Freundschaft werben lassen zu
können.

Im Ganzen macht freilich unstreitig die auswärtige Politik der englischen
Negierung die geringste Sorge, die große Frage, mit der Lord Derby steht und
fällt, ist die Parlamentsrcform, welche die Session von 1867 wohl zu der be¬
wegtesten seit Abschaffung der Korngesetze machen wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 26, 1867, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341805_190158/102>, abgerufen am 30.06.2024.