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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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einen viel wirksameren Einfluß und drängen den Unterschied der Confession in
der Sprache ebenso zurück, wie sie es im gewöhnlichen Leben thun, wo ja auch
Katholiken und Protestanten auf gleiche Weise zu den reicheren und ärmeren
Classen zu gehören oder ihr Contingent zu der Schneider- und Schusterzunft zu
stellen Pflegen. Nur wo ein oder das andere dieser erwähnten Momente mit
dem confessionellen sich verbindet, da mag man berechtigt sein, diesem letzteren
als dem innerlich bedeutsamsten -- das war es wenigstens überall bis auf
unsere Tage herab und ist es auch jetzt noch mehr, als man gewöhnlich glaubt
-- eine gewisse Hegemonie zuzugestehen, die aber eine relative Selbstthätigkeit
der andern nicht ausschließt. So z. B. wenn in der Stadt Augsburg, die be¬
kanntlich zu den confessionell am meisten gemischten deutschen Städten gehört
und zugleich zu denen, die sich mit einer sprichwörtlich gewordenen Pedanterie
die Parität in allen und jeden Beziehungen zu wahren suchten, ein auch local
scharf von den übrigen abgegrenzter Stadttheil, unten am Lech, dicht an der
Grenze des stockkatholischen Altbayerns, hauptsächlich von Webern bewohnt
wurde, die durchweg der katholischen Kirche angehörten. Ihre Mundart unter¬
scheidet sich markirter von der in der übrigen Stadt giltigen, als es sonst die
Mundart zweier Nachbarorte thut. Hier hat man Recht, von einem katholischen
augsburger Dialekt und von einem protestantischen zu sprechen. Denn, die
übrige Stadt ist zwar nicht ausschließlich von Protestanten bewohnt, sie über¬
wogen aber wenigstens in früheren Zeiten nicht blos an Zahl, sondern auch
an Bildung und Vermögen so sehr, daß sie ihrem localen Bereich auch einen
bestimmten mundartlichen Stempel ausdrückten, den man eben darum a priori
protestantisch nennen darf. Aehnliche Erscheinungen ließen sich noch mehre auf¬
führen. Jenseits der Grenzen der christlichen Confessionen gehört auch die
mundartliche Abgeschlossenheit der jüdischen Einwohner einigermaßen hierher, wo
sie in größeren Massen, früher meist auf einen Stadttheil beschränkt, zusammen¬
wohnen. Doch ist hier der religöse Typus so unauflöslich mit dem nationellen
und socialen verwoben. daß es schwer zu sagen ist, welchem davon das Ueber¬
gewicht zukommt.

Wo aber Protestanten und Katholiken in natürlich geschlossenen kleineren
Gruppen unter einander wohnen, also etwa dörferweise, da wiederholt sich im
Kleinen stets dasselbe, was im Großen auch der oberflächlichsten Betrachtung
nicht entgehen kann, wo es sich um weite Landschaften mit compact-confessio-
neller Bevölkerung handelt. Es ist schon vorhin der bayrische Dialekt, der
auch in seiner engeren Begrenzung immerhin ein Gebiet von 7--800 Quadrat¬
meilen umfaßt, als Beispiel für den negativen Einfluß des Katholicismus auf
die Mundart angeführt, negativ, wenn man unter positiv vernünftigerweise die
Durchdringung derselben durch die Mächte der höheren menschlichen Bildung
und Gesittung auch auf sprachlichem Felde versteht. Wer das rechte Ohr und >


einen viel wirksameren Einfluß und drängen den Unterschied der Confession in
der Sprache ebenso zurück, wie sie es im gewöhnlichen Leben thun, wo ja auch
Katholiken und Protestanten auf gleiche Weise zu den reicheren und ärmeren
Classen zu gehören oder ihr Contingent zu der Schneider- und Schusterzunft zu
stellen Pflegen. Nur wo ein oder das andere dieser erwähnten Momente mit
dem confessionellen sich verbindet, da mag man berechtigt sein, diesem letzteren
als dem innerlich bedeutsamsten — das war es wenigstens überall bis auf
unsere Tage herab und ist es auch jetzt noch mehr, als man gewöhnlich glaubt
— eine gewisse Hegemonie zuzugestehen, die aber eine relative Selbstthätigkeit
der andern nicht ausschließt. So z. B. wenn in der Stadt Augsburg, die be¬
kanntlich zu den confessionell am meisten gemischten deutschen Städten gehört
und zugleich zu denen, die sich mit einer sprichwörtlich gewordenen Pedanterie
die Parität in allen und jeden Beziehungen zu wahren suchten, ein auch local
scharf von den übrigen abgegrenzter Stadttheil, unten am Lech, dicht an der
Grenze des stockkatholischen Altbayerns, hauptsächlich von Webern bewohnt
wurde, die durchweg der katholischen Kirche angehörten. Ihre Mundart unter¬
scheidet sich markirter von der in der übrigen Stadt giltigen, als es sonst die
Mundart zweier Nachbarorte thut. Hier hat man Recht, von einem katholischen
augsburger Dialekt und von einem protestantischen zu sprechen. Denn, die
übrige Stadt ist zwar nicht ausschließlich von Protestanten bewohnt, sie über¬
wogen aber wenigstens in früheren Zeiten nicht blos an Zahl, sondern auch
an Bildung und Vermögen so sehr, daß sie ihrem localen Bereich auch einen
bestimmten mundartlichen Stempel ausdrückten, den man eben darum a priori
protestantisch nennen darf. Aehnliche Erscheinungen ließen sich noch mehre auf¬
führen. Jenseits der Grenzen der christlichen Confessionen gehört auch die
mundartliche Abgeschlossenheit der jüdischen Einwohner einigermaßen hierher, wo
sie in größeren Massen, früher meist auf einen Stadttheil beschränkt, zusammen¬
wohnen. Doch ist hier der religöse Typus so unauflöslich mit dem nationellen
und socialen verwoben. daß es schwer zu sagen ist, welchem davon das Ueber¬
gewicht zukommt.

Wo aber Protestanten und Katholiken in natürlich geschlossenen kleineren
Gruppen unter einander wohnen, also etwa dörferweise, da wiederholt sich im
Kleinen stets dasselbe, was im Großen auch der oberflächlichsten Betrachtung
nicht entgehen kann, wo es sich um weite Landschaften mit compact-confessio-
neller Bevölkerung handelt. Es ist schon vorhin der bayrische Dialekt, der
auch in seiner engeren Begrenzung immerhin ein Gebiet von 7—800 Quadrat¬
meilen umfaßt, als Beispiel für den negativen Einfluß des Katholicismus auf
die Mundart angeführt, negativ, wenn man unter positiv vernünftigerweise die
Durchdringung derselben durch die Mächte der höheren menschlichen Bildung
und Gesittung auch auf sprachlichem Felde versteht. Wer das rechte Ohr und >


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/72>, abgerufen am 02.07.2024.