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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Mängel, deren Beseitigung unerläßlich ist, und es fehlt auch nicht an gemä¬
ßigten und deshalb praktischen Reformvorschlägen. Aber trotz alledem hat jene
so viel verlachte Sprachbenklehre eines Wurst, die noch immer die Basis der
sprachwissenschaftlichen Weisheit der meisten unserer Elementarlehrer bildet, doch
auch ihre eminenten Verdienste um den Fortschritt der sprachlichen Cultur in
Deutschland und wenn auch nur so. daß sie zufällig das Werkzeug gewesen ist,
dessen sich der Genius der Cultur bedient hat, um in die stockende und dumpfe
Abgeschlossenheit der Volkssprache die Keime einer freieren und schöneren Ent¬
wickelung zu streuen. Diese moderne Volksschule wirkt nicht allein indirect aus
die Volkssprache, wie sie es etwa in früheren Jahrhunderten gethan hat, son¬
dern sie führt dieser direct eine Menge neuer Elemente zu, durch welche ihr
ganzes Gepräge als Dialekt wesentlich verändert und in gewisser Beziehung
zerstört werden muß und zum Theil schon zerstört worden ist. Selbstverständlich
bleiben die Leistungen dieses Institutes auch auf dem sprachlichen Felde weit
hinter dem Ideale zurück, das sich die Theorie gebildet hat oder das aus den
Köpfen einzelner jugendlicher Volksbildner hinaus in die Wirklichkeit will.
Ginge es ihnen nach, so wäre es schon längst um die Existenz aller Volks¬
mundart geschehen. Sie begnügen sich nicht damit, ihre Schüler und Schüle¬
rinnen während des eigentlichen Schulunterrichts zum Gebrauche des schrist-
mäßigen Ausdrucks anzuhalten, sie verlangen auch, daß sich die liebe Jugend
auf der Gasse und im Hause an den steifen Faltenwurf dieses fremdartigen
Sonntagsstaates gewöhne. Ergötzliche Beispiele solcher Bildungsversuche und
der dadurch erzielten Resultate sind schon in den Anekdotenschatz dieser unserer
Zeit übergegangen. Jedenfalls könnten jene" enthusiastischen Vorkämpfer der
Cultursprache daraus lernen, daß weder ein einzelner "Schulmeister" alten Stils,
noch ein einzelner "Herr Lehrer" modernen Stils kräftig genug ist, um die
Volkssprache mit einem Male und gründlich umzumodeln. Sie selbst mögen
immerhin mit dem besten Beispiele vorangehen. Es ist wahrhaft bewunderns-
werth. wenn auch die Bewunderung, offen gestanden, einen kleinen Beischmack
von Ironie nicht ausschließt, wie energisch der regelrechte moderne Volkslehrer
an sich selbst gegen alles das kämpft, was nach seinem besten Wissen gegen die
Reinheit der Sprache verstößt. Solche lebendige Mustersammlungen echt hoch¬
deutscher Diction sind natürlich die feurigsten Parteigänger für die Sache, an
die sie selbst so viel Schweiß gewandt haben. Aber das zähe Bauerthum läßt
sich dadurch allein nicht aus seiner Position verdrängen. Unter der städtischen
Jugend sind allerdings ihre Erfolge auch viel handgreiflicher, aber hauptsächlich
weil hier eine Menge anderer nach gleichem Ziele hin wirkender Einflüsse ihren
Bemühungen zu Hilfe kommen, wovon auf dem Lande noch wenig zu spüren ist.

In der städtischen Bevölkerung der Gegenwart ist jener nivellirende Zug,
der unsere Zeit überhaupt charakterisirt, auch in den Borgängen der sprachlichen


Mängel, deren Beseitigung unerläßlich ist, und es fehlt auch nicht an gemä¬
ßigten und deshalb praktischen Reformvorschlägen. Aber trotz alledem hat jene
so viel verlachte Sprachbenklehre eines Wurst, die noch immer die Basis der
sprachwissenschaftlichen Weisheit der meisten unserer Elementarlehrer bildet, doch
auch ihre eminenten Verdienste um den Fortschritt der sprachlichen Cultur in
Deutschland und wenn auch nur so. daß sie zufällig das Werkzeug gewesen ist,
dessen sich der Genius der Cultur bedient hat, um in die stockende und dumpfe
Abgeschlossenheit der Volkssprache die Keime einer freieren und schöneren Ent¬
wickelung zu streuen. Diese moderne Volksschule wirkt nicht allein indirect aus
die Volkssprache, wie sie es etwa in früheren Jahrhunderten gethan hat, son¬
dern sie führt dieser direct eine Menge neuer Elemente zu, durch welche ihr
ganzes Gepräge als Dialekt wesentlich verändert und in gewisser Beziehung
zerstört werden muß und zum Theil schon zerstört worden ist. Selbstverständlich
bleiben die Leistungen dieses Institutes auch auf dem sprachlichen Felde weit
hinter dem Ideale zurück, das sich die Theorie gebildet hat oder das aus den
Köpfen einzelner jugendlicher Volksbildner hinaus in die Wirklichkeit will.
Ginge es ihnen nach, so wäre es schon längst um die Existenz aller Volks¬
mundart geschehen. Sie begnügen sich nicht damit, ihre Schüler und Schüle¬
rinnen während des eigentlichen Schulunterrichts zum Gebrauche des schrist-
mäßigen Ausdrucks anzuhalten, sie verlangen auch, daß sich die liebe Jugend
auf der Gasse und im Hause an den steifen Faltenwurf dieses fremdartigen
Sonntagsstaates gewöhne. Ergötzliche Beispiele solcher Bildungsversuche und
der dadurch erzielten Resultate sind schon in den Anekdotenschatz dieser unserer
Zeit übergegangen. Jedenfalls könnten jene" enthusiastischen Vorkämpfer der
Cultursprache daraus lernen, daß weder ein einzelner „Schulmeister" alten Stils,
noch ein einzelner „Herr Lehrer" modernen Stils kräftig genug ist, um die
Volkssprache mit einem Male und gründlich umzumodeln. Sie selbst mögen
immerhin mit dem besten Beispiele vorangehen. Es ist wahrhaft bewunderns-
werth. wenn auch die Bewunderung, offen gestanden, einen kleinen Beischmack
von Ironie nicht ausschließt, wie energisch der regelrechte moderne Volkslehrer
an sich selbst gegen alles das kämpft, was nach seinem besten Wissen gegen die
Reinheit der Sprache verstößt. Solche lebendige Mustersammlungen echt hoch¬
deutscher Diction sind natürlich die feurigsten Parteigänger für die Sache, an
die sie selbst so viel Schweiß gewandt haben. Aber das zähe Bauerthum läßt
sich dadurch allein nicht aus seiner Position verdrängen. Unter der städtischen
Jugend sind allerdings ihre Erfolge auch viel handgreiflicher, aber hauptsächlich
weil hier eine Menge anderer nach gleichem Ziele hin wirkender Einflüsse ihren
Bemühungen zu Hilfe kommen, wovon auf dem Lande noch wenig zu spüren ist.

In der städtischen Bevölkerung der Gegenwart ist jener nivellirende Zug,
der unsere Zeit überhaupt charakterisirt, auch in den Borgängen der sprachlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/75>, abgerufen am 02.07.2024.