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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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von der Stellung der Großmächte in größeren europäischen Verwickelungen.
Grade jetzt zwingt der drohende Verfall der Türkei die Staaten zur Vorsicht
und zu neuen Allianzen. Es ist sehr möglich, daß die Entscheidung über das
Schicksal Sachsens abhängig wird von einer Entscheidung über das Schicksal
der Türkei. Denn das weiß man in Berlin, daß der deutsche Bundesstaat
nicht im Orient Preis und Frucht seiner Allianz zu suchen hat, sondern nur
auf deutschem Boden.

Während in Sachsen noch ein großer Theil des Volkes der Rückkehr seines
Königshauses harrt und darin das Ende der unangenehmen Aufregungen hofft,
welche dies Jahr gebracht hat, sind die Südstaaten in der entgegengesetzten
Lage, daß ihnen ihre Fürsten geblieben und für ihre inneren Angelegenheiten
die größte Freiheit der Selbstbestimmung bewahrt ist. Und doch sind sie nicht
zufrieden, sie haben reichlich, was sich ein großer Theil der Sachsen ersehnt und
sie ersehnen sich, was die Sachsen in ihrem loyalen Eifer gering achten, die
Perbindung mit dem Bundesstaat. Allerdings bildet die Bundesstaatspartei in
Bayern und Würtemberg nur eine kleine Minorität, aber die Unzufriedenheit
ist allgemein und sie wird nicht harmloser dadurch, daß die Meisten nicht wissen,
Was sie sich begehren. Unsere lieben Vettern im Süden, welche so stolz darauf
sind, daß sie die alte Urkraft der Germanen vertreten, sind durch den prager
Frieden aufgefordert, eine engere Verbindung ihres alten Germanenthums durch
eine Föderation der Südstaaten zu bewirken. Man ist versucht, anzunehmen,
daß die Friedeschließenden, als sie dem Süden diese Erlaubniß gaben, allerseits in
boshafter Laune waren. Zwar an dem warmen Herzen und der guten Theorie
der Völker haben wir nie gezweifelt, wie aber die Regierungen dort den neuen
Bund beginnen, das zu sehen ist überreich Gelegenheit geworden. Ihre mili¬
tärischen Befehlshaber haben zuerst bewiesen, daß die neue Zeit des Dämpfers
entledigt ist, welchen der alte Bund auf Preßüberschreitungen gesetzt hatte. Es
war ein klägliches und würdeloses Schauspiel, die gegenseitigen Anklagen und
Verdächtigungen zu lesen, der Bayern gegen Hannoveraner und Würtenberger,
der Würtenberger gegen Badenser. Das Stärkste in dieser Richtung ist aber die
Flugschrift: "Actenmäßige interessante Enthüllungen über den badischen Verrath
an den deutschen Bundestruppen in dem soeben beendigten preußisch-deutschen
Kriege. Stuttgart. 1866." Wer auch Verfasser dieses Angriffs sei, derselbe
muß offenbar unter den Auspickn des Prinzen Alexander von Hessen geschrieben
haben, da er aus den Acten des Generalstabes officielle Mittheilungen macht,
darunter von dem Prinzen Alexander unterschriebene Befehle; und er muß der
Regierung von Würtemberg nicht eben Anstoß gegeben haben, da man mehre
Auflagen unbeanstandet verbreiten ließ. Ja, die Flugschrift beansprucht gradezu
einen officiellen Charakter. Sie greift den Befehlshaber der badischen Division,
den Prinzen Wilhelm von Baden und hinter ihm den Großherzog selbst in


von der Stellung der Großmächte in größeren europäischen Verwickelungen.
Grade jetzt zwingt der drohende Verfall der Türkei die Staaten zur Vorsicht
und zu neuen Allianzen. Es ist sehr möglich, daß die Entscheidung über das
Schicksal Sachsens abhängig wird von einer Entscheidung über das Schicksal
der Türkei. Denn das weiß man in Berlin, daß der deutsche Bundesstaat
nicht im Orient Preis und Frucht seiner Allianz zu suchen hat, sondern nur
auf deutschem Boden.

Während in Sachsen noch ein großer Theil des Volkes der Rückkehr seines
Königshauses harrt und darin das Ende der unangenehmen Aufregungen hofft,
welche dies Jahr gebracht hat, sind die Südstaaten in der entgegengesetzten
Lage, daß ihnen ihre Fürsten geblieben und für ihre inneren Angelegenheiten
die größte Freiheit der Selbstbestimmung bewahrt ist. Und doch sind sie nicht
zufrieden, sie haben reichlich, was sich ein großer Theil der Sachsen ersehnt und
sie ersehnen sich, was die Sachsen in ihrem loyalen Eifer gering achten, die
Perbindung mit dem Bundesstaat. Allerdings bildet die Bundesstaatspartei in
Bayern und Würtemberg nur eine kleine Minorität, aber die Unzufriedenheit
ist allgemein und sie wird nicht harmloser dadurch, daß die Meisten nicht wissen,
Was sie sich begehren. Unsere lieben Vettern im Süden, welche so stolz darauf
sind, daß sie die alte Urkraft der Germanen vertreten, sind durch den prager
Frieden aufgefordert, eine engere Verbindung ihres alten Germanenthums durch
eine Föderation der Südstaaten zu bewirken. Man ist versucht, anzunehmen,
daß die Friedeschließenden, als sie dem Süden diese Erlaubniß gaben, allerseits in
boshafter Laune waren. Zwar an dem warmen Herzen und der guten Theorie
der Völker haben wir nie gezweifelt, wie aber die Regierungen dort den neuen
Bund beginnen, das zu sehen ist überreich Gelegenheit geworden. Ihre mili¬
tärischen Befehlshaber haben zuerst bewiesen, daß die neue Zeit des Dämpfers
entledigt ist, welchen der alte Bund auf Preßüberschreitungen gesetzt hatte. Es
war ein klägliches und würdeloses Schauspiel, die gegenseitigen Anklagen und
Verdächtigungen zu lesen, der Bayern gegen Hannoveraner und Würtenberger,
der Würtenberger gegen Badenser. Das Stärkste in dieser Richtung ist aber die
Flugschrift: „Actenmäßige interessante Enthüllungen über den badischen Verrath
an den deutschen Bundestruppen in dem soeben beendigten preußisch-deutschen
Kriege. Stuttgart. 1866." Wer auch Verfasser dieses Angriffs sei, derselbe
muß offenbar unter den Auspickn des Prinzen Alexander von Hessen geschrieben
haben, da er aus den Acten des Generalstabes officielle Mittheilungen macht,
darunter von dem Prinzen Alexander unterschriebene Befehle; und er muß der
Regierung von Würtemberg nicht eben Anstoß gegeben haben, da man mehre
Auflagen unbeanstandet verbreiten ließ. Ja, die Flugschrift beansprucht gradezu
einen officiellen Charakter. Sie greift den Befehlshaber der badischen Division,
den Prinzen Wilhelm von Baden und hinter ihm den Großherzog selbst in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/99>, abgerufen am 02.07.2024.