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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Krieg ein Ende setzt den Beengungen und Schwankungen, welche die wirth¬
schaftliche Produktion erschweren?

Die wirthschaftliche Frage wäre also so zu formuliren: Ist der Zweck der
Schlagfertigkeit, welcher durch den Staatsschatz erzielt werden soll, durch ein
anderes Mittel ökonomisch vortheilhafter zu erreichen? Soll man etwa, statt
den Staatsschatz wieder zu füllen, das stehende Heer, abgesehen von dem aus
den Annectirungen hervorgehenden Zuwachs, um weitere hunderttausend Mann
vermehren? -- Gewiß nicht, denn diese hunderttausend Arbeitskräfte sind nicht
nur lahm gelegt, wie die dreißig Millionen Thaler gemünzten Geldes, sondern
verzehren auch, was die Thaler nicht thun. Es ist also immerhin proporlionell
weniger unwirthschaftlich, Thaler lahm zu legen, als Menschen.

Hier stoßen wir freilich auf den Einwand: "Nun, wenn denn beides un¬
wirthschaftlich ist, so wollen wir nicht untersuchen, welches unwirthschaftlicher
sei, sondern lieber beides unterlassen!"

Allein unseres Erachtens wäre das nicht nur unrecht, sondern (was in der
Politik stets weit schlimmer ist) sogar unklug! In der Politik aber muß jeder
klug sein, nicht nur die Negierung, sondern auch -- woran freilich die Masse
nicht immer denkt -- der Landtag. Hätte das Land und hätte namentlich der
Landtag bei dem Versuch, in der gegenwärtigen kritischen Sachlage, die Macht¬
stellung der Regierung wirklich oder scheinbar zu schwächen, etwas gewinnen
können?

Leider sind wir in Deutschland seit lange gewöhnt, das Land und die Re¬
gierung in einer Art von feindseligem Gegensatz zu einander zu denken; und
es ist traurig, daß dieser pessimistischen Weltanschauung eine gewisse historische
Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, erstens insofern als in vielen
Ländern das Sonderinteresse der regierenden Familie über das Gesammtinteresse
des Staates gesetzt und beide dadurch mit einander in ewige Reibung gebracht
wurden. Allein weit weniger als sonstwo war dies doch in Preußen der Fall, wo
sich dieHohenzollern stets ihrer Stellung als Oberhaupt eines aufstrebenden Staates
klar, voll und lebhaft bewußt waren, und wo Friedrich der Große sich mit Stolz
rühmte, nichts zu sein als "der erste Diener des Staates". Jene pessimistische
Weltanschauung ist zweitens erwachsen aus dem Umstände, daß in Deutschland
der Patrimonial-, der Domanial-, der Polizei- und der Zwergstaat, weil er die
hohe Mission des nationalen Macht- und Rechtsschutzes nach Außen und nach
Innen leider nicht zu erfüllen vermochte, sich mit bureaukratisch-geschäftiger klein-
meisterlicher-Bevormundungswuth gen'einschädlich in alle bürgerliche Kreise, in
Handel und Industrie, Landwirthschaft und Gewerbe, Schule und Kirche, Ge¬
nossenschaft und Gemeinde, Gesellschaft und Wirthschaft einmengte, und, indem
er seinen Wirkungskreis räumlich ausdehnte, seine eigene intensive Kraft schwächte,
die bürgerliche Gesellschaft aber durch die Vielregiererei im Innern theils lähmte.


Krieg ein Ende setzt den Beengungen und Schwankungen, welche die wirth¬
schaftliche Produktion erschweren?

Die wirthschaftliche Frage wäre also so zu formuliren: Ist der Zweck der
Schlagfertigkeit, welcher durch den Staatsschatz erzielt werden soll, durch ein
anderes Mittel ökonomisch vortheilhafter zu erreichen? Soll man etwa, statt
den Staatsschatz wieder zu füllen, das stehende Heer, abgesehen von dem aus
den Annectirungen hervorgehenden Zuwachs, um weitere hunderttausend Mann
vermehren? — Gewiß nicht, denn diese hunderttausend Arbeitskräfte sind nicht
nur lahm gelegt, wie die dreißig Millionen Thaler gemünzten Geldes, sondern
verzehren auch, was die Thaler nicht thun. Es ist also immerhin proporlionell
weniger unwirthschaftlich, Thaler lahm zu legen, als Menschen.

Hier stoßen wir freilich auf den Einwand: „Nun, wenn denn beides un¬
wirthschaftlich ist, so wollen wir nicht untersuchen, welches unwirthschaftlicher
sei, sondern lieber beides unterlassen!"

Allein unseres Erachtens wäre das nicht nur unrecht, sondern (was in der
Politik stets weit schlimmer ist) sogar unklug! In der Politik aber muß jeder
klug sein, nicht nur die Negierung, sondern auch — woran freilich die Masse
nicht immer denkt — der Landtag. Hätte das Land und hätte namentlich der
Landtag bei dem Versuch, in der gegenwärtigen kritischen Sachlage, die Macht¬
stellung der Regierung wirklich oder scheinbar zu schwächen, etwas gewinnen
können?

Leider sind wir in Deutschland seit lange gewöhnt, das Land und die Re¬
gierung in einer Art von feindseligem Gegensatz zu einander zu denken; und
es ist traurig, daß dieser pessimistischen Weltanschauung eine gewisse historische
Berechtigung nicht abgesprochen werden kann, erstens insofern als in vielen
Ländern das Sonderinteresse der regierenden Familie über das Gesammtinteresse
des Staates gesetzt und beide dadurch mit einander in ewige Reibung gebracht
wurden. Allein weit weniger als sonstwo war dies doch in Preußen der Fall, wo
sich dieHohenzollern stets ihrer Stellung als Oberhaupt eines aufstrebenden Staates
klar, voll und lebhaft bewußt waren, und wo Friedrich der Große sich mit Stolz
rühmte, nichts zu sein als „der erste Diener des Staates". Jene pessimistische
Weltanschauung ist zweitens erwachsen aus dem Umstände, daß in Deutschland
der Patrimonial-, der Domanial-, der Polizei- und der Zwergstaat, weil er die
hohe Mission des nationalen Macht- und Rechtsschutzes nach Außen und nach
Innen leider nicht zu erfüllen vermochte, sich mit bureaukratisch-geschäftiger klein-
meisterlicher-Bevormundungswuth gen'einschädlich in alle bürgerliche Kreise, in
Handel und Industrie, Landwirthschaft und Gewerbe, Schule und Kirche, Ge¬
nossenschaft und Gemeinde, Gesellschaft und Wirthschaft einmengte, und, indem
er seinen Wirkungskreis räumlich ausdehnte, seine eigene intensive Kraft schwächte,
die bürgerliche Gesellschaft aber durch die Vielregiererei im Innern theils lähmte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/58>, abgerufen am 02.07.2024.