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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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treibenden können noch nicht ganz Deutschland als Feld ihrer Thätigkeit be¬
trachten; aber die Normen, welche für die Neugestaltung des Gewerbewesens auf
nationaler Grundlage in Anwendung kommen sollen, sind, Dank den Bestrebungen
praktischer Gelehrten und der unwiderstehlichen Wucht der Thatsachen, gewonnen
und in einem beträchtlichen Theile Deutschlands als tüchtig erprobt. Die Un¬
klarheit, welche 1848 auf diesem Gebiete herrschte, ist verschwunden und die
Selbstthätigkeit.des Volkes hat sich erfreulich bewährt. Die Bestimmungen des
Artikels sind entweder bereits Gemeingut oder, wo sie es aus politischen Grün¬
den nicht werden konnten, da wird die Bundesreform das Fehlende rasch nach¬
holen. Art. II der bismarckschen Grundzüge vom 10. Juni deutet dies unter 6
bestimmt an.

Die in Art. II behandelten Rechte unterliegen, wie wir glauben, theilweise
gegenwärtig einer den Verhältnissen mehr Rechnung tragenden Auffassung. Das
Urtheil über den Adel, der in seiner Bedeutung seit 1848 übrigens eher m-
ais abgenommen hat, ist im Volke vermuthlich überall noch dasselbe; allein
man strebt jetzt zunächst nach Fortschritten auf dem realen Gebiet und rechnet
mit den gegebenen Größen. Man findet, daß unendlich viel dringlichere Fragen
zu erörtern sind, als die Aufhebung des Adels und die Beseitigung fremder
Orden und bloßer Titel, und wird sich, mögen auch hier und da Tagesredner auf
die Antipathien der Menge durch Beleuchtung dieser Fragen wirken, über sie
nicht ereifern. Die Gleichheit vor dem Gesetze ist ein Grundsatz der Landes¬
verfassungen, ebenso die allgemeine Zugänglichkeit öffentlicher Aemter. Daß die
allgemeine Wehrpflicht nun eine deutsche Einrichtung wird, ist nach den herr¬
lichen Erfolgen der preußischen Waffen außer allem Zweifel.

Die Unverletzlichkeit von Person und Wohnung, welche Art. III verkündet,
ist mehr oder weniger in alle Strafgesetzgebungen übergegangen. Die Fort¬
schritte, welche auf diesem Gebiete dem Polizeiregimente abgerungen sind, lassen
sich nicht verkennen. Mit ihnen ist aber auch die Einsicht allgemeiner geworden,
daß Grundsätze dieser Art leichter ausgesprochen als durchgeführt, daß sie nicht
die Früchte momentaner Bestrebungen, sondern langgeübter, auf seine Rechte
eifersüchtiger Selbstthätigkeit des Volkes sind. Die Abschaffung der Todesstrafe
ist immer noch ein Gegenstand des Streits zwischen den Männern der Theorie
und einer an den überlieferten Ideen hartnäckig festhaltenden Praxis; die rühm¬
lichen Vorgänge einzelner Staaten haben jedoch die Bahn gebrochen und geben
praktische Belege für die Entbehrlichkeit der Strafe in Deutschland. Uebrigens
scheint die Zeit vorbei zu sein, wo man die Aufhebung der Todesstrafe aus
rechtsphilosophischen Gründen mit Eifer und Begeisterung forderte: man fühlt
die praktische Tragweite der Frage und wird mit diesem Bewußtsein an ihre
Lösung herantreten. Die wichtigen Forschungen, welche nach 1848 über Straf¬
arten und Strafverbüßung angestellt sind, haben für die ganze Materie eine


treibenden können noch nicht ganz Deutschland als Feld ihrer Thätigkeit be¬
trachten; aber die Normen, welche für die Neugestaltung des Gewerbewesens auf
nationaler Grundlage in Anwendung kommen sollen, sind, Dank den Bestrebungen
praktischer Gelehrten und der unwiderstehlichen Wucht der Thatsachen, gewonnen
und in einem beträchtlichen Theile Deutschlands als tüchtig erprobt. Die Un¬
klarheit, welche 1848 auf diesem Gebiete herrschte, ist verschwunden und die
Selbstthätigkeit.des Volkes hat sich erfreulich bewährt. Die Bestimmungen des
Artikels sind entweder bereits Gemeingut oder, wo sie es aus politischen Grün¬
den nicht werden konnten, da wird die Bundesreform das Fehlende rasch nach¬
holen. Art. II der bismarckschen Grundzüge vom 10. Juni deutet dies unter 6
bestimmt an.

Die in Art. II behandelten Rechte unterliegen, wie wir glauben, theilweise
gegenwärtig einer den Verhältnissen mehr Rechnung tragenden Auffassung. Das
Urtheil über den Adel, der in seiner Bedeutung seit 1848 übrigens eher m-
ais abgenommen hat, ist im Volke vermuthlich überall noch dasselbe; allein
man strebt jetzt zunächst nach Fortschritten auf dem realen Gebiet und rechnet
mit den gegebenen Größen. Man findet, daß unendlich viel dringlichere Fragen
zu erörtern sind, als die Aufhebung des Adels und die Beseitigung fremder
Orden und bloßer Titel, und wird sich, mögen auch hier und da Tagesredner auf
die Antipathien der Menge durch Beleuchtung dieser Fragen wirken, über sie
nicht ereifern. Die Gleichheit vor dem Gesetze ist ein Grundsatz der Landes¬
verfassungen, ebenso die allgemeine Zugänglichkeit öffentlicher Aemter. Daß die
allgemeine Wehrpflicht nun eine deutsche Einrichtung wird, ist nach den herr¬
lichen Erfolgen der preußischen Waffen außer allem Zweifel.

Die Unverletzlichkeit von Person und Wohnung, welche Art. III verkündet,
ist mehr oder weniger in alle Strafgesetzgebungen übergegangen. Die Fort¬
schritte, welche auf diesem Gebiete dem Polizeiregimente abgerungen sind, lassen
sich nicht verkennen. Mit ihnen ist aber auch die Einsicht allgemeiner geworden,
daß Grundsätze dieser Art leichter ausgesprochen als durchgeführt, daß sie nicht
die Früchte momentaner Bestrebungen, sondern langgeübter, auf seine Rechte
eifersüchtiger Selbstthätigkeit des Volkes sind. Die Abschaffung der Todesstrafe
ist immer noch ein Gegenstand des Streits zwischen den Männern der Theorie
und einer an den überlieferten Ideen hartnäckig festhaltenden Praxis; die rühm¬
lichen Vorgänge einzelner Staaten haben jedoch die Bahn gebrochen und geben
praktische Belege für die Entbehrlichkeit der Strafe in Deutschland. Uebrigens
scheint die Zeit vorbei zu sein, wo man die Aufhebung der Todesstrafe aus
rechtsphilosophischen Gründen mit Eifer und Begeisterung forderte: man fühlt
die praktische Tragweite der Frage und wird mit diesem Bewußtsein an ihre
Lösung herantreten. Die wichtigen Forschungen, welche nach 1848 über Straf¬
arten und Strafverbüßung angestellt sind, haben für die ganze Materie eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/84>, abgerufen am 02.07.2024.