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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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es ist ein unausgesprochenes Credo aller, ein stilles EinVerständniß, daß alle Wege
nach Berlin führen, und daß es so gut sei; eine gesicherte Ueberzeugung, die
eben, weil sie ihrer Sache gewiß ist, mit humoristischer Beschaulichkeit dem
Thun und Treiben des Particularismus folgt und gelassen der letzten Kraft¬
anstrengungen der Demagogie spottet.

So steht denn hinter den wenigen, welche sich die Organisation und Lei¬
tung dieser Richtung angelegen sein lassen, eine recht respectable Armee, und
es geht schon aus den Klagen über den massenhaften "Abfall", aus der Polemik
gegen die "Anbeter des Erfolgs" hervor, daß man gegenwärtig in Schwaben
die Preußenfreunde nicht erst mit der Laterne suchen muß. Ein östreichischer
Offizier, der einer hiesigen Adelsfamilie angehört, vor dem Kriege hier war
und kürzlich wieder hierher gekommen ist, sah sich zu dem erstaunten Ausruf
veranlaßt: "Als ich ging, war alles für Oestreich; nun ich wiederkomme, finde
ich alles preußisch gesinnt!" Aber auch in- den bürgerlichen Kreisen ist die
Stimmung doch nicht so einfarbig orthodox-particularistisch, wie man zuweilen
noch in Norddeutschland anzunehmen scheint. Ich will nicht übertreiben. Hätten
wir jetzt allgemeine Wahlen, zumal mit geheimem Stimmrecht vorzunehmen,
so würde vielleicht das bescheidene Häuflein unsrer Freunde in der Kammer
kaum einen Zuwachs erhalten, aber es würde doch in fast allen Bezirken eine
recht anständige Minderheit auf die Candidaten dieser Richtung fallen. Am
meisten bemerkbar sind die Sympathien für Preußen in demjenigen Landestheil,
der während der vierwöchentlichen Occupation Gelegenheit hatte, die persönliche
Bekanntschaft des gefürchteten Landesfeindes zu machen. Es ist doch eine des
Nachdenkens werthe Thatsache, daß das Verhältniß der preußischen Soldaten
zu der schwäbischen Bevölkerung überall das beste, ja herzlichste gewesen ist.
und daß in der ganzen Zeit nur einmal, in einer demokratisch versetzten Stadt,
ein Exceß vorgekommen ist. Dies will etwas sagen, wenn man bedenkt, wie
unmittelbar zuvor das Hetzgeschäft betrieben worden ist, wie man die albernsten
Mährchen über die barbarische Aufführung dieser modernen Hunnen verbreitet
hatte. Als sie wirklich kamen, stellten sie sich so ganz anders dar. als die
Schilderung gelautet hatte. Rasch wußten sie die Neigung der Bevölkerung
zu gewinnen. Ihre Sitten -- und es waren zum Theil polnische Regimenter --
stachen merklich ab von den Sitten, die man an den einheimischen Kriegern
gewöhnt war. Mit Verwunderung wurde man gewahr, daß z. B. Fluchen und
Renommiren nicht nothwendig zum Handwerk eines Knegsmanns gehöre. Wie
sie sich dann rasch in den Familien einbürgerten -- (für manchen Ehemann
vielleicht gar zu rasch), wie sie das Zutrauen der Kinder gewannen, wie sie den
Leuten bei der täglichen Arbeit halfen, wie sie, ohne commandirt zu sein, den
Gottesdienst besuchten, dies alles ist heute noch in jenen Gegenden in frischer
Erinnerung. Reichliche Thränen sind beim Abschied geflossen, und manche em-


es ist ein unausgesprochenes Credo aller, ein stilles EinVerständniß, daß alle Wege
nach Berlin führen, und daß es so gut sei; eine gesicherte Ueberzeugung, die
eben, weil sie ihrer Sache gewiß ist, mit humoristischer Beschaulichkeit dem
Thun und Treiben des Particularismus folgt und gelassen der letzten Kraft¬
anstrengungen der Demagogie spottet.

So steht denn hinter den wenigen, welche sich die Organisation und Lei¬
tung dieser Richtung angelegen sein lassen, eine recht respectable Armee, und
es geht schon aus den Klagen über den massenhaften „Abfall", aus der Polemik
gegen die „Anbeter des Erfolgs" hervor, daß man gegenwärtig in Schwaben
die Preußenfreunde nicht erst mit der Laterne suchen muß. Ein östreichischer
Offizier, der einer hiesigen Adelsfamilie angehört, vor dem Kriege hier war
und kürzlich wieder hierher gekommen ist, sah sich zu dem erstaunten Ausruf
veranlaßt: „Als ich ging, war alles für Oestreich; nun ich wiederkomme, finde
ich alles preußisch gesinnt!" Aber auch in- den bürgerlichen Kreisen ist die
Stimmung doch nicht so einfarbig orthodox-particularistisch, wie man zuweilen
noch in Norddeutschland anzunehmen scheint. Ich will nicht übertreiben. Hätten
wir jetzt allgemeine Wahlen, zumal mit geheimem Stimmrecht vorzunehmen,
so würde vielleicht das bescheidene Häuflein unsrer Freunde in der Kammer
kaum einen Zuwachs erhalten, aber es würde doch in fast allen Bezirken eine
recht anständige Minderheit auf die Candidaten dieser Richtung fallen. Am
meisten bemerkbar sind die Sympathien für Preußen in demjenigen Landestheil,
der während der vierwöchentlichen Occupation Gelegenheit hatte, die persönliche
Bekanntschaft des gefürchteten Landesfeindes zu machen. Es ist doch eine des
Nachdenkens werthe Thatsache, daß das Verhältniß der preußischen Soldaten
zu der schwäbischen Bevölkerung überall das beste, ja herzlichste gewesen ist.
und daß in der ganzen Zeit nur einmal, in einer demokratisch versetzten Stadt,
ein Exceß vorgekommen ist. Dies will etwas sagen, wenn man bedenkt, wie
unmittelbar zuvor das Hetzgeschäft betrieben worden ist, wie man die albernsten
Mährchen über die barbarische Aufführung dieser modernen Hunnen verbreitet
hatte. Als sie wirklich kamen, stellten sie sich so ganz anders dar. als die
Schilderung gelautet hatte. Rasch wußten sie die Neigung der Bevölkerung
zu gewinnen. Ihre Sitten — und es waren zum Theil polnische Regimenter —
stachen merklich ab von den Sitten, die man an den einheimischen Kriegern
gewöhnt war. Mit Verwunderung wurde man gewahr, daß z. B. Fluchen und
Renommiren nicht nothwendig zum Handwerk eines Knegsmanns gehöre. Wie
sie sich dann rasch in den Familien einbürgerten — (für manchen Ehemann
vielleicht gar zu rasch), wie sie das Zutrauen der Kinder gewannen, wie sie den
Leuten bei der täglichen Arbeit halfen, wie sie, ohne commandirt zu sein, den
Gottesdienst besuchten, dies alles ist heute noch in jenen Gegenden in frischer
Erinnerung. Reichliche Thränen sind beim Abschied geflossen, und manche em-


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[0493] es ist ein unausgesprochenes Credo aller, ein stilles EinVerständniß, daß alle Wege nach Berlin führen, und daß es so gut sei; eine gesicherte Ueberzeugung, die eben, weil sie ihrer Sache gewiß ist, mit humoristischer Beschaulichkeit dem Thun und Treiben des Particularismus folgt und gelassen der letzten Kraft¬ anstrengungen der Demagogie spottet. So steht denn hinter den wenigen, welche sich die Organisation und Lei¬ tung dieser Richtung angelegen sein lassen, eine recht respectable Armee, und es geht schon aus den Klagen über den massenhaften „Abfall", aus der Polemik gegen die „Anbeter des Erfolgs" hervor, daß man gegenwärtig in Schwaben die Preußenfreunde nicht erst mit der Laterne suchen muß. Ein östreichischer Offizier, der einer hiesigen Adelsfamilie angehört, vor dem Kriege hier war und kürzlich wieder hierher gekommen ist, sah sich zu dem erstaunten Ausruf veranlaßt: „Als ich ging, war alles für Oestreich; nun ich wiederkomme, finde ich alles preußisch gesinnt!" Aber auch in- den bürgerlichen Kreisen ist die Stimmung doch nicht so einfarbig orthodox-particularistisch, wie man zuweilen noch in Norddeutschland anzunehmen scheint. Ich will nicht übertreiben. Hätten wir jetzt allgemeine Wahlen, zumal mit geheimem Stimmrecht vorzunehmen, so würde vielleicht das bescheidene Häuflein unsrer Freunde in der Kammer kaum einen Zuwachs erhalten, aber es würde doch in fast allen Bezirken eine recht anständige Minderheit auf die Candidaten dieser Richtung fallen. Am meisten bemerkbar sind die Sympathien für Preußen in demjenigen Landestheil, der während der vierwöchentlichen Occupation Gelegenheit hatte, die persönliche Bekanntschaft des gefürchteten Landesfeindes zu machen. Es ist doch eine des Nachdenkens werthe Thatsache, daß das Verhältniß der preußischen Soldaten zu der schwäbischen Bevölkerung überall das beste, ja herzlichste gewesen ist. und daß in der ganzen Zeit nur einmal, in einer demokratisch versetzten Stadt, ein Exceß vorgekommen ist. Dies will etwas sagen, wenn man bedenkt, wie unmittelbar zuvor das Hetzgeschäft betrieben worden ist, wie man die albernsten Mährchen über die barbarische Aufführung dieser modernen Hunnen verbreitet hatte. Als sie wirklich kamen, stellten sie sich so ganz anders dar. als die Schilderung gelautet hatte. Rasch wußten sie die Neigung der Bevölkerung zu gewinnen. Ihre Sitten — und es waren zum Theil polnische Regimenter — stachen merklich ab von den Sitten, die man an den einheimischen Kriegern gewöhnt war. Mit Verwunderung wurde man gewahr, daß z. B. Fluchen und Renommiren nicht nothwendig zum Handwerk eines Knegsmanns gehöre. Wie sie sich dann rasch in den Familien einbürgerten — (für manchen Ehemann vielleicht gar zu rasch), wie sie das Zutrauen der Kinder gewannen, wie sie den Leuten bei der täglichen Arbeit halfen, wie sie, ohne commandirt zu sein, den Gottesdienst besuchten, dies alles ist heute noch in jenen Gegenden in frischer Erinnerung. Reichliche Thränen sind beim Abschied geflossen, und manche em-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/493>, abgerufen am 02.07.2024.