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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Gesammtinteresse verhindert und demnächst in dem Bundestag eine Institution
geschaffen, welche einer unter Oestreichs Leitung stehenden Kooperation der
Territorialherrn gegen den bereits bestehenden preußischen und den noch zu
gründenden deutschen Staat als brauchbares Werkzeug zu dienen geschickt war.
Das Jahr 1866 hat die Aufgabe von 1813 mit vertiefter Auffassung und ver¬
stärkter Kraft wieder aufgenommen. Indem es uns von der östreichischen
Fremdherrschaft befreiete, hat es den zweiten Act der nationalen Aufgabe voll¬
endet, aber noch nicht das Einigungswerk selbst, welches erst durch den bevor¬
stehenden dritten Act seine Krönung finden wird.

In Parenthese sei bemerkt: Wer etwa Anstoß daran nimmt, wenn ich
von östreichischer "Fremdherrschaft" spreche, der ist gebeten, die soeben erschienene
treffliche Schrift: "Woher und wohin?" von Professor Ludwig Karl Aegidi in
Hamburg zu lesen, in welcher alles, was über diesen Punkt vorzubringen wäre,
besser gesagt ist, als ich es zu sagen im Stande bin.

Durch die große nationale That von 1866 sind nicht nur ein paar Terri-
torien Preußen annectirt, sondern auch alle politischen Parteien, welche unter
einander einen gemeinsamen nationalen Boden anerkennen, und welchen das
Vaterland über der Partei, der Staat über der Coterie steht. Dies gilt im
doppeltem Grad von den liberalen Parteien. Denn der preußische Sieg, oder
um es noch präciser auszudrücken: der Sieg der preußischen. Negierung und
des preußischen Heeres, hat die Bahn gebrochen zu einer nationalen Politik,
welche zugleich frei und kräftig sein muß, um ihr Ziel zu erreichen."

Im Süden Deutschlands, wo immer noch die confuse "Volkspartei dem
Ultramontanismus und Particularismus die Schleppe trägt, beginnt bereits die
wahrhaft liberale Fraction sich als "deutsche Partei" zu constituiren und um
Preußen zu schaaren. Wir Liberalen in den annectirten Territorien fühlen uns
mit Genugthuung befreit von der saueren und undankbaren Arbeit, im Schweiße
unseres Antlitzes das verwachsene knorrige Holz des Particularismus zu spalten
-- eine kleinliche banausische und unfreie Arbeit, über welcher man selbst in
Gefahr kam, kleinlich und unfrei zu werden. Wir bereiten uns mit Eifer darauf
vor, der an uns ergangenen deutschen Mahnung Folge zu leisten.

Diese Mahnung, sich aufzuraffen zur Mitwirkung bei der Lösung der
großen nationalen Aufgabe, welche die preußische Regierung -- ganz einerlei,
aus welchen anfänglichen psychischen Motiven -- nun doch einmal fest in die
Hand genommen hat und ohne Vernichtung ihrer eigenen Existenz nicht wieder
fallen lassen kann, diese Mahnung, welche in Außer-Preußen und in Neu-Preußen
bereits Gehör zu finden beginnt, ist auch an die deutsche Fortschrittspartei des
preußischen Abgeordnetenhauses herangetreten. Ein ehemaliges Mitglied des
Hauses, das eine hervorragende Stellung in der Fortschrittspartei einnahm, sagt
in einem sehr lesenswerthen Briefe an ein jetziges -- welcher Brief hoffentlich


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Gesammtinteresse verhindert und demnächst in dem Bundestag eine Institution
geschaffen, welche einer unter Oestreichs Leitung stehenden Kooperation der
Territorialherrn gegen den bereits bestehenden preußischen und den noch zu
gründenden deutschen Staat als brauchbares Werkzeug zu dienen geschickt war.
Das Jahr 1866 hat die Aufgabe von 1813 mit vertiefter Auffassung und ver¬
stärkter Kraft wieder aufgenommen. Indem es uns von der östreichischen
Fremdherrschaft befreiete, hat es den zweiten Act der nationalen Aufgabe voll¬
endet, aber noch nicht das Einigungswerk selbst, welches erst durch den bevor¬
stehenden dritten Act seine Krönung finden wird.

In Parenthese sei bemerkt: Wer etwa Anstoß daran nimmt, wenn ich
von östreichischer „Fremdherrschaft" spreche, der ist gebeten, die soeben erschienene
treffliche Schrift: „Woher und wohin?" von Professor Ludwig Karl Aegidi in
Hamburg zu lesen, in welcher alles, was über diesen Punkt vorzubringen wäre,
besser gesagt ist, als ich es zu sagen im Stande bin.

Durch die große nationale That von 1866 sind nicht nur ein paar Terri-
torien Preußen annectirt, sondern auch alle politischen Parteien, welche unter
einander einen gemeinsamen nationalen Boden anerkennen, und welchen das
Vaterland über der Partei, der Staat über der Coterie steht. Dies gilt im
doppeltem Grad von den liberalen Parteien. Denn der preußische Sieg, oder
um es noch präciser auszudrücken: der Sieg der preußischen. Negierung und
des preußischen Heeres, hat die Bahn gebrochen zu einer nationalen Politik,
welche zugleich frei und kräftig sein muß, um ihr Ziel zu erreichen."

Im Süden Deutschlands, wo immer noch die confuse „Volkspartei dem
Ultramontanismus und Particularismus die Schleppe trägt, beginnt bereits die
wahrhaft liberale Fraction sich als „deutsche Partei" zu constituiren und um
Preußen zu schaaren. Wir Liberalen in den annectirten Territorien fühlen uns
mit Genugthuung befreit von der saueren und undankbaren Arbeit, im Schweiße
unseres Antlitzes das verwachsene knorrige Holz des Particularismus zu spalten
— eine kleinliche banausische und unfreie Arbeit, über welcher man selbst in
Gefahr kam, kleinlich und unfrei zu werden. Wir bereiten uns mit Eifer darauf
vor, der an uns ergangenen deutschen Mahnung Folge zu leisten.

Diese Mahnung, sich aufzuraffen zur Mitwirkung bei der Lösung der
großen nationalen Aufgabe, welche die preußische Regierung — ganz einerlei,
aus welchen anfänglichen psychischen Motiven — nun doch einmal fest in die
Hand genommen hat und ohne Vernichtung ihrer eigenen Existenz nicht wieder
fallen lassen kann, diese Mahnung, welche in Außer-Preußen und in Neu-Preußen
bereits Gehör zu finden beginnt, ist auch an die deutsche Fortschrittspartei des
preußischen Abgeordnetenhauses herangetreten. Ein ehemaliges Mitglied des
Hauses, das eine hervorragende Stellung in der Fortschrittspartei einnahm, sagt
in einem sehr lesenswerthen Briefe an ein jetziges — welcher Brief hoffentlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/55>, abgerufen am 02.07.2024.