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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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nicht gefunden, die Staatsanwaltschaft, ein gefährliches Werkzeug in der Hand
der Regierungen, keine sichere Gewähr für die blinde Gerechtigkeit sei, die Ge¬
schworenengerichte nur Gerichtshöfe für unverfängliche Sachen bilden und der¬
gleichen mehr. Wie erstaunt aber würde ein aus dem Grabe auferstehender
Liberaler von 1840 auf das Deutschland nach 25 Jahren blicken! Es ist
Leben, wo Grabesruhe herrschte, Klarheit und selbstbewußtes Thun, wo Phan¬
tasten und ideale Strebungen walteten, viel Irrthum bei viel richtiger Erkennt¬
niß, viel gesammeltes Vorwärtsdringen bei manchem Ueberhasten und Zuviel¬
thun, mit einem Wort, ein Volk in voller Selbstumwandlung. Fleiß und
Thätigkeit der Bewohner haben den Wohlstand vermehrt und die schlummernden
Kräfte zu reichem Leben entwickelt; die meisten Regierungen, vor allem die
preußische, sind bedacht gewesen zu fördern, aufzumunteni, zu unterstützen und
zu neuem Fortschreiten anzuregen. Das Volk ist auch in de" Besitz der mate¬
riellen Mittel gelangt, um seine Aufgaben auf politischem Gebiete zur Lösung
zu bringen.

Wie schon angedeutet wurde, ist in der für die Geschichte eines Volkes
kurzen Zeit wenig zu Ende geführt, vieles nur begonnen, manches erst an¬
gestrebt. Es bedarf noch langer Arbeit und schwerer Kämpfe, ehe die Grund¬
rechte wirklich den festen unantastbaren und unangetasteten Grund unserer Rechte
bilden und wie viele Jahre könnten noch auf den innern Ausbau unserer Staaten
aufgewendet werden! Allein wir dürfen nicht dem Ideal vom besten Staat
nachstreben und darüber die nationalen Aufgaben bei Seite setzen. Es klingt
schön und volksthümlich zu rufen: erst frei, dann einig; aber der Ruf verhallt
im Winde, wo die Windsbraut gewaltiger Ereignisse unser Schiff in den Strom
wirft, der zur Einigkeit fluthet. Könnten wir wählen, nun dann ließe sich der
Ruf hören, obschon wir ihm ungern folgen möchten; allein es giebt keine
Wahl, der Strom ist mächtiger als das Wort Einzelner, als der Ruf einer
Parthei.

So drängt sich denn die Frage für alle aufrichtigen nationalen auf: was
wird aus den deutschen Grundrechten? Sollen sie einen Theil ihres neuen
Programms bilden oder soll man der unerbittlichen Logik der Thatsachen fol¬
gen und auf die Fahne schreiben: keine Grundrechte, ein geeinigtes Deutschland?

Wir glauben zu wissen, was Graf Bismarck auf die Frage antwortet. Er
würde den Frager lange ansehen und zum zweiten Male sagen: Foppen wir
uns nicht! Meine Grundzüge und nur meine Grundzüge! Was antwortet die
nationale Parthei?

Wir knüpfen hier wieder an die Betrachtung über die Entstehung der
Grundrechte an. Es wurde nachzuweisen versucht, daß die Grundrechte einem
Conflicte politischer und nationaler Interessen, der zu Gunsten der ersteren ge¬
löst wurde, ihren Ursprung verdanken. Man hatte -- warum sollte es in der


nicht gefunden, die Staatsanwaltschaft, ein gefährliches Werkzeug in der Hand
der Regierungen, keine sichere Gewähr für die blinde Gerechtigkeit sei, die Ge¬
schworenengerichte nur Gerichtshöfe für unverfängliche Sachen bilden und der¬
gleichen mehr. Wie erstaunt aber würde ein aus dem Grabe auferstehender
Liberaler von 1840 auf das Deutschland nach 25 Jahren blicken! Es ist
Leben, wo Grabesruhe herrschte, Klarheit und selbstbewußtes Thun, wo Phan¬
tasten und ideale Strebungen walteten, viel Irrthum bei viel richtiger Erkennt¬
niß, viel gesammeltes Vorwärtsdringen bei manchem Ueberhasten und Zuviel¬
thun, mit einem Wort, ein Volk in voller Selbstumwandlung. Fleiß und
Thätigkeit der Bewohner haben den Wohlstand vermehrt und die schlummernden
Kräfte zu reichem Leben entwickelt; die meisten Regierungen, vor allem die
preußische, sind bedacht gewesen zu fördern, aufzumunteni, zu unterstützen und
zu neuem Fortschreiten anzuregen. Das Volk ist auch in de» Besitz der mate¬
riellen Mittel gelangt, um seine Aufgaben auf politischem Gebiete zur Lösung
zu bringen.

Wie schon angedeutet wurde, ist in der für die Geschichte eines Volkes
kurzen Zeit wenig zu Ende geführt, vieles nur begonnen, manches erst an¬
gestrebt. Es bedarf noch langer Arbeit und schwerer Kämpfe, ehe die Grund¬
rechte wirklich den festen unantastbaren und unangetasteten Grund unserer Rechte
bilden und wie viele Jahre könnten noch auf den innern Ausbau unserer Staaten
aufgewendet werden! Allein wir dürfen nicht dem Ideal vom besten Staat
nachstreben und darüber die nationalen Aufgaben bei Seite setzen. Es klingt
schön und volksthümlich zu rufen: erst frei, dann einig; aber der Ruf verhallt
im Winde, wo die Windsbraut gewaltiger Ereignisse unser Schiff in den Strom
wirft, der zur Einigkeit fluthet. Könnten wir wählen, nun dann ließe sich der
Ruf hören, obschon wir ihm ungern folgen möchten; allein es giebt keine
Wahl, der Strom ist mächtiger als das Wort Einzelner, als der Ruf einer
Parthei.

So drängt sich denn die Frage für alle aufrichtigen nationalen auf: was
wird aus den deutschen Grundrechten? Sollen sie einen Theil ihres neuen
Programms bilden oder soll man der unerbittlichen Logik der Thatsachen fol¬
gen und auf die Fahne schreiben: keine Grundrechte, ein geeinigtes Deutschland?

Wir glauben zu wissen, was Graf Bismarck auf die Frage antwortet. Er
würde den Frager lange ansehen und zum zweiten Male sagen: Foppen wir
uns nicht! Meine Grundzüge und nur meine Grundzüge! Was antwortet die
nationale Parthei?

Wir knüpfen hier wieder an die Betrachtung über die Entstehung der
Grundrechte an. Es wurde nachzuweisen versucht, daß die Grundrechte einem
Conflicte politischer und nationaler Interessen, der zu Gunsten der ersteren ge¬
löst wurde, ihren Ursprung verdanken. Man hatte — warum sollte es in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/88>, abgerufen am 02.07.2024.