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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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einer Weise und mit Ausdrücken an, welche der deutschen Presse auch bei Com-
promittirung eines jeden Privatmannes bis jetzt unerhört waren. Daß eine solche
Sprache, gleichviel ob die Vorwürfe selbst irgendeine Begründung haben, von
dem Mitglied eines regierenden Hauses gegen ein anderes geführt werden
konnte, das ist schon an sich Symptom einer auflösenden Zeit. Denn was war
bis jetzt das Letzte, was unseren Dynastien eine gewisse Haltung gab? die
Geschicklichkeit, sich vornehm und vorsichtig zu der Oeffentlichkeit zu stellen. Wer.
der Animosität so unterliegt, daß er diese letzte Virtuosität des hohen Adels
verliert, der macht das Publikum zu abfälligen Beurtheilern seiner Berechtigung,
in einU privilegirten Stellung unter uns Deutschen zu existiren. Nicht ohne
Grund hegten unsere erlauchten Familien bis jetzt die Empfindung, daß jede
Verminderung des Ansehens, welche ein Mitglied ihres hohen Standes traf, sie
alle beschädige. Wir constatiren, daß man in Süddeutschland diese Vorsicht des
vornehmen Selbstgefühls aufgegeben hat und öffentliche Beleidigungen auf das
Haupt eines Standesgenossen häuft, in einem Ton und Eifer, wie er ungefähr
der neuen frankfurter Presse geziemt hätte.

Was aber die Beschuldigungen selbst betrifft, so sind sie in der starken
Parteiverblendung geschrieben und verschweigen die Hauptsache, welche das Ver¬
halten des badischen Divisionärs motivirt.

Als der Krieg begann, wurde gegen das Statut desselben seligen Bundes,
dessen Verfassung zu vertreten sich die Südstaaten den Anschein gaben, das
achte Armeecorps zusammengesetzt, indem man nicht nur nassauische, auch
östreichische Truppen dazu zog und, während man noch eine neutrale Stellung
beanspruchte, einen östreichischen General zum Corpsführer wählte. Mit einem
Bruch des Bundesrechts sing man den Krieg an, man zwang Baden zum Bei¬
tritt, indem man das Fürstenhaus mit Vergewaltigung bedrohte.

Der Großherzog gab nach, weil er nicht nur von Bayern und Würtemberg,
auch von der Majorität seines eigenen Volkes und Heeres bedrängt war, welche
in demselben wüsten Kriegstaumel schwärmten, wie die Schwaben und Bayern.
Wenn er widerstand und sich persönlich für Preußen erklärte, wurde das Land
von den Bundestruppen besetzt, er verlor die Disposition über sein Heer, das
badische Volk und Heer wurden für. die Zwecke eines kopflosen Krieges aus¬
genutzt, seine Soldaten einer elenden Kriegführung geopfert. Und wozu? um
den stillen Wunsch des Hauses Würtemberg nach einer Vergrößerung seines
Landbesitzes zu erfüllen. Ohne Zweifel empfand er als Landesherr, daß seine
Stellung nicht die eines Privatmanns war, und daß er sich der Verpflichtung
nicht entziehen durfte, der Vormund seines aufgeregten Volkes zu bleiben, das
heißt so viel als möglich seinem Lande und seinem Heere unnütze Opfer an
Lieferungen und Menschenblut zu ersparen. Er fügte sich in das Unvermeid¬
liche mit der damals in Süddeutschland seltenen Einsicht, daß dieser Krieg ein


einer Weise und mit Ausdrücken an, welche der deutschen Presse auch bei Com-
promittirung eines jeden Privatmannes bis jetzt unerhört waren. Daß eine solche
Sprache, gleichviel ob die Vorwürfe selbst irgendeine Begründung haben, von
dem Mitglied eines regierenden Hauses gegen ein anderes geführt werden
konnte, das ist schon an sich Symptom einer auflösenden Zeit. Denn was war
bis jetzt das Letzte, was unseren Dynastien eine gewisse Haltung gab? die
Geschicklichkeit, sich vornehm und vorsichtig zu der Oeffentlichkeit zu stellen. Wer.
der Animosität so unterliegt, daß er diese letzte Virtuosität des hohen Adels
verliert, der macht das Publikum zu abfälligen Beurtheilern seiner Berechtigung,
in einU privilegirten Stellung unter uns Deutschen zu existiren. Nicht ohne
Grund hegten unsere erlauchten Familien bis jetzt die Empfindung, daß jede
Verminderung des Ansehens, welche ein Mitglied ihres hohen Standes traf, sie
alle beschädige. Wir constatiren, daß man in Süddeutschland diese Vorsicht des
vornehmen Selbstgefühls aufgegeben hat und öffentliche Beleidigungen auf das
Haupt eines Standesgenossen häuft, in einem Ton und Eifer, wie er ungefähr
der neuen frankfurter Presse geziemt hätte.

Was aber die Beschuldigungen selbst betrifft, so sind sie in der starken
Parteiverblendung geschrieben und verschweigen die Hauptsache, welche das Ver¬
halten des badischen Divisionärs motivirt.

Als der Krieg begann, wurde gegen das Statut desselben seligen Bundes,
dessen Verfassung zu vertreten sich die Südstaaten den Anschein gaben, das
achte Armeecorps zusammengesetzt, indem man nicht nur nassauische, auch
östreichische Truppen dazu zog und, während man noch eine neutrale Stellung
beanspruchte, einen östreichischen General zum Corpsführer wählte. Mit einem
Bruch des Bundesrechts sing man den Krieg an, man zwang Baden zum Bei¬
tritt, indem man das Fürstenhaus mit Vergewaltigung bedrohte.

Der Großherzog gab nach, weil er nicht nur von Bayern und Würtemberg,
auch von der Majorität seines eigenen Volkes und Heeres bedrängt war, welche
in demselben wüsten Kriegstaumel schwärmten, wie die Schwaben und Bayern.
Wenn er widerstand und sich persönlich für Preußen erklärte, wurde das Land
von den Bundestruppen besetzt, er verlor die Disposition über sein Heer, das
badische Volk und Heer wurden für. die Zwecke eines kopflosen Krieges aus¬
genutzt, seine Soldaten einer elenden Kriegführung geopfert. Und wozu? um
den stillen Wunsch des Hauses Würtemberg nach einer Vergrößerung seines
Landbesitzes zu erfüllen. Ohne Zweifel empfand er als Landesherr, daß seine
Stellung nicht die eines Privatmanns war, und daß er sich der Verpflichtung
nicht entziehen durfte, der Vormund seines aufgeregten Volkes zu bleiben, das
heißt so viel als möglich seinem Lande und seinem Heere unnütze Opfer an
Lieferungen und Menschenblut zu ersparen. Er fügte sich in das Unvermeid¬
liche mit der damals in Süddeutschland seltenen Einsicht, daß dieser Krieg ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/100>, abgerufen am 02.07.2024.