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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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der gesteigerte Bedarf an Lehrkräften nöthigt von selbst, diesen Punkt unaus¬
gesetzt im Auge zu haben. Die Freiheit der Berufswahl und Bildung ist im
Allgemeinen anerkannt. Die Beschränkungen, welche für Studirende hinsichtlich
des Besuchs der Landesuniversitäten bestehen, sind durch den meist aufgehobenen
Eollegienzwang wenigstens abgeschwächt worden.

Das von Art. VII gewährte ',' ne- und Beschwerderecht ist durch die Landes¬
verfassungen gesichert. Die gerichtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen
Amtshandlungen ist in beschränktem Maße gestattet und in diesen Fällen an
die Genehmigung der vorgesetzten Behörde nicht gebunden.

Das Vereins- und Versammlungsrecht, welches Art. VIII behandelt,
unterliegt noch mehrfachen Beschränkungen; aber es ist im Grundsatz an¬
erkannt. Die neuesten Vorgänge bei den londoner Reformmeetings zeigen, daß
auch England auf diesem Gebiete noch von Zweifeln und Polizeimaßregeln
weiß.

Von dem reichhaltigen Stoffe des Art. IX ist wenigstens vieles eingebürgert
und wirkliches Necht. So die Unverletzlichkeit des Eigenthums unter Zulassung
der Enteignung in Fällen des öffentlichen Bedürfnisses, der Schutz des geistigen
Eigenthums, die Beseitigung der Untertänigkeit -- Mecklenburg ausgenommen
-- die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Ablösung von Zehnten
und Abgaben, die Zurückgabe des Jagdrechts an den Eigenthümer. Das Grund¬
eigenthum ist in dem größeren Theile Deutschlands theilbar. die grundherrliche
Polizei mindestens beschränkt und modificnt, der Lehnsverband der Aushebung
entgegengeführt, die Vermögenseinziehung untersagt. Die Gleichheit der Be¬
steuerung hat durch Einführung der Grundsteuer in den östlichen Provinzen
Preußens eine wichtige Ausdehnung erfahren.

Die Normen des Art. X sind eine der Errungenschaften des Jahres 1848
für fast ganz Deutschland und bilden in ihrer Mehrzahl einen festen Bestand¬
theil unseres Rechtssystems. Man streitet eigentlich nicht mehr über Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, öffentliche Anklage und Jury,
sondern darüber, wie diese Grundsätze am besten und entsprechendsten durchzu¬
führen seien. Die Ueberweisung der politische" Vergehen an die Schwurgerichte
ist noch nicht erfolgt, aber viel beantragt und in Erinnerung gebracht; die
Trennung der Rechtspflege und Verwaltung in den meisten Staaten vollzogen.
Die Frage der Competenzconflicte hat noch keine endgiltige Lösung gefunden;
es bestehen aber Gerichtshöfe für ihre Entscheidung. Die Ansichten über die
Zulässigkeit der Verwaltungsrechtspflege sind in einer Krisis begriffen und
dürften sich allmälig derselben zuneigen. Die Frage greift so tief in unsere
Rechtseinrichtungen ein. daß sie nicht so bald zum Austrag gelangen wird.
Die Strafgerichtsbarkeit der Polizei ist entweder beseitigt oder erheblich ein¬
geschränkt. Die Vollstreckbarkeit von Urtheilen hat durch ein vom alten Bunde


der gesteigerte Bedarf an Lehrkräften nöthigt von selbst, diesen Punkt unaus¬
gesetzt im Auge zu haben. Die Freiheit der Berufswahl und Bildung ist im
Allgemeinen anerkannt. Die Beschränkungen, welche für Studirende hinsichtlich
des Besuchs der Landesuniversitäten bestehen, sind durch den meist aufgehobenen
Eollegienzwang wenigstens abgeschwächt worden.

Das von Art. VII gewährte ',' ne- und Beschwerderecht ist durch die Landes¬
verfassungen gesichert. Die gerichtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen
Amtshandlungen ist in beschränktem Maße gestattet und in diesen Fällen an
die Genehmigung der vorgesetzten Behörde nicht gebunden.

Das Vereins- und Versammlungsrecht, welches Art. VIII behandelt,
unterliegt noch mehrfachen Beschränkungen; aber es ist im Grundsatz an¬
erkannt. Die neuesten Vorgänge bei den londoner Reformmeetings zeigen, daß
auch England auf diesem Gebiete noch von Zweifeln und Polizeimaßregeln
weiß.

Von dem reichhaltigen Stoffe des Art. IX ist wenigstens vieles eingebürgert
und wirkliches Necht. So die Unverletzlichkeit des Eigenthums unter Zulassung
der Enteignung in Fällen des öffentlichen Bedürfnisses, der Schutz des geistigen
Eigenthums, die Beseitigung der Untertänigkeit — Mecklenburg ausgenommen
— die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Ablösung von Zehnten
und Abgaben, die Zurückgabe des Jagdrechts an den Eigenthümer. Das Grund¬
eigenthum ist in dem größeren Theile Deutschlands theilbar. die grundherrliche
Polizei mindestens beschränkt und modificnt, der Lehnsverband der Aushebung
entgegengeführt, die Vermögenseinziehung untersagt. Die Gleichheit der Be¬
steuerung hat durch Einführung der Grundsteuer in den östlichen Provinzen
Preußens eine wichtige Ausdehnung erfahren.

Die Normen des Art. X sind eine der Errungenschaften des Jahres 1848
für fast ganz Deutschland und bilden in ihrer Mehrzahl einen festen Bestand¬
theil unseres Rechtssystems. Man streitet eigentlich nicht mehr über Oeffent-
lichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, öffentliche Anklage und Jury,
sondern darüber, wie diese Grundsätze am besten und entsprechendsten durchzu¬
führen seien. Die Ueberweisung der politische» Vergehen an die Schwurgerichte
ist noch nicht erfolgt, aber viel beantragt und in Erinnerung gebracht; die
Trennung der Rechtspflege und Verwaltung in den meisten Staaten vollzogen.
Die Frage der Competenzconflicte hat noch keine endgiltige Lösung gefunden;
es bestehen aber Gerichtshöfe für ihre Entscheidung. Die Ansichten über die
Zulässigkeit der Verwaltungsrechtspflege sind in einer Krisis begriffen und
dürften sich allmälig derselben zuneigen. Die Frage greift so tief in unsere
Rechtseinrichtungen ein. daß sie nicht so bald zum Austrag gelangen wird.
Die Strafgerichtsbarkeit der Polizei ist entweder beseitigt oder erheblich ein¬
geschränkt. Die Vollstreckbarkeit von Urtheilen hat durch ein vom alten Bunde


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[0086] der gesteigerte Bedarf an Lehrkräften nöthigt von selbst, diesen Punkt unaus¬ gesetzt im Auge zu haben. Die Freiheit der Berufswahl und Bildung ist im Allgemeinen anerkannt. Die Beschränkungen, welche für Studirende hinsichtlich des Besuchs der Landesuniversitäten bestehen, sind durch den meist aufgehobenen Eollegienzwang wenigstens abgeschwächt worden. Das von Art. VII gewährte ',' ne- und Beschwerderecht ist durch die Landes¬ verfassungen gesichert. Die gerichtliche Verfolgung öffentlicher Beamten wegen Amtshandlungen ist in beschränktem Maße gestattet und in diesen Fällen an die Genehmigung der vorgesetzten Behörde nicht gebunden. Das Vereins- und Versammlungsrecht, welches Art. VIII behandelt, unterliegt noch mehrfachen Beschränkungen; aber es ist im Grundsatz an¬ erkannt. Die neuesten Vorgänge bei den londoner Reformmeetings zeigen, daß auch England auf diesem Gebiete noch von Zweifeln und Polizeimaßregeln weiß. Von dem reichhaltigen Stoffe des Art. IX ist wenigstens vieles eingebürgert und wirkliches Necht. So die Unverletzlichkeit des Eigenthums unter Zulassung der Enteignung in Fällen des öffentlichen Bedürfnisses, der Schutz des geistigen Eigenthums, die Beseitigung der Untertänigkeit — Mecklenburg ausgenommen — die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeit, die Ablösung von Zehnten und Abgaben, die Zurückgabe des Jagdrechts an den Eigenthümer. Das Grund¬ eigenthum ist in dem größeren Theile Deutschlands theilbar. die grundherrliche Polizei mindestens beschränkt und modificnt, der Lehnsverband der Aushebung entgegengeführt, die Vermögenseinziehung untersagt. Die Gleichheit der Be¬ steuerung hat durch Einführung der Grundsteuer in den östlichen Provinzen Preußens eine wichtige Ausdehnung erfahren. Die Normen des Art. X sind eine der Errungenschaften des Jahres 1848 für fast ganz Deutschland und bilden in ihrer Mehrzahl einen festen Bestand¬ theil unseres Rechtssystems. Man streitet eigentlich nicht mehr über Oeffent- lichkeit und Mündlichkeit des Gerichtsverfahrens, öffentliche Anklage und Jury, sondern darüber, wie diese Grundsätze am besten und entsprechendsten durchzu¬ führen seien. Die Ueberweisung der politische» Vergehen an die Schwurgerichte ist noch nicht erfolgt, aber viel beantragt und in Erinnerung gebracht; die Trennung der Rechtspflege und Verwaltung in den meisten Staaten vollzogen. Die Frage der Competenzconflicte hat noch keine endgiltige Lösung gefunden; es bestehen aber Gerichtshöfe für ihre Entscheidung. Die Ansichten über die Zulässigkeit der Verwaltungsrechtspflege sind in einer Krisis begriffen und dürften sich allmälig derselben zuneigen. Die Frage greift so tief in unsere Rechtseinrichtungen ein. daß sie nicht so bald zum Austrag gelangen wird. Die Strafgerichtsbarkeit der Polizei ist entweder beseitigt oder erheblich ein¬ geschränkt. Die Vollstreckbarkeit von Urtheilen hat durch ein vom alten Bunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/86>, abgerufen am 02.07.2024.