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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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vom Reich nachzuthun. Aber auch von dem mächtigen Nationalitätenfreund im
Westen darf man, seitdem der Staat die internationale Selbständigkeit erlangt
und folglich die freie Wahl der Allianzen hat, ungescheuter reden. Im Grunde
ist er.ja doch der letzte Hort dieser Art von deutscher Freiheit. Gleich, nach dem
Frieden wurde in Volksvereinen mit Wichtigkeit die Frage erörtert, ob man im
Fall eines Kriegs zwischen Frankreich und Preußen auf die Seite des letzteren
treten dürfe, und ein Verein wenigstens beantwortete die Frage frischweg mit
Nein. Seitdem ist sie vielfach, auch in der Kammer erörtert worden; bekannt¬
lich ist auch in diesem Punkt die Minderheit unterlegen. In der Regel ist man
freilich klüger als jene ehrlichen Bürger in Eßlingen. Man vermeidet, in
öffentlichen Kundgebungen auszuposaunen, was sich im Bierhaus unbedenklich
sagen läßt. Es genügt, mit verhaltener Freude und mit Prophetenmiene auf
die Zeit zu verweisen, da Frankreichs Heere den wider die deutsche Nation ver¬
übten Frevel an Preußen rächen werden. Indessen, dies sind alles Phantasien,
vage Hoffnungen; man mußte, wo nicht ein Programm, doch den Schein eines
Programms haben, das minder anrüchig für das nationale Gewissen, verlockend
durch liberalen Schimmer, schmeichelhaft für das süddeutsche Selbstgefühl, ent¬
schieden dem Hegemoniestaat die Spitze bot. Man brauchte nicht lange zu suchen.
Glücklicherweise hatte Louis Napoleon für ein Programm gesorgt, das alle
diese schmackhaften Ingredienzien vereinigte: die Conföderation der Südstaaten,
dieser correcteste Ausdruck des Antipreußenthums. schon durch den Namen an
eine, wenn auch erfolglose. so doch glorreiche Unternehmung der centrifugalen
Tendenzen in dem Staatswesen jenseits des Oceans erinnernd, wurde das
Banner, um das sich die Coalition schaarte. Klugen Sinnes erkannten die
Leiter, daß sie hier ein überaus haltbares Banner, ein niemals veraltendes
Feldgeschrei gefunden. " Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein
veraltet nie." Man konnte diese Südconföderation um so gemüthlicher fort
und fort verlangen, je gewisser jedermann überzeugt war, daß sie niemals ins
Leben treten werde.

Man kann nicht sagen, daß die Coalition mit diesem Programm Glück
gemacht hat. Zwar darauf, daß die Cabinete es ernstlich in die Hand nehmen
würden, war gar nicht gerechnet; aber es wurde nicht einmal populär. Dies
war doch dem gesunden Sinn auch des schwäbischen Volks, das auf so und so
viel Turm-und Schützenfesten für das einige Vaterland sich begeistert hatte, ein¬
leuchtend, daß die politische Aufgabe die Vereinigung, nicht die Trennung
Deutschlands sein müsse, die Beseitigung der Mainlinie, nicht deren Verfestigung.
Die Agitation gegen die Mainlinie war die Geburtsstätte der preußischen Partei
in Schwaben, oder wie sie sich hier genannt hat, der deutschen Partei. Man ließ
sich dadurch nicht irre machen, daß die erste Form der Agitation von Nord-
deutschland aus desavouirt, zuweilen sogar verspottet wurde. Es galt nach der


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vom Reich nachzuthun. Aber auch von dem mächtigen Nationalitätenfreund im
Westen darf man, seitdem der Staat die internationale Selbständigkeit erlangt
und folglich die freie Wahl der Allianzen hat, ungescheuter reden. Im Grunde
ist er.ja doch der letzte Hort dieser Art von deutscher Freiheit. Gleich, nach dem
Frieden wurde in Volksvereinen mit Wichtigkeit die Frage erörtert, ob man im
Fall eines Kriegs zwischen Frankreich und Preußen auf die Seite des letzteren
treten dürfe, und ein Verein wenigstens beantwortete die Frage frischweg mit
Nein. Seitdem ist sie vielfach, auch in der Kammer erörtert worden; bekannt¬
lich ist auch in diesem Punkt die Minderheit unterlegen. In der Regel ist man
freilich klüger als jene ehrlichen Bürger in Eßlingen. Man vermeidet, in
öffentlichen Kundgebungen auszuposaunen, was sich im Bierhaus unbedenklich
sagen läßt. Es genügt, mit verhaltener Freude und mit Prophetenmiene auf
die Zeit zu verweisen, da Frankreichs Heere den wider die deutsche Nation ver¬
übten Frevel an Preußen rächen werden. Indessen, dies sind alles Phantasien,
vage Hoffnungen; man mußte, wo nicht ein Programm, doch den Schein eines
Programms haben, das minder anrüchig für das nationale Gewissen, verlockend
durch liberalen Schimmer, schmeichelhaft für das süddeutsche Selbstgefühl, ent¬
schieden dem Hegemoniestaat die Spitze bot. Man brauchte nicht lange zu suchen.
Glücklicherweise hatte Louis Napoleon für ein Programm gesorgt, das alle
diese schmackhaften Ingredienzien vereinigte: die Conföderation der Südstaaten,
dieser correcteste Ausdruck des Antipreußenthums. schon durch den Namen an
eine, wenn auch erfolglose. so doch glorreiche Unternehmung der centrifugalen
Tendenzen in dem Staatswesen jenseits des Oceans erinnernd, wurde das
Banner, um das sich die Coalition schaarte. Klugen Sinnes erkannten die
Leiter, daß sie hier ein überaus haltbares Banner, ein niemals veraltendes
Feldgeschrei gefunden. „ Was sich nie und nirgends hat begeben, das allein
veraltet nie." Man konnte diese Südconföderation um so gemüthlicher fort
und fort verlangen, je gewisser jedermann überzeugt war, daß sie niemals ins
Leben treten werde.

Man kann nicht sagen, daß die Coalition mit diesem Programm Glück
gemacht hat. Zwar darauf, daß die Cabinete es ernstlich in die Hand nehmen
würden, war gar nicht gerechnet; aber es wurde nicht einmal populär. Dies
war doch dem gesunden Sinn auch des schwäbischen Volks, das auf so und so
viel Turm-und Schützenfesten für das einige Vaterland sich begeistert hatte, ein¬
leuchtend, daß die politische Aufgabe die Vereinigung, nicht die Trennung
Deutschlands sein müsse, die Beseitigung der Mainlinie, nicht deren Verfestigung.
Die Agitation gegen die Mainlinie war die Geburtsstätte der preußischen Partei
in Schwaben, oder wie sie sich hier genannt hat, der deutschen Partei. Man ließ
sich dadurch nicht irre machen, daß die erste Form der Agitation von Nord-
deutschland aus desavouirt, zuweilen sogar verspottet wurde. Es galt nach der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/491>, abgerufen am 03.07.2024.