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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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einem Moment, in welchem die Regierung ohne sichtbaren anderweitigen Ruck"
halt allein dem Vol/e mit seinen Forderungen gegenüberstände.

Um so lebhafter ist noch immer der Karteikampf in den Fragen, die sich
auf die Folgen des Krieges und die Zukunft Deutschlands beziehen. Ich komme
nicht auf die Adreßdebatten und ihr beschämendes Resultat zurück. Bekanntlich
wurde zu drei Vierteln die preußenfeindliche Adresse von der Abgeordnetenkammer
angenommen, ein Viertel sprach sich für den Anschluß an Preußen aus. Viel¬
leicht entsprach dies Zahlenverhältniß genau der damaligen Stimmung im
Lande, ein Plebiscit hätte ohne Zweifel dasselbe Verhältniß gegeben; man war
berechtigt, die Adresse als die Stimme des schwäbischen Volkes in seiner großen
Mehrzahl zu betrachten. Allein jene Minderheit war eine wirkliche Partei mit
einem positiven Programm, die Mehrheit wurde durch eine Coalition gebildet,
die nur in der Negation, höchstens in phantastischen Zielen zusammenstimmte.
Die Mehrheit war nur stark in ihrem Hasse, die Minderheit wußte sich eins
mit dem Genius der Nation, jene stritt für die Vergangenheit, diese für die
Zukunft: die Folgen dieser Stellung können nicht ausbleiben.

Die Bestandtheile dieser Koalition lassen sich nicht leicht sondern, da sie
vielfach ineinander übergreifen und einzelne Persönlichkeiten es trefflich ver¬
stehen, heute in dieser, morgen in jener Farbe zu schillern, heute für den Con-
cordatsstaat, morgen für die freie Schweiz zu schwärmen. Hier der Ultramon¬
tane -- und dieser weiß am sichersten, wohin er steuert --, dort der ehrliche
Großdeutsche, dem die Phrase vom Ausschluß der Brüder in Oestreich noch
immer nicht langweilig geworden ist; hier der Schutzzöllner, der noch krankt
an seiner Niederlage im Zvllvereinskrieg, dort der Gefühlspolitiker, der durch
den Sieg der brutalen Gewalt über den Augusienburger und den Kurfürsten
von Hessen an der Vorsehung irre geworden ist; hier der alte Freiheilsmann,
der, in der Schule Nottccks erzogen, diese Welt nicht mehr versteht, dort der
Doctnnär des Föderalismus, der am meisten Lärm zu machen weiß, was seinem
Häuflein an Zahl abgeht, durch Energie der Redeweise und stramme Partei¬
organisation erhebt und sich die vornehme Miene giebt, als beherrsche er durch
diese die ganze Gesellschaft. Diese bunten Elemente sind kaum durch etwas
Anderes zusammengehalten als durch die Opposition gegen den preußischen
Staat, es ist eine Coalition aä Koe. Jedes Mittel ist recht, was diesem Zweck
zu dienen scheint. Bald wird der Anschluß an das demnächst wieder gesammelte
und rachebereite Oestreich gepredigt, dessen Bevölkerung trotz allem unendlich
viel deutscher und liberaler empfindet, als der sarmatische und knechtische Norden.
Oder die Blicke richten sich nach der Schweiz; man verlangt zuerst Adoption
ihrer inneren Einrichtungen und läßt eine politische Angliederung durchblicken,
wie denn schon in den Zeiten des Bauernkrieges die Freiheitsmänner Schwabens
der Gedanke kitzelte, sich mit der Schweiz zu vereinigen und ihr den Abfall


einem Moment, in welchem die Regierung ohne sichtbaren anderweitigen Ruck«
halt allein dem Vol/e mit seinen Forderungen gegenüberstände.

Um so lebhafter ist noch immer der Karteikampf in den Fragen, die sich
auf die Folgen des Krieges und die Zukunft Deutschlands beziehen. Ich komme
nicht auf die Adreßdebatten und ihr beschämendes Resultat zurück. Bekanntlich
wurde zu drei Vierteln die preußenfeindliche Adresse von der Abgeordnetenkammer
angenommen, ein Viertel sprach sich für den Anschluß an Preußen aus. Viel¬
leicht entsprach dies Zahlenverhältniß genau der damaligen Stimmung im
Lande, ein Plebiscit hätte ohne Zweifel dasselbe Verhältniß gegeben; man war
berechtigt, die Adresse als die Stimme des schwäbischen Volkes in seiner großen
Mehrzahl zu betrachten. Allein jene Minderheit war eine wirkliche Partei mit
einem positiven Programm, die Mehrheit wurde durch eine Coalition gebildet,
die nur in der Negation, höchstens in phantastischen Zielen zusammenstimmte.
Die Mehrheit war nur stark in ihrem Hasse, die Minderheit wußte sich eins
mit dem Genius der Nation, jene stritt für die Vergangenheit, diese für die
Zukunft: die Folgen dieser Stellung können nicht ausbleiben.

Die Bestandtheile dieser Koalition lassen sich nicht leicht sondern, da sie
vielfach ineinander übergreifen und einzelne Persönlichkeiten es trefflich ver¬
stehen, heute in dieser, morgen in jener Farbe zu schillern, heute für den Con-
cordatsstaat, morgen für die freie Schweiz zu schwärmen. Hier der Ultramon¬
tane — und dieser weiß am sichersten, wohin er steuert —, dort der ehrliche
Großdeutsche, dem die Phrase vom Ausschluß der Brüder in Oestreich noch
immer nicht langweilig geworden ist; hier der Schutzzöllner, der noch krankt
an seiner Niederlage im Zvllvereinskrieg, dort der Gefühlspolitiker, der durch
den Sieg der brutalen Gewalt über den Augusienburger und den Kurfürsten
von Hessen an der Vorsehung irre geworden ist; hier der alte Freiheilsmann,
der, in der Schule Nottccks erzogen, diese Welt nicht mehr versteht, dort der
Doctnnär des Föderalismus, der am meisten Lärm zu machen weiß, was seinem
Häuflein an Zahl abgeht, durch Energie der Redeweise und stramme Partei¬
organisation erhebt und sich die vornehme Miene giebt, als beherrsche er durch
diese die ganze Gesellschaft. Diese bunten Elemente sind kaum durch etwas
Anderes zusammengehalten als durch die Opposition gegen den preußischen
Staat, es ist eine Coalition aä Koe. Jedes Mittel ist recht, was diesem Zweck
zu dienen scheint. Bald wird der Anschluß an das demnächst wieder gesammelte
und rachebereite Oestreich gepredigt, dessen Bevölkerung trotz allem unendlich
viel deutscher und liberaler empfindet, als der sarmatische und knechtische Norden.
Oder die Blicke richten sich nach der Schweiz; man verlangt zuerst Adoption
ihrer inneren Einrichtungen und läßt eine politische Angliederung durchblicken,
wie denn schon in den Zeiten des Bauernkrieges die Freiheitsmänner Schwabens
der Gedanke kitzelte, sich mit der Schweiz zu vereinigen und ihr den Abfall


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/490>, abgerufen am 01.07.2024.