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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Fortschritte gemacht hat, ist es natürlich genug, daß auch die Sprache der
Bücher, die für das Volk bestimmt sind, einen einigermaßen archaistischen oder
altmodischen Beigeschmack haben muß.

Das confessionelle Element spielt auch jetzt noch in der Bewegung unserer
Sprache auf protestantischer Seite eine ähnliche Rolle wie in dem Reformations-
zeitalter, nur ist der Pragmatismus seiner Wirksamkeit ein anderer geworden.
Damals repräsentirte es- auch sprachlich den Fortschritt, die Bildung und Be¬
freiung des Volkes aus seiner dumpfen Naivetät, wie umgekehrt die katholische
Reaction auch auf dem Gebiete der Sprache das Zurücksinken in jene traurig¬
sten Zustände einer gewaltsam und reflectirt aufgezwungenen Unreife und Ver¬
sumpfung bedeutete. Alle deutschen Mundarten der protestantischen Theile
unseres Vaterlandes haben damals nachweislich rasche Fortschritte nach einem
von der Natur und Vernunft selbst festgesteckten Ziele, nach ihrer organischen
Verbindung und Anlehnung an die Schriftsprache gemacht. Ihre Resultate
verschwinden zwar im Vergleich mit denen der Gegenwart, aber man darf nicht
vergessen, daß jetzt eine Reihe von Factoren wirkt, welche damals noch nicht
vorhanden waren. Damals war es die neue Kirche, welche die Erziehung des
Volkes zu einer höheren Stufe der Bildung auch in der Sprache übernommen
hatte. Jeder protestantische Pfarrer fühlte in seinem Gewissen neben der Sorge
für die reine Lehre auch die für die reine Sprache, denn die eine wie die
andere hatte ihm sein Meister ans Herz gelegt. Er wirkte dafür nach Kräften
in den damals noch so viel häufigeren Veranlassungen zur Rede, die ihm sein
geistlicher Beruf gab. in den überall fast täglichen Predigten, in dem seelsorger¬
lichem Verkehre mit seiner Gemeinde. Wo nach dem Plane der Reformatoren
die Volksschule wirklich ins Leben trat, also namentlich in den mitteldeutschen
Ländern, wurde sie ein zweiter Hebel zur Verbreitung der Schnfisprache.

Wer die deutschen Mundarten der Gegenwart in ihrem Verhältniß zur
Schriftsprache und unter sich mit einander vergleicht, entdeckt überall die Ergeb-
nisse dieser bildenden Thätigkeit des protestantischen Geistes. Man muß con-
fessionell gewisse Landstriche als Basis für solche Untersuchungen wählen, aber
nicht solche, in denen die Mischung bis zu einer Atomisirung der Elemente ge¬
führt hat. wie z. B. in manchen Theilen Schlesiens, Frankens und der Rhein-
lande. Denn wo jede Ortschaft halb der einen, halb der andern Confession
angehört, wo sogar jedes Haus im Kleinen die Mischungsverhältnisse des Ganzen
wiederholt, ist es beinahe unmöglich, Unterschiede der Sprache, die auf diese
Ursache zurückgeführt werden dürfen, zu constatiren Sie werden nicht fehlen,
aber sie müssen so fein sein, daß der Beobachter immer Gefahr läuft, durch die
allzu minutiöse Subtilität seines Objectes in Täuschungen zu versinken. Andere
Momente, wie der Einfluß der verschiedenen Beschäftigungen, der Stände, oder
in einer ausgedehnteren Ortschaft des speciellen Theiles derselben erhalten dann


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Fortschritte gemacht hat, ist es natürlich genug, daß auch die Sprache der
Bücher, die für das Volk bestimmt sind, einen einigermaßen archaistischen oder
altmodischen Beigeschmack haben muß.

Das confessionelle Element spielt auch jetzt noch in der Bewegung unserer
Sprache auf protestantischer Seite eine ähnliche Rolle wie in dem Reformations-
zeitalter, nur ist der Pragmatismus seiner Wirksamkeit ein anderer geworden.
Damals repräsentirte es- auch sprachlich den Fortschritt, die Bildung und Be¬
freiung des Volkes aus seiner dumpfen Naivetät, wie umgekehrt die katholische
Reaction auch auf dem Gebiete der Sprache das Zurücksinken in jene traurig¬
sten Zustände einer gewaltsam und reflectirt aufgezwungenen Unreife und Ver¬
sumpfung bedeutete. Alle deutschen Mundarten der protestantischen Theile
unseres Vaterlandes haben damals nachweislich rasche Fortschritte nach einem
von der Natur und Vernunft selbst festgesteckten Ziele, nach ihrer organischen
Verbindung und Anlehnung an die Schriftsprache gemacht. Ihre Resultate
verschwinden zwar im Vergleich mit denen der Gegenwart, aber man darf nicht
vergessen, daß jetzt eine Reihe von Factoren wirkt, welche damals noch nicht
vorhanden waren. Damals war es die neue Kirche, welche die Erziehung des
Volkes zu einer höheren Stufe der Bildung auch in der Sprache übernommen
hatte. Jeder protestantische Pfarrer fühlte in seinem Gewissen neben der Sorge
für die reine Lehre auch die für die reine Sprache, denn die eine wie die
andere hatte ihm sein Meister ans Herz gelegt. Er wirkte dafür nach Kräften
in den damals noch so viel häufigeren Veranlassungen zur Rede, die ihm sein
geistlicher Beruf gab. in den überall fast täglichen Predigten, in dem seelsorger¬
lichem Verkehre mit seiner Gemeinde. Wo nach dem Plane der Reformatoren
die Volksschule wirklich ins Leben trat, also namentlich in den mitteldeutschen
Ländern, wurde sie ein zweiter Hebel zur Verbreitung der Schnfisprache.

Wer die deutschen Mundarten der Gegenwart in ihrem Verhältniß zur
Schriftsprache und unter sich mit einander vergleicht, entdeckt überall die Ergeb-
nisse dieser bildenden Thätigkeit des protestantischen Geistes. Man muß con-
fessionell gewisse Landstriche als Basis für solche Untersuchungen wählen, aber
nicht solche, in denen die Mischung bis zu einer Atomisirung der Elemente ge¬
führt hat. wie z. B. in manchen Theilen Schlesiens, Frankens und der Rhein-
lande. Denn wo jede Ortschaft halb der einen, halb der andern Confession
angehört, wo sogar jedes Haus im Kleinen die Mischungsverhältnisse des Ganzen
wiederholt, ist es beinahe unmöglich, Unterschiede der Sprache, die auf diese
Ursache zurückgeführt werden dürfen, zu constatiren Sie werden nicht fehlen,
aber sie müssen so fein sein, daß der Beobachter immer Gefahr läuft, durch die
allzu minutiöse Subtilität seines Objectes in Täuschungen zu versinken. Andere
Momente, wie der Einfluß der verschiedenen Beschäftigungen, der Stände, oder
in einer ausgedehnteren Ortschaft des speciellen Theiles derselben erhalten dann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/71>, abgerufen am 02.07.2024.