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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Katastrophe dieses Jahres das Bewußtsein der Zusammengehörigfeit, die Ueber"
zeugung, daß die neue Gestaltung Deutschlands nur ein Provisorium sein
könne, wieder zu befestigen. Dies war das Erste. Dabei sah man freilich ein,
daß die kraftvolle Aufrichtung und Ausgestaltung des norddeutschen Bundes
mit vorläufiger Ausschließung des Südens im Interesse des Ganzen liege.
Aber nachdrücklich mußte man es sogleich betonen, daß der Ausschluß nur vor¬
läufig sein dürfe; der Geist trotziger Absonderung durfte daraus nicht neue
Nahrung ziehen, es durften im Süden nicht Institutionen geschaffen werden,
welche das Provisorium verfestigend, den künftigen Anschluß erschwerend eine
Handhabe für auswärtige Intriguen boten. Man konnte sich nicht verhehlen,
daß an der Beschränkung des Bundes auf die Mainlinie niemand anders die
Schuld trug als der Süden selbst, der auf das Angebot des für das ganze
außeröstreichische Deutschland berechneten preußischen Reformprojects vom 10. Juni
mit Krieg geantwortet hatte; eben deswegen war es jetzt am Süden, es auszu¬
sprechen, daß das politische Ziel kein anderes sein könne als die Vereinigung
mit dem Norden mit allen ihren Consequen z en, Damit war der deut¬
schen Partei eine feste Richtung gegeben, und sie konnte immerhin abwarten, ob
die wirkliche Vereinigung bei der nächsten europäischen Krisis erfolgen oder ob
die preußische Negierung das Mittel der Zollvereinskündigung zur geeigneten
Zeit in Anwendung bringen würde.

Man müßte sich die Augen absichtlich verschließen, wenn man verkennen
wollte, daß die preußische Partei in Schwaben, so zäh der Boden ist, in den
letzten Monaten bedeutend an Terrain gewonnen hat. Es hat nie an Preußen¬
freunden gefehlt, aber so offen sind niemals früher die Sympathien für den
norddeutschen Großstaat ausgesprochen worden, so nüchtern hat man niemals
die letzten Konsequenzen gezogen, und niemals früher hat diese Richtung Gegen¬
stand der populären Agitation sein können. Am meisten hat freilich der Erfolg
für sie gewirkt. Es mag übertrieben sein, was sich hier die Sperlinge auf den
Dächern erzählen, daß das ganze Offiziercorps preußisch gesinnt aus dem Felde
zurückgekommen sei und die Stunde herbeisehne, da es einer wirklichen Armee
angehören werde, unter einer Führung, welche die Möglichkeit des Sieges ge¬
währt. Es mag auch dies übertrieben sein, was, wohlgemerkt, noch während
des Kriegs und vor der Entscheidung von officieller wie radicaler Seite be¬
hauptet wurde, daß die ganze Beamtenwelt mit ihren Sympathien auf preußi¬
scher Seite stehe. Aber Thatsache ist. daß der denunciatorische Terrorismus,
der von Seite der tollgewordenen Particularistcn ausgeübt wurde, mehr und
mehr seine Wirkung verliert, und daß die gebildete Gesellschaft, über die Mehr¬
zahl der ehemaligen politischen Führer hinweg, mit verschwindenden Ausnahmen
einer friedlichen -- man erschrecke nicht vor dem Wort! -- einer friedlichen
Verschwörung gleicht, deren Verbündete bis in sehr hohe Regionen hinaufreichen;


Katastrophe dieses Jahres das Bewußtsein der Zusammengehörigfeit, die Ueber«
zeugung, daß die neue Gestaltung Deutschlands nur ein Provisorium sein
könne, wieder zu befestigen. Dies war das Erste. Dabei sah man freilich ein,
daß die kraftvolle Aufrichtung und Ausgestaltung des norddeutschen Bundes
mit vorläufiger Ausschließung des Südens im Interesse des Ganzen liege.
Aber nachdrücklich mußte man es sogleich betonen, daß der Ausschluß nur vor¬
läufig sein dürfe; der Geist trotziger Absonderung durfte daraus nicht neue
Nahrung ziehen, es durften im Süden nicht Institutionen geschaffen werden,
welche das Provisorium verfestigend, den künftigen Anschluß erschwerend eine
Handhabe für auswärtige Intriguen boten. Man konnte sich nicht verhehlen,
daß an der Beschränkung des Bundes auf die Mainlinie niemand anders die
Schuld trug als der Süden selbst, der auf das Angebot des für das ganze
außeröstreichische Deutschland berechneten preußischen Reformprojects vom 10. Juni
mit Krieg geantwortet hatte; eben deswegen war es jetzt am Süden, es auszu¬
sprechen, daß das politische Ziel kein anderes sein könne als die Vereinigung
mit dem Norden mit allen ihren Consequen z en, Damit war der deut¬
schen Partei eine feste Richtung gegeben, und sie konnte immerhin abwarten, ob
die wirkliche Vereinigung bei der nächsten europäischen Krisis erfolgen oder ob
die preußische Negierung das Mittel der Zollvereinskündigung zur geeigneten
Zeit in Anwendung bringen würde.

Man müßte sich die Augen absichtlich verschließen, wenn man verkennen
wollte, daß die preußische Partei in Schwaben, so zäh der Boden ist, in den
letzten Monaten bedeutend an Terrain gewonnen hat. Es hat nie an Preußen¬
freunden gefehlt, aber so offen sind niemals früher die Sympathien für den
norddeutschen Großstaat ausgesprochen worden, so nüchtern hat man niemals
die letzten Konsequenzen gezogen, und niemals früher hat diese Richtung Gegen¬
stand der populären Agitation sein können. Am meisten hat freilich der Erfolg
für sie gewirkt. Es mag übertrieben sein, was sich hier die Sperlinge auf den
Dächern erzählen, daß das ganze Offiziercorps preußisch gesinnt aus dem Felde
zurückgekommen sei und die Stunde herbeisehne, da es einer wirklichen Armee
angehören werde, unter einer Führung, welche die Möglichkeit des Sieges ge¬
währt. Es mag auch dies übertrieben sein, was, wohlgemerkt, noch während
des Kriegs und vor der Entscheidung von officieller wie radicaler Seite be¬
hauptet wurde, daß die ganze Beamtenwelt mit ihren Sympathien auf preußi¬
scher Seite stehe. Aber Thatsache ist. daß der denunciatorische Terrorismus,
der von Seite der tollgewordenen Particularistcn ausgeübt wurde, mehr und
mehr seine Wirkung verliert, und daß die gebildete Gesellschaft, über die Mehr¬
zahl der ehemaligen politischen Führer hinweg, mit verschwindenden Ausnahmen
einer friedlichen — man erschrecke nicht vor dem Wort! — einer friedlichen
Verschwörung gleicht, deren Verbündete bis in sehr hohe Regionen hinaufreichen;


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[0492] Katastrophe dieses Jahres das Bewußtsein der Zusammengehörigfeit, die Ueber« zeugung, daß die neue Gestaltung Deutschlands nur ein Provisorium sein könne, wieder zu befestigen. Dies war das Erste. Dabei sah man freilich ein, daß die kraftvolle Aufrichtung und Ausgestaltung des norddeutschen Bundes mit vorläufiger Ausschließung des Südens im Interesse des Ganzen liege. Aber nachdrücklich mußte man es sogleich betonen, daß der Ausschluß nur vor¬ läufig sein dürfe; der Geist trotziger Absonderung durfte daraus nicht neue Nahrung ziehen, es durften im Süden nicht Institutionen geschaffen werden, welche das Provisorium verfestigend, den künftigen Anschluß erschwerend eine Handhabe für auswärtige Intriguen boten. Man konnte sich nicht verhehlen, daß an der Beschränkung des Bundes auf die Mainlinie niemand anders die Schuld trug als der Süden selbst, der auf das Angebot des für das ganze außeröstreichische Deutschland berechneten preußischen Reformprojects vom 10. Juni mit Krieg geantwortet hatte; eben deswegen war es jetzt am Süden, es auszu¬ sprechen, daß das politische Ziel kein anderes sein könne als die Vereinigung mit dem Norden mit allen ihren Consequen z en, Damit war der deut¬ schen Partei eine feste Richtung gegeben, und sie konnte immerhin abwarten, ob die wirkliche Vereinigung bei der nächsten europäischen Krisis erfolgen oder ob die preußische Negierung das Mittel der Zollvereinskündigung zur geeigneten Zeit in Anwendung bringen würde. Man müßte sich die Augen absichtlich verschließen, wenn man verkennen wollte, daß die preußische Partei in Schwaben, so zäh der Boden ist, in den letzten Monaten bedeutend an Terrain gewonnen hat. Es hat nie an Preußen¬ freunden gefehlt, aber so offen sind niemals früher die Sympathien für den norddeutschen Großstaat ausgesprochen worden, so nüchtern hat man niemals die letzten Konsequenzen gezogen, und niemals früher hat diese Richtung Gegen¬ stand der populären Agitation sein können. Am meisten hat freilich der Erfolg für sie gewirkt. Es mag übertrieben sein, was sich hier die Sperlinge auf den Dächern erzählen, daß das ganze Offiziercorps preußisch gesinnt aus dem Felde zurückgekommen sei und die Stunde herbeisehne, da es einer wirklichen Armee angehören werde, unter einer Führung, welche die Möglichkeit des Sieges ge¬ währt. Es mag auch dies übertrieben sein, was, wohlgemerkt, noch während des Kriegs und vor der Entscheidung von officieller wie radicaler Seite be¬ hauptet wurde, daß die ganze Beamtenwelt mit ihren Sympathien auf preußi¬ scher Seite stehe. Aber Thatsache ist. daß der denunciatorische Terrorismus, der von Seite der tollgewordenen Particularistcn ausgeübt wurde, mehr und mehr seine Wirkung verliert, und daß die gebildete Gesellschaft, über die Mehr¬ zahl der ehemaligen politischen Führer hinweg, mit verschwindenden Ausnahmen einer friedlichen — man erschrecke nicht vor dem Wort! — einer friedlichen Verschwörung gleicht, deren Verbündete bis in sehr hohe Regionen hinaufreichen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/492>, abgerufen am 04.07.2024.