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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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seiner nationalen Politik später entrathen könnte, so könnte man schon jetzt die
Möglichkeit, den Bestand des Staatsschatzes von 1870 ab zur Schuldentilgung
zu verwenden, in Aussicht nehmen. Allein weder das Eine noch das Andere ist
der Fall; und wenn man im Augenblick den Staatsschatz nicht wieder gefüllt
oder ihn abgeschafft hätte, so würde man entweder die Wehrkraft, eventuell den
gouvernementalen Glauben an dieselbe, schwächen, oder aber man müßte, um
den vollen Stand der bisherigen Schlagfertigkeit zu erhalten, zu einem andern
Mittel greifen, d. h. man müßte an die Stelle des parat liegenden baaren Geldes
eine Vermehrung des stehendes Heeres setzen.

Man sagt: "Der Staatsschatz ist ein unwirthschaftliches Institut; wenn in
demselben dreißig Millionen Thaler liegen, so verlieren wir nicht nur alljährlich
anderthalb Millionen Zinsen, sondern -- was viel mehr ist -- die gesammte
Production, welche man mit dreißig Millionen Thalern erzielen kann, und
welche der Ernährung von 60,000 Arbeiterfamilien oder einer Viertelmillion
Seelen gleichkommt." Das alles ist richtig. Der Staatsschatz ist allerdings ein
unwirthschaftliches Ding, ganz in demselben Sinne, aber auch nur in dem
Sinne, wie es das Heer und der Krieg überhaupt ist. Und doch, kann die
wirthschaftliche Thätigkeit alle diese Institutionen und Proceduren ganz ent.
hehren? Ist denn die Blut- und Einkommensteuer, welche wir für das Heer
entrichten, etwas Anderes als die Assccuranzprämie. durch welche wir bei der
die gegenseitigen Gesammtinteressen vertretenden Staatsgewalt Eigenthum und
Erwerb, Leib und Leben in Versicherung geben? und ist es denn "unwirth-
schaftlich". sich durch Assecuranz der Continuität nicht nur seiner nationalen
und politischen, sondern auch seiner ökonomischen Existenz zu versichern? Und
ist nicht auch der Krieg, und namentlich ein solcher Krieg, wie der von 1866,
eine wirthschaftliche Nothwendigkeit? Wenn sich durch das Fortschreiten der
Culturentwickelung auf der einen und das Zurückbleiben auf der andern Seite
die realen Machtverhältnisse (alles, was der Engländer po^ver nennt, auch
KnonIsäM mit Inbegriffen) so verschoben haben, daß die alten, sei es durch
Herkommen, Vertrag, Staats- oder Völkerrecht geheiligten politischen Formen
absolut nicht mehr passen wollen, so krankt unter einem solchen Mißverhältniß
alles, auch die Wirthschaft. Die erstorbenen und erstarrten Formen erdrücken
den jugendlich anschwellenden und aufstrebenden Körper der wirthschaftlichen
Thätigkeit, welche unsäglich leidet durch das altüberkommene particularistische
Abpferchungssystem. Es ist, als ob das vorjährige verdorrte Laub nimmer
Platz machen wollte den treibenden Knospen und Keimen des wiederkehrenden
Frühlings. In solchen Fällen, ist da nicht der Krieg, dessen Ausgang die
materielle Machtlage mit der sich aus den Friedensschlüssen und den darauf
folgenden neuen Verträgen ergebenden formellen Weihe des neu gebildeten
politischen Rechts in Harmonie setzt, auch ökonomisch nöthig, weil ein solcher


seiner nationalen Politik später entrathen könnte, so könnte man schon jetzt die
Möglichkeit, den Bestand des Staatsschatzes von 1870 ab zur Schuldentilgung
zu verwenden, in Aussicht nehmen. Allein weder das Eine noch das Andere ist
der Fall; und wenn man im Augenblick den Staatsschatz nicht wieder gefüllt
oder ihn abgeschafft hätte, so würde man entweder die Wehrkraft, eventuell den
gouvernementalen Glauben an dieselbe, schwächen, oder aber man müßte, um
den vollen Stand der bisherigen Schlagfertigkeit zu erhalten, zu einem andern
Mittel greifen, d. h. man müßte an die Stelle des parat liegenden baaren Geldes
eine Vermehrung des stehendes Heeres setzen.

Man sagt: „Der Staatsschatz ist ein unwirthschaftliches Institut; wenn in
demselben dreißig Millionen Thaler liegen, so verlieren wir nicht nur alljährlich
anderthalb Millionen Zinsen, sondern — was viel mehr ist — die gesammte
Production, welche man mit dreißig Millionen Thalern erzielen kann, und
welche der Ernährung von 60,000 Arbeiterfamilien oder einer Viertelmillion
Seelen gleichkommt." Das alles ist richtig. Der Staatsschatz ist allerdings ein
unwirthschaftliches Ding, ganz in demselben Sinne, aber auch nur in dem
Sinne, wie es das Heer und der Krieg überhaupt ist. Und doch, kann die
wirthschaftliche Thätigkeit alle diese Institutionen und Proceduren ganz ent.
hehren? Ist denn die Blut- und Einkommensteuer, welche wir für das Heer
entrichten, etwas Anderes als die Assccuranzprämie. durch welche wir bei der
die gegenseitigen Gesammtinteressen vertretenden Staatsgewalt Eigenthum und
Erwerb, Leib und Leben in Versicherung geben? und ist es denn „unwirth-
schaftlich". sich durch Assecuranz der Continuität nicht nur seiner nationalen
und politischen, sondern auch seiner ökonomischen Existenz zu versichern? Und
ist nicht auch der Krieg, und namentlich ein solcher Krieg, wie der von 1866,
eine wirthschaftliche Nothwendigkeit? Wenn sich durch das Fortschreiten der
Culturentwickelung auf der einen und das Zurückbleiben auf der andern Seite
die realen Machtverhältnisse (alles, was der Engländer po^ver nennt, auch
KnonIsäM mit Inbegriffen) so verschoben haben, daß die alten, sei es durch
Herkommen, Vertrag, Staats- oder Völkerrecht geheiligten politischen Formen
absolut nicht mehr passen wollen, so krankt unter einem solchen Mißverhältniß
alles, auch die Wirthschaft. Die erstorbenen und erstarrten Formen erdrücken
den jugendlich anschwellenden und aufstrebenden Körper der wirthschaftlichen
Thätigkeit, welche unsäglich leidet durch das altüberkommene particularistische
Abpferchungssystem. Es ist, als ob das vorjährige verdorrte Laub nimmer
Platz machen wollte den treibenden Knospen und Keimen des wiederkehrenden
Frühlings. In solchen Fällen, ist da nicht der Krieg, dessen Ausgang die
materielle Machtlage mit der sich aus den Friedensschlüssen und den darauf
folgenden neuen Verträgen ergebenden formellen Weihe des neu gebildeten
politischen Rechts in Harmonie setzt, auch ökonomisch nöthig, weil ein solcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/57>, abgerufen am 02.07.2024.