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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Diese Unsicherheit verhindert in Berlin auch die Veränderung, welche in
anderer Rücksicht nöthig geworden ist, eine Modifikation des preußischen Mini¬
steriums. Die letzten Debatten im preußischen Abgeordnetenhause haben aufs
neue erwiesen, was längst kein Geheimniß war, daß der Minister des Innern,
der Justiz und des Cultus ihrer Persönlichkeit und Vergangenheit nach nicht
gemacht sind, die nothwendigen großen Organisationen im alten und neuen
Lande durchzuführen. Es gab eine kurze Zeit, in welcher diesen Ministerien ein
Wechsel nach liberaler Seite in Aussicht stand. Jetzt ist davon alles still, und
mit gutem Grunde. Auch wenn der Ministerpräsident die Nothwendigkeit eines
Personenwechsels ebenso beurtheilt, wie ein großer Theil der Nation, und wenn
er, was keineswegs sicher ist, den Einfluß hätte, ihn durchzusetzen, so hat er
sich grade durch die am meisten demokratische Handlung seines Lebens in diesem
Augenblick sehr schwer gemacht, seine conservativen College" aus den Minister¬
stühlen zu entfernen. Denn grade das allgemeine Wahlrecht wird aus den
alten Provinzen Preußens ein großes Contingent von Junkern und Hochcon-
servativen in das Parlament senden, treue Anhänger von patriarchaler Tyrannei
der Landräthe, von Strafversetzung der Kreisrichter, von Confiscation der libe¬
ralen Blätter und Lobredner der stiehlschen Regulative, so daß eine Vertauschung
der treuesten Parteigenossen im Ministerium mit liberalen Namen den Grafen
Bismarck in Gefahr setzen würde, vielleicht hundert unzufriedene und wider¬
setzliche Konservative in einem Reichstag zu finden, in dem er die sicheren
Stimmen der Altpreußen gar nicht entbehren kann. So hat, wenn wir nicht
irren, das allgemeine Stimmrecht grade den preußischen Ministern, welche am
freiesten von dem Verdacht sind, demokratische Passionen zu haben, ihr Porte¬
feuille auf einige Monate gesichert, und man wird zu erwarten haben, ob der
Reichstag gegen ihre Amtsthätigkeit neue Steine ins Gewicht legt. Unterdeß
erschwert dieser Umstand die Anfügung der annectirten Länder in lästiger Weise.

Aber trotz aller Unsicherheit und manchem Aerger schwebt der alte Aar des
deutschen Reiches, welcher jetzt der preußische heißt, in sicherer Höhe über dem
Gedränge, und der Zollverein bildet einen unsichtbaren und doch sehr festen
Grenzwall, der noch weiteres Gebiet an Preußen schließt, als jetzt im Reichstage
Vertreten wird. Das norddeutsche Parlament wird auch den Völkern in Süd¬
deutschland neue Eindrücke über die Unsicherheit ihrer Lage geben.

Drei Jahre etwa bedarf Preußen, um die wichtigsten neuen Organisationen
in dem norddeutschen Bundesstaat durchzuführen. Ob uns so lange der Friede
erhalten bleibt? Die Stellung Preußens zum Ausland ist eine exponirte, aber es
steht unter dem Schutz seiner Erfolge und der hohen Achtung, welche sich das
Preußische Heer erkämpft hat. Grade was als Symptom einer künftigen Ge¬
fahr erscheint, daß die großen Staaten des Festlandes ihre Armeen der preußischen
Bewaffnung und Organisation zu nähern suchen, ist eine, wenn auch ungern-


Diese Unsicherheit verhindert in Berlin auch die Veränderung, welche in
anderer Rücksicht nöthig geworden ist, eine Modifikation des preußischen Mini¬
steriums. Die letzten Debatten im preußischen Abgeordnetenhause haben aufs
neue erwiesen, was längst kein Geheimniß war, daß der Minister des Innern,
der Justiz und des Cultus ihrer Persönlichkeit und Vergangenheit nach nicht
gemacht sind, die nothwendigen großen Organisationen im alten und neuen
Lande durchzuführen. Es gab eine kurze Zeit, in welcher diesen Ministerien ein
Wechsel nach liberaler Seite in Aussicht stand. Jetzt ist davon alles still, und
mit gutem Grunde. Auch wenn der Ministerpräsident die Nothwendigkeit eines
Personenwechsels ebenso beurtheilt, wie ein großer Theil der Nation, und wenn
er, was keineswegs sicher ist, den Einfluß hätte, ihn durchzusetzen, so hat er
sich grade durch die am meisten demokratische Handlung seines Lebens in diesem
Augenblick sehr schwer gemacht, seine conservativen College» aus den Minister¬
stühlen zu entfernen. Denn grade das allgemeine Wahlrecht wird aus den
alten Provinzen Preußens ein großes Contingent von Junkern und Hochcon-
servativen in das Parlament senden, treue Anhänger von patriarchaler Tyrannei
der Landräthe, von Strafversetzung der Kreisrichter, von Confiscation der libe¬
ralen Blätter und Lobredner der stiehlschen Regulative, so daß eine Vertauschung
der treuesten Parteigenossen im Ministerium mit liberalen Namen den Grafen
Bismarck in Gefahr setzen würde, vielleicht hundert unzufriedene und wider¬
setzliche Konservative in einem Reichstag zu finden, in dem er die sicheren
Stimmen der Altpreußen gar nicht entbehren kann. So hat, wenn wir nicht
irren, das allgemeine Stimmrecht grade den preußischen Ministern, welche am
freiesten von dem Verdacht sind, demokratische Passionen zu haben, ihr Porte¬
feuille auf einige Monate gesichert, und man wird zu erwarten haben, ob der
Reichstag gegen ihre Amtsthätigkeit neue Steine ins Gewicht legt. Unterdeß
erschwert dieser Umstand die Anfügung der annectirten Länder in lästiger Weise.

Aber trotz aller Unsicherheit und manchem Aerger schwebt der alte Aar des
deutschen Reiches, welcher jetzt der preußische heißt, in sicherer Höhe über dem
Gedränge, und der Zollverein bildet einen unsichtbaren und doch sehr festen
Grenzwall, der noch weiteres Gebiet an Preußen schließt, als jetzt im Reichstage
Vertreten wird. Das norddeutsche Parlament wird auch den Völkern in Süd¬
deutschland neue Eindrücke über die Unsicherheit ihrer Lage geben.

Drei Jahre etwa bedarf Preußen, um die wichtigsten neuen Organisationen
in dem norddeutschen Bundesstaat durchzuführen. Ob uns so lange der Friede
erhalten bleibt? Die Stellung Preußens zum Ausland ist eine exponirte, aber es
steht unter dem Schutz seiner Erfolge und der hohen Achtung, welche sich das
Preußische Heer erkämpft hat. Grade was als Symptom einer künftigen Ge¬
fahr erscheint, daß die großen Staaten des Festlandes ihre Armeen der preußischen
Bewaffnung und Organisation zu nähern suchen, ist eine, wenn auch ungern-


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[0479] Diese Unsicherheit verhindert in Berlin auch die Veränderung, welche in anderer Rücksicht nöthig geworden ist, eine Modifikation des preußischen Mini¬ steriums. Die letzten Debatten im preußischen Abgeordnetenhause haben aufs neue erwiesen, was längst kein Geheimniß war, daß der Minister des Innern, der Justiz und des Cultus ihrer Persönlichkeit und Vergangenheit nach nicht gemacht sind, die nothwendigen großen Organisationen im alten und neuen Lande durchzuführen. Es gab eine kurze Zeit, in welcher diesen Ministerien ein Wechsel nach liberaler Seite in Aussicht stand. Jetzt ist davon alles still, und mit gutem Grunde. Auch wenn der Ministerpräsident die Nothwendigkeit eines Personenwechsels ebenso beurtheilt, wie ein großer Theil der Nation, und wenn er, was keineswegs sicher ist, den Einfluß hätte, ihn durchzusetzen, so hat er sich grade durch die am meisten demokratische Handlung seines Lebens in diesem Augenblick sehr schwer gemacht, seine conservativen College» aus den Minister¬ stühlen zu entfernen. Denn grade das allgemeine Wahlrecht wird aus den alten Provinzen Preußens ein großes Contingent von Junkern und Hochcon- servativen in das Parlament senden, treue Anhänger von patriarchaler Tyrannei der Landräthe, von Strafversetzung der Kreisrichter, von Confiscation der libe¬ ralen Blätter und Lobredner der stiehlschen Regulative, so daß eine Vertauschung der treuesten Parteigenossen im Ministerium mit liberalen Namen den Grafen Bismarck in Gefahr setzen würde, vielleicht hundert unzufriedene und wider¬ setzliche Konservative in einem Reichstag zu finden, in dem er die sicheren Stimmen der Altpreußen gar nicht entbehren kann. So hat, wenn wir nicht irren, das allgemeine Stimmrecht grade den preußischen Ministern, welche am freiesten von dem Verdacht sind, demokratische Passionen zu haben, ihr Porte¬ feuille auf einige Monate gesichert, und man wird zu erwarten haben, ob der Reichstag gegen ihre Amtsthätigkeit neue Steine ins Gewicht legt. Unterdeß erschwert dieser Umstand die Anfügung der annectirten Länder in lästiger Weise. Aber trotz aller Unsicherheit und manchem Aerger schwebt der alte Aar des deutschen Reiches, welcher jetzt der preußische heißt, in sicherer Höhe über dem Gedränge, und der Zollverein bildet einen unsichtbaren und doch sehr festen Grenzwall, der noch weiteres Gebiet an Preußen schließt, als jetzt im Reichstage Vertreten wird. Das norddeutsche Parlament wird auch den Völkern in Süd¬ deutschland neue Eindrücke über die Unsicherheit ihrer Lage geben. Drei Jahre etwa bedarf Preußen, um die wichtigsten neuen Organisationen in dem norddeutschen Bundesstaat durchzuführen. Ob uns so lange der Friede erhalten bleibt? Die Stellung Preußens zum Ausland ist eine exponirte, aber es steht unter dem Schutz seiner Erfolge und der hohen Achtung, welche sich das Preußische Heer erkämpft hat. Grade was als Symptom einer künftigen Ge¬ fahr erscheint, daß die großen Staaten des Festlandes ihre Armeen der preußischen Bewaffnung und Organisation zu nähern suchen, ist eine, wenn auch ungern-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/479>, abgerufen am 02.07.2024.