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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Die "Rostocker Zeitung" erhielt von Herrn v. Oertzen als Minister des
Innern eine Verwarnung, weil sie über den Zeitpunkt der Vermählung des
Großherzogs einige Tage vor dessen amtlicher Ankündigung angeblich eine Notiz
gebracht. Es war aber zufällig eine andere Zeitung gewesen, welche diese un¬
schuldige Nachricht in ihre Spalten aufgenommen hatte. Die "Rostocker Zei¬
tung" wies nach, daß der ihr gemachte Vorwurf gänzlich des Thatbestandes
entbehre. Herr v. Oertzen mußte gestehen, daß er sich eine kleine Verwechselung
habe zu Schulden kommen lassen; er bemerkte, dies sei "im Drange der Ge¬
schäfte" geschehen, auf die beantragte Zurücknahme der Verwarnung aber könne
er dennoch nicht eingehen, weil die "Rostocker Zeitung" im Allgemeinen eine
schlechte politische Richtung verfolge.

Ein zweites Stück: im Verfahren erster Instanz waren 40 bis 60 Rostocker
wegen Theilnahme am deutschen Nationalverein verurtheilt worden. In zweiter
Instanz wurden dieselben freigesprochen. Herr V. Oertzen als Minister des Innern
aber behauptete, daß der Rath zu Rostock, welcher die Spruchbehörde zweiter
Instanz bildete, "sich erdreistet" habe, dabei von einer unrichtigen Ansicht aus¬
zugehen. Er cassirte nicht nur durch Cabinetsmachtspruch das freisprechende
Erkenntniß, sondern erklärte zugleich auch die Verurtheilung erster Instanz für
richtig, und wies den Rath zu Rostock an, für dessen Ausführung zu sorgen.
Ais dieser sich weigerte, die Männer in Strafe zu nehmen, welche er freige¬
sprochen hatte, erschienen auf Befehl des Ministers v. Oertzen fünfundzwanzig
Mann vom großherzoglichen Gardebataillon aus Schwerin und besetzten als
Executionstruppe das Haus des Bürgermeisters Dr. Zastrow. Der Rath ward
gezwungen, an Männern, die er durch ausführlich motivirtes Erkenntniß für
schuldlos erklärt hatte, Strafen zu vollziehen. Die Sache wurde sowohl vom
Rath als von den durch Herrn v. Oertzen verurtheilten Nationalvereinsmit¬
gliedern vor den Bundestag gebracht, und es hatte allen Anschein, als wenn
selbst diese Versammlung dem Verfahren der mecklenburgischen Negierung keine
Seite abgewinnen konnte, welche es ihr ermöglichte, darin etwas Anderes zu
entdecke" als Cabinctsjustiz. Nur der schleunige Untergang des Bundestages
brachte die Beschwerdeführer um ihren voraussichtlichen Sieg und den Bundes¬
tag selbst um die Gelegenheit, sich wenigstens in dieser Sache ein ehrenvolles An¬
denken zu sichern.

Bei dem Allen giebt es doch zahlreiche Personen in Mecklenburg, welche
die alte Landesverfassung und die damit in Verbindung stehenden Einrichtungen
erhalten zu sehen wünschen und welche daher den Eintritt Mecklenburgs in den
norddeutschen Bundesstaat fürchten. Das ist die Phalanx derer, welchen ihre
Privilegien höher stehen als das Wohl des Ganzen und welche nicht gern auf
den politischen Einfluß und die mit ihrer bisherigen Stellung verbundenen
materiellen Vortheile verzichten.


Die „Rostocker Zeitung" erhielt von Herrn v. Oertzen als Minister des
Innern eine Verwarnung, weil sie über den Zeitpunkt der Vermählung des
Großherzogs einige Tage vor dessen amtlicher Ankündigung angeblich eine Notiz
gebracht. Es war aber zufällig eine andere Zeitung gewesen, welche diese un¬
schuldige Nachricht in ihre Spalten aufgenommen hatte. Die „Rostocker Zei¬
tung" wies nach, daß der ihr gemachte Vorwurf gänzlich des Thatbestandes
entbehre. Herr v. Oertzen mußte gestehen, daß er sich eine kleine Verwechselung
habe zu Schulden kommen lassen; er bemerkte, dies sei „im Drange der Ge¬
schäfte" geschehen, auf die beantragte Zurücknahme der Verwarnung aber könne
er dennoch nicht eingehen, weil die „Rostocker Zeitung" im Allgemeinen eine
schlechte politische Richtung verfolge.

Ein zweites Stück: im Verfahren erster Instanz waren 40 bis 60 Rostocker
wegen Theilnahme am deutschen Nationalverein verurtheilt worden. In zweiter
Instanz wurden dieselben freigesprochen. Herr V. Oertzen als Minister des Innern
aber behauptete, daß der Rath zu Rostock, welcher die Spruchbehörde zweiter
Instanz bildete, „sich erdreistet" habe, dabei von einer unrichtigen Ansicht aus¬
zugehen. Er cassirte nicht nur durch Cabinetsmachtspruch das freisprechende
Erkenntniß, sondern erklärte zugleich auch die Verurtheilung erster Instanz für
richtig, und wies den Rath zu Rostock an, für dessen Ausführung zu sorgen.
Ais dieser sich weigerte, die Männer in Strafe zu nehmen, welche er freige¬
sprochen hatte, erschienen auf Befehl des Ministers v. Oertzen fünfundzwanzig
Mann vom großherzoglichen Gardebataillon aus Schwerin und besetzten als
Executionstruppe das Haus des Bürgermeisters Dr. Zastrow. Der Rath ward
gezwungen, an Männern, die er durch ausführlich motivirtes Erkenntniß für
schuldlos erklärt hatte, Strafen zu vollziehen. Die Sache wurde sowohl vom
Rath als von den durch Herrn v. Oertzen verurtheilten Nationalvereinsmit¬
gliedern vor den Bundestag gebracht, und es hatte allen Anschein, als wenn
selbst diese Versammlung dem Verfahren der mecklenburgischen Negierung keine
Seite abgewinnen konnte, welche es ihr ermöglichte, darin etwas Anderes zu
entdecke» als Cabinctsjustiz. Nur der schleunige Untergang des Bundestages
brachte die Beschwerdeführer um ihren voraussichtlichen Sieg und den Bundes¬
tag selbst um die Gelegenheit, sich wenigstens in dieser Sache ein ehrenvolles An¬
denken zu sichern.

Bei dem Allen giebt es doch zahlreiche Personen in Mecklenburg, welche
die alte Landesverfassung und die damit in Verbindung stehenden Einrichtungen
erhalten zu sehen wünschen und welche daher den Eintritt Mecklenburgs in den
norddeutschen Bundesstaat fürchten. Das ist die Phalanx derer, welchen ihre
Privilegien höher stehen als das Wohl des Ganzen und welche nicht gern auf
den politischen Einfluß und die mit ihrer bisherigen Stellung verbundenen
materiellen Vortheile verzichten.


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[0516] Die „Rostocker Zeitung" erhielt von Herrn v. Oertzen als Minister des Innern eine Verwarnung, weil sie über den Zeitpunkt der Vermählung des Großherzogs einige Tage vor dessen amtlicher Ankündigung angeblich eine Notiz gebracht. Es war aber zufällig eine andere Zeitung gewesen, welche diese un¬ schuldige Nachricht in ihre Spalten aufgenommen hatte. Die „Rostocker Zei¬ tung" wies nach, daß der ihr gemachte Vorwurf gänzlich des Thatbestandes entbehre. Herr v. Oertzen mußte gestehen, daß er sich eine kleine Verwechselung habe zu Schulden kommen lassen; er bemerkte, dies sei „im Drange der Ge¬ schäfte" geschehen, auf die beantragte Zurücknahme der Verwarnung aber könne er dennoch nicht eingehen, weil die „Rostocker Zeitung" im Allgemeinen eine schlechte politische Richtung verfolge. Ein zweites Stück: im Verfahren erster Instanz waren 40 bis 60 Rostocker wegen Theilnahme am deutschen Nationalverein verurtheilt worden. In zweiter Instanz wurden dieselben freigesprochen. Herr V. Oertzen als Minister des Innern aber behauptete, daß der Rath zu Rostock, welcher die Spruchbehörde zweiter Instanz bildete, „sich erdreistet" habe, dabei von einer unrichtigen Ansicht aus¬ zugehen. Er cassirte nicht nur durch Cabinetsmachtspruch das freisprechende Erkenntniß, sondern erklärte zugleich auch die Verurtheilung erster Instanz für richtig, und wies den Rath zu Rostock an, für dessen Ausführung zu sorgen. Ais dieser sich weigerte, die Männer in Strafe zu nehmen, welche er freige¬ sprochen hatte, erschienen auf Befehl des Ministers v. Oertzen fünfundzwanzig Mann vom großherzoglichen Gardebataillon aus Schwerin und besetzten als Executionstruppe das Haus des Bürgermeisters Dr. Zastrow. Der Rath ward gezwungen, an Männern, die er durch ausführlich motivirtes Erkenntniß für schuldlos erklärt hatte, Strafen zu vollziehen. Die Sache wurde sowohl vom Rath als von den durch Herrn v. Oertzen verurtheilten Nationalvereinsmit¬ gliedern vor den Bundestag gebracht, und es hatte allen Anschein, als wenn selbst diese Versammlung dem Verfahren der mecklenburgischen Negierung keine Seite abgewinnen konnte, welche es ihr ermöglichte, darin etwas Anderes zu entdecke» als Cabinctsjustiz. Nur der schleunige Untergang des Bundestages brachte die Beschwerdeführer um ihren voraussichtlichen Sieg und den Bundes¬ tag selbst um die Gelegenheit, sich wenigstens in dieser Sache ein ehrenvolles An¬ denken zu sichern. Bei dem Allen giebt es doch zahlreiche Personen in Mecklenburg, welche die alte Landesverfassung und die damit in Verbindung stehenden Einrichtungen erhalten zu sehen wünschen und welche daher den Eintritt Mecklenburgs in den norddeutschen Bundesstaat fürchten. Das ist die Phalanx derer, welchen ihre Privilegien höher stehen als das Wohl des Ganzen und welche nicht gern auf den politischen Einfluß und die mit ihrer bisherigen Stellung verbundenen materiellen Vortheile verzichten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/516>, abgerufen am 28.09.2024.