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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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zu Stande gebrocktes Gesetz, das in der Mehrzahl der Staaten eingeführt ist,
rechtlichen Ausdruck gefunden.

Die von Art. XI aufgestellten Grundsätze für die Gemeindeverfassungen
sind im Wesentlichen in den Landesgesetzgebungen ausgeführt. Nur die Orts¬
polizei ist für große Städte meistens in der Hand des Staats belassen und
den Rittergütern ihre Sonderstellung gewahrt.

Die Landesverfassungen sind in den meisten Staaten nach Art. XII nor-
mirt. Wieweit das Leben ein wirklich constitutionelles geworden, darüber
werden wir uns hier nicht zu verbreiten brauchen.

Der in Art. XIII ausgesprochene Schutz der volksthümlichen Entwickelung
fremder Volksstämme hat nach dem Ausscheiden Oestreichs seine Hauptbedeu¬
tung verloren. Die Schonung der Nativnalitätsrechte ist für die Deutschen
sprichwörtlich.

Der Schutz im Auslande, welchen Art. XIV zuletzt verheißt, ist -- bald
kein leerer Traum mehr. Die preußische Energie wird sorgen, daß die Flotte
ihre Aufgaben auf allen Meeren erfüllt und den deutschen Namen geachtet und
gefürchtet macht.

Diese Uebersicht kann am wenigsten auf Vollständigkeit und Genauigkeit
Anspruch machen. Jeder Kenner der deutschen Verhältnisse weiß, welche außer¬
ordentliche und nur durch besonders günstige Umstände wirklichen Erfolg ver¬
heißende Kraftanstrengungen erforderlich sind, um aus den dreißig und einigen
Gesetzgebungen den Stand einer einzigen Frage zu ermitteln. Unsere Darstel¬
lung soll aber auch nur dazu dienen, Vergleichungsmomente zwischen jetzt und
der Zeit, wo die Grundrechte entstanden, zu gewinnen und für diesen Zweck
wird sie auf billige Beurtheilung rechnen können. Es handelt sich hier nicht
darum, über einzelne differente und zweifelhafte Fragen abzuurtheilen und den
eigenen politischen Standpunkt Specialitäten gegenüber wahrzunehmen, sondern
in unbefangener Weise festzustellen, welchen Werth die Grundrechte für die
Jetztzeit besitzen.

Der allgemeine Eindruck, welchen die Vergleichung hervorruft, ist gewiß
der eines angenehmen Staunens über die unverkennbaren Fortschritte, die wir
auf politischem Gebiete seit 1848 aufzuweisen haben. Nicht, daß wir es schon
ergriffen halten, kann man hier sagen, wir jagen ihm aber nach, daß wir es
ergreifen. Wir haben es herrlich weit gebracht, mag mancher rufen und die
tausend Wünsche aufzählen, die noch unerfüllt, die tausend Mängel, die noch
erhalten sind. Der eifrige Liberale wird Errungenschaften, wie die Aufhebung
der Censur, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, öffentliche
Anklage und Jury, Abschaffung der Patrimonialgerichtsliarkeit. Befreiung von
Grund und Boden übergehen und mit Pathos hervorheben, daß die Concessio-
nirung Buchhandel und Presse hemme, das einzig richtige Preßgesetz noch immer


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zu Stande gebrocktes Gesetz, das in der Mehrzahl der Staaten eingeführt ist,
rechtlichen Ausdruck gefunden.

Die von Art. XI aufgestellten Grundsätze für die Gemeindeverfassungen
sind im Wesentlichen in den Landesgesetzgebungen ausgeführt. Nur die Orts¬
polizei ist für große Städte meistens in der Hand des Staats belassen und
den Rittergütern ihre Sonderstellung gewahrt.

Die Landesverfassungen sind in den meisten Staaten nach Art. XII nor-
mirt. Wieweit das Leben ein wirklich constitutionelles geworden, darüber
werden wir uns hier nicht zu verbreiten brauchen.

Der in Art. XIII ausgesprochene Schutz der volksthümlichen Entwickelung
fremder Volksstämme hat nach dem Ausscheiden Oestreichs seine Hauptbedeu¬
tung verloren. Die Schonung der Nativnalitätsrechte ist für die Deutschen
sprichwörtlich.

Der Schutz im Auslande, welchen Art. XIV zuletzt verheißt, ist — bald
kein leerer Traum mehr. Die preußische Energie wird sorgen, daß die Flotte
ihre Aufgaben auf allen Meeren erfüllt und den deutschen Namen geachtet und
gefürchtet macht.

Diese Uebersicht kann am wenigsten auf Vollständigkeit und Genauigkeit
Anspruch machen. Jeder Kenner der deutschen Verhältnisse weiß, welche außer¬
ordentliche und nur durch besonders günstige Umstände wirklichen Erfolg ver¬
heißende Kraftanstrengungen erforderlich sind, um aus den dreißig und einigen
Gesetzgebungen den Stand einer einzigen Frage zu ermitteln. Unsere Darstel¬
lung soll aber auch nur dazu dienen, Vergleichungsmomente zwischen jetzt und
der Zeit, wo die Grundrechte entstanden, zu gewinnen und für diesen Zweck
wird sie auf billige Beurtheilung rechnen können. Es handelt sich hier nicht
darum, über einzelne differente und zweifelhafte Fragen abzuurtheilen und den
eigenen politischen Standpunkt Specialitäten gegenüber wahrzunehmen, sondern
in unbefangener Weise festzustellen, welchen Werth die Grundrechte für die
Jetztzeit besitzen.

Der allgemeine Eindruck, welchen die Vergleichung hervorruft, ist gewiß
der eines angenehmen Staunens über die unverkennbaren Fortschritte, die wir
auf politischem Gebiete seit 1848 aufzuweisen haben. Nicht, daß wir es schon
ergriffen halten, kann man hier sagen, wir jagen ihm aber nach, daß wir es
ergreifen. Wir haben es herrlich weit gebracht, mag mancher rufen und die
tausend Wünsche aufzählen, die noch unerfüllt, die tausend Mängel, die noch
erhalten sind. Der eifrige Liberale wird Errungenschaften, wie die Aufhebung
der Censur, Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, öffentliche
Anklage und Jury, Abschaffung der Patrimonialgerichtsliarkeit. Befreiung von
Grund und Boden übergehen und mit Pathos hervorheben, daß die Concessio-
nirung Buchhandel und Presse hemme, das einzig richtige Preßgesetz noch immer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/87>, abgerufen am 02.07.2024.