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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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theils erbitterte. Deshalb gilt es heute, den Wirkungskreis des Staats auf die
natürlichen Grenzen zu beschränken. Aber es wäre der verhängnisvollste Irr¬
thum, wenn man glaubte, grade deshalb müsse man an sich die Staatsgewalt
virtuell überhaupt schwächen und auch auf denjenigen Gebieten, die ihr von
Rechtswegen ausschließlich zustehen und auf welchen sie unbedingt stark sein
muß. um ihrem Beruf zu genügen. Indem wir den Wirkungskreis des Staats
beschränken, wollen wir seine intensive Kraft condensiren und erhöhen.

Der Glaube an die Nothwendigkeit des Schatzes gehört zu den Traditionen
des preußischen Staats. Die Staatsgewalt sagt: Bei uns kommt alles auf
rasches Zuschlagen an, und dazu gehört unter anderem auch ein parater Kriegs¬
schatz. Das vorige Jahrhundert hat diesen Satz bestätigt. War aber die jüngste
Vergangenheit etwa geeignet, diesen Glauben zu erschüttern? Gewiß nicht; bei
dem Volke nicht, bei der Staatsgewalt noch weniger. Die Staatsgewalt aber
kann so wenig abdanken, wie c>as Volk; und gegen ihre Ueberzeugung regieren,
kann sie noch weniger. Der Fürst muß sich in einem konstitutionellen Staat
mit seinem Volke vertragen. Man thut Unrecht, dies die "beschränkte"
Monarchie zu nennen. Es ist die durch den organisirten Volkswillen ver¬
stärkte Monarchie. Aber das Volk muß sich auch mit seinem Fürsten ver¬
tragen und in Preußen will es dies auch. "Diesem König," heißt es in dem
angeführten Briefe, "darf die Landesvertretung in d lesen Augenblicke ja nicht
zu nahe treten. In den Augen der Welt hat er zu viel geleistet und zu viel
noch vor. als daß das Volk litte, baß man ihm in einer Geldfrage unnütze
Quästionen mache."

Zudem befindet sich die liberale Partei, wohl nur vorübergehend, in einer
eigenthümlichen und schwierigen Stellung. Hätte ihr die Negierung -- was sie
freilich nicht konnte -- schon vor Jahren gesagt, was sie mit dem verstärkten
Heer und den erhöheten Credner wollte, so würde die Majorität des Abgeord¬
netenhauses wahrscheinlich zu den meisten Dingen, die sie mit anerkennenswerther
Treue und Ausdauer bekämpft hat, "Ja" und "Amen" gesagt haben, nament¬
lich dann, wenn ihre Voraussicht und Zuversicht so stark war. wie die der Re-
gierung. Gleichwohl war dem äußeren Anblick nach während der ganzen Krisis
von 1865 auf 1866 wirtlich die Negierung die bewegende und das Haus die
hemmende Kraft. Gegenüber dem zu gründenden parlamentarischen Bundesstaate
scheinen sogar beide Häuser eine gewisse Kühle zu zeigen. Wenn man die
Reden der letzten Woche gelesen hat, so könnte man fast glauben, das Herren-
Haus fürchte, der Reichstag werde zu liberal und könne daher das Herrenhaus
beeinträchtigen, und das Abgeordnetenhaus fürchte, der Reichstag werde zu kon¬
servativ und könne daher das Abgeordnetenhaus beeinträchtigen, und beide,
Herren- und Abgeordnetenhaus, hätten eine gemeinsame Abneigung gegen jenen
"großen Unbekannten", der sich Reichstag nennt und vielleicht dereinst einmal,


theils erbitterte. Deshalb gilt es heute, den Wirkungskreis des Staats auf die
natürlichen Grenzen zu beschränken. Aber es wäre der verhängnisvollste Irr¬
thum, wenn man glaubte, grade deshalb müsse man an sich die Staatsgewalt
virtuell überhaupt schwächen und auch auf denjenigen Gebieten, die ihr von
Rechtswegen ausschließlich zustehen und auf welchen sie unbedingt stark sein
muß. um ihrem Beruf zu genügen. Indem wir den Wirkungskreis des Staats
beschränken, wollen wir seine intensive Kraft condensiren und erhöhen.

Der Glaube an die Nothwendigkeit des Schatzes gehört zu den Traditionen
des preußischen Staats. Die Staatsgewalt sagt: Bei uns kommt alles auf
rasches Zuschlagen an, und dazu gehört unter anderem auch ein parater Kriegs¬
schatz. Das vorige Jahrhundert hat diesen Satz bestätigt. War aber die jüngste
Vergangenheit etwa geeignet, diesen Glauben zu erschüttern? Gewiß nicht; bei
dem Volke nicht, bei der Staatsgewalt noch weniger. Die Staatsgewalt aber
kann so wenig abdanken, wie c>as Volk; und gegen ihre Ueberzeugung regieren,
kann sie noch weniger. Der Fürst muß sich in einem konstitutionellen Staat
mit seinem Volke vertragen. Man thut Unrecht, dies die „beschränkte"
Monarchie zu nennen. Es ist die durch den organisirten Volkswillen ver¬
stärkte Monarchie. Aber das Volk muß sich auch mit seinem Fürsten ver¬
tragen und in Preußen will es dies auch. „Diesem König," heißt es in dem
angeführten Briefe, „darf die Landesvertretung in d lesen Augenblicke ja nicht
zu nahe treten. In den Augen der Welt hat er zu viel geleistet und zu viel
noch vor. als daß das Volk litte, baß man ihm in einer Geldfrage unnütze
Quästionen mache."

Zudem befindet sich die liberale Partei, wohl nur vorübergehend, in einer
eigenthümlichen und schwierigen Stellung. Hätte ihr die Negierung — was sie
freilich nicht konnte — schon vor Jahren gesagt, was sie mit dem verstärkten
Heer und den erhöheten Credner wollte, so würde die Majorität des Abgeord¬
netenhauses wahrscheinlich zu den meisten Dingen, die sie mit anerkennenswerther
Treue und Ausdauer bekämpft hat, „Ja" und „Amen" gesagt haben, nament¬
lich dann, wenn ihre Voraussicht und Zuversicht so stark war. wie die der Re-
gierung. Gleichwohl war dem äußeren Anblick nach während der ganzen Krisis
von 1865 auf 1866 wirtlich die Negierung die bewegende und das Haus die
hemmende Kraft. Gegenüber dem zu gründenden parlamentarischen Bundesstaate
scheinen sogar beide Häuser eine gewisse Kühle zu zeigen. Wenn man die
Reden der letzten Woche gelesen hat, so könnte man fast glauben, das Herren-
Haus fürchte, der Reichstag werde zu liberal und könne daher das Herrenhaus
beeinträchtigen, und das Abgeordnetenhaus fürchte, der Reichstag werde zu kon¬
servativ und könne daher das Abgeordnetenhaus beeinträchtigen, und beide,
Herren- und Abgeordnetenhaus, hätten eine gemeinsame Abneigung gegen jenen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/59>, abgerufen am 02.07.2024.