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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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daher entlehnt hat. Auch später hat er einzelne dieser Jugendtöne noch bei¬
behalten und selbst im zweiten Theile des Faust sind sie nicht ganz verklungen.
Aber hier ist nichts von dem, was man mundartliche Einflüsse nennen kann.
Es fehlt vor allem ihr erstes und nothwendigstes Kennzeichen: das unmittel¬
bare Herüberströmcn aus der lebendigen Umgebung der Volkssprache. Wenn
man durch gelehrte reflectirte Vermittelung eine Mundart, die selbst schon lange
aufgehört hat, lebendig zu sein, aus ihrem mumienhaften Dasein wieder zu
neuem Leben erweckt, so ist es ungefähr dasselbe, als wenn man Stoffe und
Formen einer fernen Vergangenheit, etwa der griechischen Poesie, in die Litera¬
tur wieder einführt. Wenn es mit Geschick und Kunstverstand geschieht, kann
es nur förderlich sein, wie sich von selbst versteht, aber niemand wird doch be¬
haupten, daß das Griechenthum dadurch in jenen sinnlich greifbaren Contact
mit unserer Literatur getreten sei, auf den es hier allein ankommt.

Was von Goethe gilt, gilt auch von den anderen Heroen unserer classischen
und nachclassischen Periode. Die meisten. z> B. Lessing. Herder, Schiller, halten
sich systematisch frei von allen solchen Einflüssen, obwohl es ihnen nicht immer ge¬
lingt. So zeigt die Originalgestalt vieler Jugendarbeiten Schillers, die wir gewöhn¬
lich nur in sehr umgearbeiteten Redactionen kennen, eine nicht geringe Anzahl von
schwäbischen Idiotismen und nicht grade solche, die,für eine Bereicherung und
Verschönerung der herkömmlichen Schriftsprache gelten können. Später hat sich
der Dichter, wie man weiß, solche Unarten, denn dafür gelten sie ihm selbst,
beinahe ganz abgewöhnt und noch mehr hat sein Körner dafür gesorgt, alle
Spuren davon auszumerzen.

Merkwürdig ist es. daß unsere eigentlichen Romantiker so wenig aus die¬
sem Börne geschöpft haben, obgleich sie es doch gewesen sind, die den Begriff
Volk und volksthümlich adelten oder neu schufen. Denn was man vorher
darunter verstand, war so ziemlich das Gegentheil dessen, was wir nach dem
Vorgange dieser Lehrmeister dabei zu empfinden Pflegen. Wie öfters haben wir
Vergessen, von wem unsere Erkenntniß stammt: ist ja doch im Allgemeinen keine
andere Phase geistiger Thätigkeit so undankbar behandelt und gleichsam zum
Prügeljungen für alle Verkehrtheiten der Nachfolger gemacht worden, wie unsere
Romantik. Nur die schwäbische Poetenschule hat es innerhalb bescheidener Gren¬
zen gewagt, ihre heimathlichen Laute ertönen zu lassen, doch ist es bei diesem
eigenthümlichen Völkchen weniger der gesunde Jnstinct des volkstümlichen
Wesens, wovon sie thatsächlich ebenso weit und noch weiter entfernt sind als
die von ihnen so herzlich -- schon als norddeutsche -- verabscheuten Roman¬
tiker. Im Grunde versteckt steh hinter diesen viele so anheimelnden Reminiscenzen
an Naturlaute des Volkes doch nur ein gewisser kindlicher Eigensinn, der es
glaubt besser zu machen als andere, wenn er es nicht so macht, wie sie. Wo
das Ganze der Poesie selbst in seiner idyllischen Grundstimmung das Volks-


daher entlehnt hat. Auch später hat er einzelne dieser Jugendtöne noch bei¬
behalten und selbst im zweiten Theile des Faust sind sie nicht ganz verklungen.
Aber hier ist nichts von dem, was man mundartliche Einflüsse nennen kann.
Es fehlt vor allem ihr erstes und nothwendigstes Kennzeichen: das unmittel¬
bare Herüberströmcn aus der lebendigen Umgebung der Volkssprache. Wenn
man durch gelehrte reflectirte Vermittelung eine Mundart, die selbst schon lange
aufgehört hat, lebendig zu sein, aus ihrem mumienhaften Dasein wieder zu
neuem Leben erweckt, so ist es ungefähr dasselbe, als wenn man Stoffe und
Formen einer fernen Vergangenheit, etwa der griechischen Poesie, in die Litera¬
tur wieder einführt. Wenn es mit Geschick und Kunstverstand geschieht, kann
es nur förderlich sein, wie sich von selbst versteht, aber niemand wird doch be¬
haupten, daß das Griechenthum dadurch in jenen sinnlich greifbaren Contact
mit unserer Literatur getreten sei, auf den es hier allein ankommt.

Was von Goethe gilt, gilt auch von den anderen Heroen unserer classischen
und nachclassischen Periode. Die meisten. z> B. Lessing. Herder, Schiller, halten
sich systematisch frei von allen solchen Einflüssen, obwohl es ihnen nicht immer ge¬
lingt. So zeigt die Originalgestalt vieler Jugendarbeiten Schillers, die wir gewöhn¬
lich nur in sehr umgearbeiteten Redactionen kennen, eine nicht geringe Anzahl von
schwäbischen Idiotismen und nicht grade solche, die,für eine Bereicherung und
Verschönerung der herkömmlichen Schriftsprache gelten können. Später hat sich
der Dichter, wie man weiß, solche Unarten, denn dafür gelten sie ihm selbst,
beinahe ganz abgewöhnt und noch mehr hat sein Körner dafür gesorgt, alle
Spuren davon auszumerzen.

Merkwürdig ist es. daß unsere eigentlichen Romantiker so wenig aus die¬
sem Börne geschöpft haben, obgleich sie es doch gewesen sind, die den Begriff
Volk und volksthümlich adelten oder neu schufen. Denn was man vorher
darunter verstand, war so ziemlich das Gegentheil dessen, was wir nach dem
Vorgange dieser Lehrmeister dabei zu empfinden Pflegen. Wie öfters haben wir
Vergessen, von wem unsere Erkenntniß stammt: ist ja doch im Allgemeinen keine
andere Phase geistiger Thätigkeit so undankbar behandelt und gleichsam zum
Prügeljungen für alle Verkehrtheiten der Nachfolger gemacht worden, wie unsere
Romantik. Nur die schwäbische Poetenschule hat es innerhalb bescheidener Gren¬
zen gewagt, ihre heimathlichen Laute ertönen zu lassen, doch ist es bei diesem
eigenthümlichen Völkchen weniger der gesunde Jnstinct des volkstümlichen
Wesens, wovon sie thatsächlich ebenso weit und noch weiter entfernt sind als
die von ihnen so herzlich — schon als norddeutsche — verabscheuten Roman¬
tiker. Im Grunde versteckt steh hinter diesen viele so anheimelnden Reminiscenzen
an Naturlaute des Volkes doch nur ein gewisser kindlicher Eigensinn, der es
glaubt besser zu machen als andere, wenn er es nicht so macht, wie sie. Wo
das Ganze der Poesie selbst in seiner idyllischen Grundstimmung das Volks-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/68>, abgerufen am 02.07.2024.