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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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die nothwendigen Borkenntnisse für diese Dinge besitzt, kann aber auch in den
confessionell nicht zersplitterten, sondern nur gemischten Theilen Mittel- und
Süddeutschlands jedem noch in der Naivetät seines Dialektes befangenen Bauer
anhören, ob er in einem katholischen oder protestantischen Dorfe daheim ist.
Es wird oft dem genauesten Kenner der Localdialekte schwer werden zu bestimmen,
ob dies Dorf am Main oder an der Nednitz. an der Nidda oder an der Wetter
liegt, aber den protestantischen Klang hört er doch schon von ferne aus den
geschmeidigeren, weicheren Lauten, aus dem bewegteren Fluß der Worte heraus,
auch wenn er sie selbst noch gar nicht verstehen kann. Das Katholische stellt
sich überall als das relativ Einfachere, Alterthümlichere in Färbung und Modu-
lation dar. Es klingt derber, gelegentlich wohl auch voller, aber noch öfter
roher und elementarer; es fließt zäher von den Lippen, es bat eine viel be¬
schränktere Rhythmik. Geht man seinen Wortbcstandtheilcn genauer nach, so
finden sich verwandte Eigenschaften. Es hat in sich gewöhnlich noch Reste
älterer Sprachperioden erhalten, die derselbe protestantische Dialekt schon völlig
mit dem Boden verarbeitet hat. Lautgesetze und Flexionen sind so zwischen
zwei Nachbardörfern nicht weniger als durch ein paar hundert Jahre sprach¬
geschichtlicher Evolutionen getrennt; wohl bemerkt, nicht etwa da, wo uralte
Volks- und Sprachgrenzen noch jetzt in gewisser Stabilität sich erhalten haben,
wie zwischen der Gesammtmasse des bayrischen und des schwäbischen oder frän¬
kischen Dialektes. Hier versteht es sich von selbst, daß z. B. ein bayerisches
Grenzdorf in der Oberpfalz linguistisch von seinem eine Viertelstunde entfernten
fränkischen Nachbardorfe ferner abliegt als von dem letzten deutsch-tirolischen
Grenzdorfe, das vierzig bis fünfzig Meilen Weges von ihm entfernt. Es han¬
delt sich in unserm Falle um ein und dieselbe Sprachgruppe, ja selbst um die
feinsten Gliederungen in ihr, wo nach den sonst giltigen Entwickelungsgesetzen
der Mundarten wohl auch ganz feine Unterschiede vorhanden sein könnten.
Aber sie würden sich dann in ganz anderer Weise gestalten, sie würden nicht
blos die gemeinsame Basis der Mundart, sondern auch ein und dasselbe Niveau
ihrer Gestaltung erkennen lassen, während so die gemeinsame Basis zwar unver¬
kennbar vorhanden, aber das Niveau ein so gründlich verschiedenes geworden
ist. Will man sich vollständig über diesen eigenthümlichen Zug unseres Sprach¬
lebens ins Klare setzen, so mache man die umgekehrte Probe. Man untersuche
die Abweichungen der Mundart zwischen den Nachbarorten gleicher Konfession
und man wird finden, daß solche auch auf engstem Raume zwar vorhanden,
aber ein ganz anderes Gepräge haben als da, wo neben dem Raum und viel
mächtiger als der Raum auch noch die Konfession trennt und individualisirt.
Die Probe ist überall leicht zu machen, weil neben den confessionell zerschnittenen
Gauen immer auch andere in dichtester Nachbarschaft liegen, die nur einer ein¬
zigen Consesston angehören.


die nothwendigen Borkenntnisse für diese Dinge besitzt, kann aber auch in den
confessionell nicht zersplitterten, sondern nur gemischten Theilen Mittel- und
Süddeutschlands jedem noch in der Naivetät seines Dialektes befangenen Bauer
anhören, ob er in einem katholischen oder protestantischen Dorfe daheim ist.
Es wird oft dem genauesten Kenner der Localdialekte schwer werden zu bestimmen,
ob dies Dorf am Main oder an der Nednitz. an der Nidda oder an der Wetter
liegt, aber den protestantischen Klang hört er doch schon von ferne aus den
geschmeidigeren, weicheren Lauten, aus dem bewegteren Fluß der Worte heraus,
auch wenn er sie selbst noch gar nicht verstehen kann. Das Katholische stellt
sich überall als das relativ Einfachere, Alterthümlichere in Färbung und Modu-
lation dar. Es klingt derber, gelegentlich wohl auch voller, aber noch öfter
roher und elementarer; es fließt zäher von den Lippen, es bat eine viel be¬
schränktere Rhythmik. Geht man seinen Wortbcstandtheilcn genauer nach, so
finden sich verwandte Eigenschaften. Es hat in sich gewöhnlich noch Reste
älterer Sprachperioden erhalten, die derselbe protestantische Dialekt schon völlig
mit dem Boden verarbeitet hat. Lautgesetze und Flexionen sind so zwischen
zwei Nachbardörfern nicht weniger als durch ein paar hundert Jahre sprach¬
geschichtlicher Evolutionen getrennt; wohl bemerkt, nicht etwa da, wo uralte
Volks- und Sprachgrenzen noch jetzt in gewisser Stabilität sich erhalten haben,
wie zwischen der Gesammtmasse des bayrischen und des schwäbischen oder frän¬
kischen Dialektes. Hier versteht es sich von selbst, daß z. B. ein bayerisches
Grenzdorf in der Oberpfalz linguistisch von seinem eine Viertelstunde entfernten
fränkischen Nachbardorfe ferner abliegt als von dem letzten deutsch-tirolischen
Grenzdorfe, das vierzig bis fünfzig Meilen Weges von ihm entfernt. Es han¬
delt sich in unserm Falle um ein und dieselbe Sprachgruppe, ja selbst um die
feinsten Gliederungen in ihr, wo nach den sonst giltigen Entwickelungsgesetzen
der Mundarten wohl auch ganz feine Unterschiede vorhanden sein könnten.
Aber sie würden sich dann in ganz anderer Weise gestalten, sie würden nicht
blos die gemeinsame Basis der Mundart, sondern auch ein und dasselbe Niveau
ihrer Gestaltung erkennen lassen, während so die gemeinsame Basis zwar unver¬
kennbar vorhanden, aber das Niveau ein so gründlich verschiedenes geworden
ist. Will man sich vollständig über diesen eigenthümlichen Zug unseres Sprach¬
lebens ins Klare setzen, so mache man die umgekehrte Probe. Man untersuche
die Abweichungen der Mundart zwischen den Nachbarorten gleicher Konfession
und man wird finden, daß solche auch auf engstem Raume zwar vorhanden,
aber ein ganz anderes Gepräge haben als da, wo neben dem Raum und viel
mächtiger als der Raum auch noch die Konfession trennt und individualisirt.
Die Probe ist überall leicht zu machen, weil neben den confessionell zerschnittenen
Gauen immer auch andere in dichtester Nachbarschaft liegen, die nur einer ein¬
zigen Consesston angehören.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/73>, abgerufen am 02.07.2024.