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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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thümUche Moment zur eigentlichen Voraussetzung hat. z. B. bei Auerbach, ver¬
steht sich ein modificirter Einfluß des Localdialekts von selbst. Die Dorf¬
geschichten wären ohne eine solche Lvcalfärbung nicht genießbar, so wenig wie
Theokrits Idyllen ohne jene dorische Hülle, die freilich noch etwas Anderes als
ein deutscher Localdialekt ist. Uebrigens hat grade Auerbach, wahrscheinlich
ohne alles reflectirtes Bemühen, seine schwäbelnder Sprachbestandtheile in eine
gewisse höhere und allgemeinere Sphäre gerückt, als sie einer bloßen Copie der
Wirklichkeit zukommen kann.

Dagegen kann man sich umgekehrt den Einfluß der Schriftsprache auf
unsere Mundarten während des letzten Jahrhunderts kaum groß genug vor¬
stellen. Bis etwa in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war davon nichts
zu merken. Keine Periode unserer Sprachgeschichte zeigt eine solche Stagnation
wie die Zeit vom dreißigjährigen Kriege bis dahin. Unmittelbar vor dem Be¬
ginne dieser Katastrophe und zum Theil auch noch ehe sie ihre späteren kolossalen
Dimensionen annahm, war die Schriftsprache wenigstens in einem lebhaften
Umformungsprocesse begriffen, wenn es auch kein naturwüchsiger und heilsamer
war. Aber man darf wohl behaupten, daß erst mit Haller und Klopstock eine
weitere Phase darin eingetreten ist, die eigentlich unmittelbar nach Opitz hätte
folgen müssen. Die Mundarten sind etwa vom Beginne der Reformation an
bis zu diesem Zeitpunkt tief durchdrungen worden von den Einflüssen der
Schriftsprache, aber es ist nicht so leicht, die fertigen Ergebnisse davon aufzu¬
weisen, weil die Schriftsprache selbst noch halb unter der Gewalt der früheren
volksthümlichen Sprachtradition stand und zu wenig einheitlich formirt und fixirt
war. Denn Luthers Einfluß auf die Sprache wird doch gewöhnlich zu sehr
überschätzt, zum Theil durch die Schuld seiner eifrigsten sprachlichen Parteigänger.
Sie waren es bekanntlich immer aus confessionellem Interesse. Luther sollte
auf allen Gebieten des Geisteslebens als Autokrat dastehen, so verstanden sie
die durch die Reformation gewonnene Freiheit des Geistes. Es ist eigentlich
nur das Kirchenlied und die populäre Erbauungsliteratur auf protestantischer
Seite, in denen Luthers Art auch in der Sprache eine Dictatur übt. Nickis
ist gewöhnlicher, als daß sich die Epigonen auf sein sprachliches Muster berufen,
ihn so zu sagen als den Klassiker an sich betrachten, aber es ist oft schwer,
irgendetwas in der Sprache solcher Jünger aufzufinden, was nothwendig von
ihm herstammt und nicht ihm sammt der ganzen Zeit gehört. Dennoch strömt
auch in dieser Zeit viel mehr Kraftwirkung von der Schriftsprache auf die
Dialekte, als umgekehrt von jenen auf diese und es ist somit im Wesentlichen
schon der noch jetzt giltige Zustand festgestellt. Eine überwiegend gelehrte
Sprache oder eine Sprache der Gelehrten und Bücher, wie es das Neuhoch¬
deutsche von seinem ersten Athemzuge an gewesen ist, kann auch wohl nicht
anders, als sich entweder ganz von den Volksmundartcn absperren oder sie


Grenzboten IV. 1LK6. 8

thümUche Moment zur eigentlichen Voraussetzung hat. z. B. bei Auerbach, ver¬
steht sich ein modificirter Einfluß des Localdialekts von selbst. Die Dorf¬
geschichten wären ohne eine solche Lvcalfärbung nicht genießbar, so wenig wie
Theokrits Idyllen ohne jene dorische Hülle, die freilich noch etwas Anderes als
ein deutscher Localdialekt ist. Uebrigens hat grade Auerbach, wahrscheinlich
ohne alles reflectirtes Bemühen, seine schwäbelnder Sprachbestandtheile in eine
gewisse höhere und allgemeinere Sphäre gerückt, als sie einer bloßen Copie der
Wirklichkeit zukommen kann.

Dagegen kann man sich umgekehrt den Einfluß der Schriftsprache auf
unsere Mundarten während des letzten Jahrhunderts kaum groß genug vor¬
stellen. Bis etwa in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war davon nichts
zu merken. Keine Periode unserer Sprachgeschichte zeigt eine solche Stagnation
wie die Zeit vom dreißigjährigen Kriege bis dahin. Unmittelbar vor dem Be¬
ginne dieser Katastrophe und zum Theil auch noch ehe sie ihre späteren kolossalen
Dimensionen annahm, war die Schriftsprache wenigstens in einem lebhaften
Umformungsprocesse begriffen, wenn es auch kein naturwüchsiger und heilsamer
war. Aber man darf wohl behaupten, daß erst mit Haller und Klopstock eine
weitere Phase darin eingetreten ist, die eigentlich unmittelbar nach Opitz hätte
folgen müssen. Die Mundarten sind etwa vom Beginne der Reformation an
bis zu diesem Zeitpunkt tief durchdrungen worden von den Einflüssen der
Schriftsprache, aber es ist nicht so leicht, die fertigen Ergebnisse davon aufzu¬
weisen, weil die Schriftsprache selbst noch halb unter der Gewalt der früheren
volksthümlichen Sprachtradition stand und zu wenig einheitlich formirt und fixirt
war. Denn Luthers Einfluß auf die Sprache wird doch gewöhnlich zu sehr
überschätzt, zum Theil durch die Schuld seiner eifrigsten sprachlichen Parteigänger.
Sie waren es bekanntlich immer aus confessionellem Interesse. Luther sollte
auf allen Gebieten des Geisteslebens als Autokrat dastehen, so verstanden sie
die durch die Reformation gewonnene Freiheit des Geistes. Es ist eigentlich
nur das Kirchenlied und die populäre Erbauungsliteratur auf protestantischer
Seite, in denen Luthers Art auch in der Sprache eine Dictatur übt. Nickis
ist gewöhnlicher, als daß sich die Epigonen auf sein sprachliches Muster berufen,
ihn so zu sagen als den Klassiker an sich betrachten, aber es ist oft schwer,
irgendetwas in der Sprache solcher Jünger aufzufinden, was nothwendig von
ihm herstammt und nicht ihm sammt der ganzen Zeit gehört. Dennoch strömt
auch in dieser Zeit viel mehr Kraftwirkung von der Schriftsprache auf die
Dialekte, als umgekehrt von jenen auf diese und es ist somit im Wesentlichen
schon der noch jetzt giltige Zustand festgestellt. Eine überwiegend gelehrte
Sprache oder eine Sprache der Gelehrten und Bücher, wie es das Neuhoch¬
deutsche von seinem ersten Athemzuge an gewesen ist, kann auch wohl nicht
anders, als sich entweder ganz von den Volksmundartcn absperren oder sie


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[0069] thümUche Moment zur eigentlichen Voraussetzung hat. z. B. bei Auerbach, ver¬ steht sich ein modificirter Einfluß des Localdialekts von selbst. Die Dorf¬ geschichten wären ohne eine solche Lvcalfärbung nicht genießbar, so wenig wie Theokrits Idyllen ohne jene dorische Hülle, die freilich noch etwas Anderes als ein deutscher Localdialekt ist. Uebrigens hat grade Auerbach, wahrscheinlich ohne alles reflectirtes Bemühen, seine schwäbelnder Sprachbestandtheile in eine gewisse höhere und allgemeinere Sphäre gerückt, als sie einer bloßen Copie der Wirklichkeit zukommen kann. Dagegen kann man sich umgekehrt den Einfluß der Schriftsprache auf unsere Mundarten während des letzten Jahrhunderts kaum groß genug vor¬ stellen. Bis etwa in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts war davon nichts zu merken. Keine Periode unserer Sprachgeschichte zeigt eine solche Stagnation wie die Zeit vom dreißigjährigen Kriege bis dahin. Unmittelbar vor dem Be¬ ginne dieser Katastrophe und zum Theil auch noch ehe sie ihre späteren kolossalen Dimensionen annahm, war die Schriftsprache wenigstens in einem lebhaften Umformungsprocesse begriffen, wenn es auch kein naturwüchsiger und heilsamer war. Aber man darf wohl behaupten, daß erst mit Haller und Klopstock eine weitere Phase darin eingetreten ist, die eigentlich unmittelbar nach Opitz hätte folgen müssen. Die Mundarten sind etwa vom Beginne der Reformation an bis zu diesem Zeitpunkt tief durchdrungen worden von den Einflüssen der Schriftsprache, aber es ist nicht so leicht, die fertigen Ergebnisse davon aufzu¬ weisen, weil die Schriftsprache selbst noch halb unter der Gewalt der früheren volksthümlichen Sprachtradition stand und zu wenig einheitlich formirt und fixirt war. Denn Luthers Einfluß auf die Sprache wird doch gewöhnlich zu sehr überschätzt, zum Theil durch die Schuld seiner eifrigsten sprachlichen Parteigänger. Sie waren es bekanntlich immer aus confessionellem Interesse. Luther sollte auf allen Gebieten des Geisteslebens als Autokrat dastehen, so verstanden sie die durch die Reformation gewonnene Freiheit des Geistes. Es ist eigentlich nur das Kirchenlied und die populäre Erbauungsliteratur auf protestantischer Seite, in denen Luthers Art auch in der Sprache eine Dictatur übt. Nickis ist gewöhnlicher, als daß sich die Epigonen auf sein sprachliches Muster berufen, ihn so zu sagen als den Klassiker an sich betrachten, aber es ist oft schwer, irgendetwas in der Sprache solcher Jünger aufzufinden, was nothwendig von ihm herstammt und nicht ihm sammt der ganzen Zeit gehört. Dennoch strömt auch in dieser Zeit viel mehr Kraftwirkung von der Schriftsprache auf die Dialekte, als umgekehrt von jenen auf diese und es ist somit im Wesentlichen schon der noch jetzt giltige Zustand festgestellt. Eine überwiegend gelehrte Sprache oder eine Sprache der Gelehrten und Bücher, wie es das Neuhoch¬ deutsche von seinem ersten Athemzuge an gewesen ist, kann auch wohl nicht anders, als sich entweder ganz von den Volksmundartcn absperren oder sie Grenzboten IV. 1LK6. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/69>, abgerufen am 02.07.2024.