Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gente Bürgschaft, daß uns der Friede erhalten bleibt. Denn die großen Um¬
wandlungen, welche jetzt Frankreich und nach mancher Richtung Oestreich vorbereiten,
sind nicht in einem, ja nicht in drei Jahren zu beenden, sie versetzen während
ihrer Durchführung das beste Heer in einen Zustand der Unfertigkeit und machen
dem Staate, der sie unternimmt, eine Friedensperiode wünschenswerth. Preußen
aber ist in der Lage, jeder einzelnen der großen Continentalmächte gewachsen
zu - sein ; die Aufgabe preußischer Staatskunst ist, eine Liga mehrer gegen
Preußen zu hindern.

Und dafür ist unsere Lage nicht ungünstig; wir begehren nichts von fremdem
Land, und nichts, was nach gerechtem Urtheil fremde Lebensinteressen stört, die
Wünsche der leidenschaftlichsten Patrioten gehen nur dahin, das gesammte außer¬
östreichische Deutschland in einen Staatskörper zu vereinigen, und diese Ver¬
einigung, auf dem Gebiet realer Interessen in Süden bereits vollzogen, kann
nur erfolgen, wenn die Völker Süddeutschlands sich dieselbe fordern. Wir
fürchten keinen süddeutschen Bund, denn wir sind der tapfern Regierung Badens
sicher, und wir fürchten keinen festen politischen Anschluß an Oestreich, denn
unser Silber wiegt schwerer, als die unsichern Banknoten, die preußische Re¬
gierung ist zwar in Bayern nicht geliebt, aber die östreichische gehaßt, und kein
süddeutscher Politiker, wie sehr ihn verletzter Stolz und dynastisches Interesse
verblende., würde ungestraft wagen, das Leben seines Staates an das Schicksal
zu fesseln, welches sich im östreichischen Kaiserstaat vollzieht.

Wir meinen nicht, daß Herr v. Beust sich selbst der Täuschung hingiebt, er
vermöge dort gründlich aufzubessern. Was seine Stärke ist, die kleinen diplo¬
matischen Virtuositäten, kann dort höchstens seine Person eine Zeit lang halten.
Niemand besitzt weniger die Eigenschaften eines Reformators, als er, heißen
Patriotismus, leidenschaftliche Hingabe an eine große Idee und den gestählten
Charakter, welcher unwiderstehlich die Hindernisse niedertritt. Ein kleiner un¬
verächtlicher Vortheil kommt ihm zu seiner Gescheidtheit und einer unheimlichen
Unbefangenheit, der ihn unsrer Presse collegialisch nähert; er hat von Haus aus
Anlage zu einem Journalisten, und er wäre, wenn ihm sein Leben die natur¬
gemäße Entwickelung gestattet hätte, wahrscheinlich ein guter Leitartikelschreiber
geworden, auch seine Noten sind Artikel. Als Minister vermochte er dies Talent
nur unvollkommen zu entwickeln. Er war fleißig in der sächsischen Presse, aber
seine Artikel waren zu lang, zu viel kleines Geplänkel darin und etwas Selbst¬
gefälligkeit. Man darf doch zweifeln, ob solche Technik in Reden, Noten und
der Presse dein Getümmel der Nationalitäten im Kaiserstaat auf die Dauer im-
poniren wird. Preußen gegenüber aber trauen wir ihm die gewandte Klugheit
zu, daß grade er die Welt durch unbefangene Würdigung eines guten Einver¬
nehmens mit diesem Nachbarstaat überraschen wird.




gente Bürgschaft, daß uns der Friede erhalten bleibt. Denn die großen Um¬
wandlungen, welche jetzt Frankreich und nach mancher Richtung Oestreich vorbereiten,
sind nicht in einem, ja nicht in drei Jahren zu beenden, sie versetzen während
ihrer Durchführung das beste Heer in einen Zustand der Unfertigkeit und machen
dem Staate, der sie unternimmt, eine Friedensperiode wünschenswerth. Preußen
aber ist in der Lage, jeder einzelnen der großen Continentalmächte gewachsen
zu - sein ; die Aufgabe preußischer Staatskunst ist, eine Liga mehrer gegen
Preußen zu hindern.

Und dafür ist unsere Lage nicht ungünstig; wir begehren nichts von fremdem
Land, und nichts, was nach gerechtem Urtheil fremde Lebensinteressen stört, die
Wünsche der leidenschaftlichsten Patrioten gehen nur dahin, das gesammte außer¬
östreichische Deutschland in einen Staatskörper zu vereinigen, und diese Ver¬
einigung, auf dem Gebiet realer Interessen in Süden bereits vollzogen, kann
nur erfolgen, wenn die Völker Süddeutschlands sich dieselbe fordern. Wir
fürchten keinen süddeutschen Bund, denn wir sind der tapfern Regierung Badens
sicher, und wir fürchten keinen festen politischen Anschluß an Oestreich, denn
unser Silber wiegt schwerer, als die unsichern Banknoten, die preußische Re¬
gierung ist zwar in Bayern nicht geliebt, aber die östreichische gehaßt, und kein
süddeutscher Politiker, wie sehr ihn verletzter Stolz und dynastisches Interesse
verblende., würde ungestraft wagen, das Leben seines Staates an das Schicksal
zu fesseln, welches sich im östreichischen Kaiserstaat vollzieht.

Wir meinen nicht, daß Herr v. Beust sich selbst der Täuschung hingiebt, er
vermöge dort gründlich aufzubessern. Was seine Stärke ist, die kleinen diplo¬
matischen Virtuositäten, kann dort höchstens seine Person eine Zeit lang halten.
Niemand besitzt weniger die Eigenschaften eines Reformators, als er, heißen
Patriotismus, leidenschaftliche Hingabe an eine große Idee und den gestählten
Charakter, welcher unwiderstehlich die Hindernisse niedertritt. Ein kleiner un¬
verächtlicher Vortheil kommt ihm zu seiner Gescheidtheit und einer unheimlichen
Unbefangenheit, der ihn unsrer Presse collegialisch nähert; er hat von Haus aus
Anlage zu einem Journalisten, und er wäre, wenn ihm sein Leben die natur¬
gemäße Entwickelung gestattet hätte, wahrscheinlich ein guter Leitartikelschreiber
geworden, auch seine Noten sind Artikel. Als Minister vermochte er dies Talent
nur unvollkommen zu entwickeln. Er war fleißig in der sächsischen Presse, aber
seine Artikel waren zu lang, zu viel kleines Geplänkel darin und etwas Selbst¬
gefälligkeit. Man darf doch zweifeln, ob solche Technik in Reden, Noten und
der Presse dein Getümmel der Nationalitäten im Kaiserstaat auf die Dauer im-
poniren wird. Preußen gegenüber aber trauen wir ihm die gewandte Klugheit
zu, daß grade er die Welt durch unbefangene Würdigung eines guten Einver¬
nehmens mit diesem Nachbarstaat überraschen wird.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0480" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286628"/>
          <p xml:id="ID_1424" prev="#ID_1423"> gente Bürgschaft, daß uns der Friede erhalten bleibt. Denn die großen Um¬<lb/>
wandlungen, welche jetzt Frankreich und nach mancher Richtung Oestreich vorbereiten,<lb/>
sind nicht in einem, ja nicht in drei Jahren zu beenden, sie versetzen während<lb/>
ihrer Durchführung das beste Heer in einen Zustand der Unfertigkeit und machen<lb/>
dem Staate, der sie unternimmt, eine Friedensperiode wünschenswerth. Preußen<lb/>
aber ist in der Lage, jeder einzelnen der großen Continentalmächte gewachsen<lb/>
zu - sein ; die Aufgabe preußischer Staatskunst ist, eine Liga mehrer gegen<lb/>
Preußen zu hindern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1425"> Und dafür ist unsere Lage nicht ungünstig; wir begehren nichts von fremdem<lb/>
Land, und nichts, was nach gerechtem Urtheil fremde Lebensinteressen stört, die<lb/>
Wünsche der leidenschaftlichsten Patrioten gehen nur dahin, das gesammte außer¬<lb/>
östreichische Deutschland in einen Staatskörper zu vereinigen, und diese Ver¬<lb/>
einigung, auf dem Gebiet realer Interessen in Süden bereits vollzogen, kann<lb/>
nur erfolgen, wenn die Völker Süddeutschlands sich dieselbe fordern. Wir<lb/>
fürchten keinen süddeutschen Bund, denn wir sind der tapfern Regierung Badens<lb/>
sicher, und wir fürchten keinen festen politischen Anschluß an Oestreich, denn<lb/>
unser Silber wiegt schwerer, als die unsichern Banknoten, die preußische Re¬<lb/>
gierung ist zwar in Bayern nicht geliebt, aber die östreichische gehaßt, und kein<lb/>
süddeutscher Politiker, wie sehr ihn verletzter Stolz und dynastisches Interesse<lb/>
verblende., würde ungestraft wagen, das Leben seines Staates an das Schicksal<lb/>
zu fesseln, welches sich im östreichischen Kaiserstaat vollzieht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1426"> Wir meinen nicht, daß Herr v. Beust sich selbst der Täuschung hingiebt, er<lb/>
vermöge dort gründlich aufzubessern. Was seine Stärke ist, die kleinen diplo¬<lb/>
matischen Virtuositäten, kann dort höchstens seine Person eine Zeit lang halten.<lb/>
Niemand besitzt weniger die Eigenschaften eines Reformators, als er, heißen<lb/>
Patriotismus, leidenschaftliche Hingabe an eine große Idee und den gestählten<lb/>
Charakter, welcher unwiderstehlich die Hindernisse niedertritt. Ein kleiner un¬<lb/>
verächtlicher Vortheil kommt ihm zu seiner Gescheidtheit und einer unheimlichen<lb/>
Unbefangenheit, der ihn unsrer Presse collegialisch nähert; er hat von Haus aus<lb/>
Anlage zu einem Journalisten, und er wäre, wenn ihm sein Leben die natur¬<lb/>
gemäße Entwickelung gestattet hätte, wahrscheinlich ein guter Leitartikelschreiber<lb/>
geworden, auch seine Noten sind Artikel. Als Minister vermochte er dies Talent<lb/>
nur unvollkommen zu entwickeln. Er war fleißig in der sächsischen Presse, aber<lb/>
seine Artikel waren zu lang, zu viel kleines Geplänkel darin und etwas Selbst¬<lb/>
gefälligkeit. Man darf doch zweifeln, ob solche Technik in Reden, Noten und<lb/>
der Presse dein Getümmel der Nationalitäten im Kaiserstaat auf die Dauer im-<lb/>
poniren wird. Preußen gegenüber aber trauen wir ihm die gewandte Klugheit<lb/>
zu, daß grade er die Welt durch unbefangene Würdigung eines guten Einver¬<lb/>
nehmens mit diesem Nachbarstaat überraschen wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0480] gente Bürgschaft, daß uns der Friede erhalten bleibt. Denn die großen Um¬ wandlungen, welche jetzt Frankreich und nach mancher Richtung Oestreich vorbereiten, sind nicht in einem, ja nicht in drei Jahren zu beenden, sie versetzen während ihrer Durchführung das beste Heer in einen Zustand der Unfertigkeit und machen dem Staate, der sie unternimmt, eine Friedensperiode wünschenswerth. Preußen aber ist in der Lage, jeder einzelnen der großen Continentalmächte gewachsen zu - sein ; die Aufgabe preußischer Staatskunst ist, eine Liga mehrer gegen Preußen zu hindern. Und dafür ist unsere Lage nicht ungünstig; wir begehren nichts von fremdem Land, und nichts, was nach gerechtem Urtheil fremde Lebensinteressen stört, die Wünsche der leidenschaftlichsten Patrioten gehen nur dahin, das gesammte außer¬ östreichische Deutschland in einen Staatskörper zu vereinigen, und diese Ver¬ einigung, auf dem Gebiet realer Interessen in Süden bereits vollzogen, kann nur erfolgen, wenn die Völker Süddeutschlands sich dieselbe fordern. Wir fürchten keinen süddeutschen Bund, denn wir sind der tapfern Regierung Badens sicher, und wir fürchten keinen festen politischen Anschluß an Oestreich, denn unser Silber wiegt schwerer, als die unsichern Banknoten, die preußische Re¬ gierung ist zwar in Bayern nicht geliebt, aber die östreichische gehaßt, und kein süddeutscher Politiker, wie sehr ihn verletzter Stolz und dynastisches Interesse verblende., würde ungestraft wagen, das Leben seines Staates an das Schicksal zu fesseln, welches sich im östreichischen Kaiserstaat vollzieht. Wir meinen nicht, daß Herr v. Beust sich selbst der Täuschung hingiebt, er vermöge dort gründlich aufzubessern. Was seine Stärke ist, die kleinen diplo¬ matischen Virtuositäten, kann dort höchstens seine Person eine Zeit lang halten. Niemand besitzt weniger die Eigenschaften eines Reformators, als er, heißen Patriotismus, leidenschaftliche Hingabe an eine große Idee und den gestählten Charakter, welcher unwiderstehlich die Hindernisse niedertritt. Ein kleiner un¬ verächtlicher Vortheil kommt ihm zu seiner Gescheidtheit und einer unheimlichen Unbefangenheit, der ihn unsrer Presse collegialisch nähert; er hat von Haus aus Anlage zu einem Journalisten, und er wäre, wenn ihm sein Leben die natur¬ gemäße Entwickelung gestattet hätte, wahrscheinlich ein guter Leitartikelschreiber geworden, auch seine Noten sind Artikel. Als Minister vermochte er dies Talent nur unvollkommen zu entwickeln. Er war fleißig in der sächsischen Presse, aber seine Artikel waren zu lang, zu viel kleines Geplänkel darin und etwas Selbst¬ gefälligkeit. Man darf doch zweifeln, ob solche Technik in Reden, Noten und der Presse dein Getümmel der Nationalitäten im Kaiserstaat auf die Dauer im- poniren wird. Preußen gegenüber aber trauen wir ihm die gewandte Klugheit zu, daß grade er die Welt durch unbefangene Würdigung eines guten Einver¬ nehmens mit diesem Nachbarstaat überraschen wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/480
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/480>, abgerufen am 30.06.2024.