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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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pfindsame Correspondenz spielt heute noch zwischen Westfalen und Fränkisch-
Schwaben, welche die damals geknüpften Freundeshände zusammenhält. Man
muß solche Briefe gelesen haben und an Ort und Stelle auf die Spuren dieser
Erinnerung gestoßen sein, um den vollen Ekel an der Stammeshetze unsrer
Demagogie zu empfinden.

Vielleicht noch wichtiger aber als solche Sympathien, die mit der Zeit immer¬
hin wieder verblassen mögen, ist die größere Bestimmtheit und Consequenz,
welche jetzt die Ansichten der Preußischgesinnten gewonnen haben. Wer früher
nach dieser Seite neigte, that es schüchtern, mit zweideutigen Wendungen, mit
Vorbehalten aller Art. Die Programme waren mit Wenn und Aber gespickt.
Allmälig erst stieg das Bewußtsein davon auf, daß das Deutschland, das sich
in Preußen verjüngt hat, und das Deutschland der Volksversammlungen nun
einmal schlechterdings unvereinbare Größen sind. Vielfach spukte die Idee in
den Köpfen, als ob wir mit dem nordmainischen Deutschland auf dem Fuß der
Parität stünden und es ein Pacisciren zwischen zwei gleichberechtigten Gebieten
gelte. Es ist noch nicht so lange her, so konnte man aus dem Mund von
Politikern, die im Süden unsern Ansichten am nächsten standen, verwirrende
Phrasen vernehmen, wie die: Preußen muß in Deutschland aufgehen, nicht
Deutschland in Preußen, oder: ich gehe mit Bismarck. wenn er die Reichsver¬
fassung proclamirt, oder: unter der Bedingung, daß Frankfurt die Hauptstadt
werde, nicht Berlin u. tgi. Die Fortschrittspartei hatte sich immer noch Hinter¬
thüren offen gehalten, durch welche sie gleichzeitig dem particularistischen Theil
der Demokratie die Hand drückte. Dies alles ist jetzt anders geworden. Der
Bruch ist jetzt endlich vollständig. Der Wegfall dieser Rücksichten hat die preu¬
ßische Partei entschieden gekräftigt und ihr zugleich einen Nachwuchs junger
Kräfte gesichert, die jetzt erst, bei unverschleierten politischen Zielen, sich ihr an¬
schließen mochten. Die Zweideutigkeiten haben ein Ende, und die Sprache der
"Schwäbischen Volkszeitung", des Organs der Partei, läßt an Deutlichkeit nichts
zu wünschen übrig. Wenn man den Eintritt in den norddeutschen Bund an¬
strebt, so ist man sich vollkommen der Konsequenzen dieses Eintritts bewußt,
und dies scheint mir, wie gesagt, das Wichtigste.

Beschämt und trauernd sehen wir die Anstalten zu einem deutschen Par¬
lament treffen, in welchem die südlichen Provinzen nicht vertreten sind. Ist es
erst ins Leben getreten, so wird hüben und drüben die Empfindung noch leb¬
hafter hervortreten, daß dies nur ein provisorischer Zustand sein darf, und die
Resultate des Kriegs nur ein Pfand sind für die Vollendung der Arbeit. Die
Deutschen sind nicht das Volk, einen Vertrag so unbefangen und respectwidrig
zu überspringen, wie die Italiener es mit dem züncher Frieden gethan haben.
Aber zwischen ihm und dem Contract, auf welchem wir jetzt mehr schweben als
stehen, ist die Analogie unläugbar, daß beide überwundene Postulate stellen.


pfindsame Correspondenz spielt heute noch zwischen Westfalen und Fränkisch-
Schwaben, welche die damals geknüpften Freundeshände zusammenhält. Man
muß solche Briefe gelesen haben und an Ort und Stelle auf die Spuren dieser
Erinnerung gestoßen sein, um den vollen Ekel an der Stammeshetze unsrer
Demagogie zu empfinden.

Vielleicht noch wichtiger aber als solche Sympathien, die mit der Zeit immer¬
hin wieder verblassen mögen, ist die größere Bestimmtheit und Consequenz,
welche jetzt die Ansichten der Preußischgesinnten gewonnen haben. Wer früher
nach dieser Seite neigte, that es schüchtern, mit zweideutigen Wendungen, mit
Vorbehalten aller Art. Die Programme waren mit Wenn und Aber gespickt.
Allmälig erst stieg das Bewußtsein davon auf, daß das Deutschland, das sich
in Preußen verjüngt hat, und das Deutschland der Volksversammlungen nun
einmal schlechterdings unvereinbare Größen sind. Vielfach spukte die Idee in
den Köpfen, als ob wir mit dem nordmainischen Deutschland auf dem Fuß der
Parität stünden und es ein Pacisciren zwischen zwei gleichberechtigten Gebieten
gelte. Es ist noch nicht so lange her, so konnte man aus dem Mund von
Politikern, die im Süden unsern Ansichten am nächsten standen, verwirrende
Phrasen vernehmen, wie die: Preußen muß in Deutschland aufgehen, nicht
Deutschland in Preußen, oder: ich gehe mit Bismarck. wenn er die Reichsver¬
fassung proclamirt, oder: unter der Bedingung, daß Frankfurt die Hauptstadt
werde, nicht Berlin u. tgi. Die Fortschrittspartei hatte sich immer noch Hinter¬
thüren offen gehalten, durch welche sie gleichzeitig dem particularistischen Theil
der Demokratie die Hand drückte. Dies alles ist jetzt anders geworden. Der
Bruch ist jetzt endlich vollständig. Der Wegfall dieser Rücksichten hat die preu¬
ßische Partei entschieden gekräftigt und ihr zugleich einen Nachwuchs junger
Kräfte gesichert, die jetzt erst, bei unverschleierten politischen Zielen, sich ihr an¬
schließen mochten. Die Zweideutigkeiten haben ein Ende, und die Sprache der
„Schwäbischen Volkszeitung", des Organs der Partei, läßt an Deutlichkeit nichts
zu wünschen übrig. Wenn man den Eintritt in den norddeutschen Bund an¬
strebt, so ist man sich vollkommen der Konsequenzen dieses Eintritts bewußt,
und dies scheint mir, wie gesagt, das Wichtigste.

Beschämt und trauernd sehen wir die Anstalten zu einem deutschen Par¬
lament treffen, in welchem die südlichen Provinzen nicht vertreten sind. Ist es
erst ins Leben getreten, so wird hüben und drüben die Empfindung noch leb¬
hafter hervortreten, daß dies nur ein provisorischer Zustand sein darf, und die
Resultate des Kriegs nur ein Pfand sind für die Vollendung der Arbeit. Die
Deutschen sind nicht das Volk, einen Vertrag so unbefangen und respectwidrig
zu überspringen, wie die Italiener es mit dem züncher Frieden gethan haben.
Aber zwischen ihm und dem Contract, auf welchem wir jetzt mehr schweben als
stehen, ist die Analogie unläugbar, daß beide überwundene Postulate stellen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/494>, abgerufen am 30.06.2024.