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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Kind, daß niemand anders es war. als die Kaiser von Rußland und von
Frankreich. Zur Zeit als die grohherzogliche Regierung Darmstadt verließ,
stellte sie -- wird behauptet -- die Kostbarkeiten unter den Schutz des russischen
Gesandten, und es wird sogar vermuthet, der russische Kaiser habe sich auch bei
den Friedensverhandlungen große Verdienste um die Erhaltung der hessischen
Selbständigkeit erworben. Ein jeder sucht halt seine Rettung wo er kann und
es kommt uns nicht bei. einem Souverän zu verargen, daß er da Hilfe sucht,
wo er Beistand und Kraft zum Schutz dessen findet, was er als sein erbeigen¬
thümliches Recht werthschätzt. Aber einen solchen Staat thatsächlich selbständig
heißen, das ist doch wie ein Blinder von der Farbe reden; und ehe der Bürger
Weiter sich so in die Brust wirft, an.ß'te er doch fragen, wo der Bürger Barthel
den gährenden Most der souveränen hessischen Staatswürde herholt? Bei
Frankreich und Rußland! Nirgends sonst in der Welt. Nur Dank ihnen blieb
Preußen am Main stehen, nur Dank ihnen müssen wir heute noch unsere Zeit
damit verlieren, zu hadern, ob Deutschland Eins sein soll oder nicht?

In Deutschland giebt es Heuer nur eine Macht, und diese eine Macht ist
Preußen. Man muß die Augen schließen, um das nicht zu sehen, und nicht zu
sehen, daß Preußen gezwungen ist, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten.
Von Preußens Aufgabe in Deutschland kann gelten, was einst der erste Consul
zum englischen Gesandten sprach, als dieser sich weigerte, die französische Republik
anzuerkennen: "Anerkennen oder nicht. Sie ist wie die Sonne. Blind der,
welcher sie nicht sieht!" Preußen ist berufen, Deutschland in sich zu einigen,
wie Piemont dazu berufen war für Italien. Wie dann schließlich der Name
lauten wird, das lassen wir einstweilen nicht unsere größte Sorge sein. Wenn
Ihr nichts braucht, als daß der König von Preußen sich deutscher Kaiser nennen
lasse -- nun es sind größere Wunder geschehen in unserer Zeit, das ist aber
auch lange nicht unser heißester Wunsch.

Als Preußen noch achtzehn Millionen Menschen hatte und das übrige
Deutschland ebenso viel, da konnte dennoch in Deutschland kein Land sich frei
machen, ohne Preußens Erlaubniß. Im Jahre 1849 hatten Baden. Rheinbayern
und Sachsen ihre Regierungen vertrieben und sich auf eigene Faust nach ihrem
freien Sinne einzurichten Anstalt getroffen. Aber Preußen schickte seine Sol¬
daten, warf die Freiheit nieder, setzte Militärgerichte ein. verurtheilte zu Pulver
und Blei, und verfuhr ohne Federlesen wie der Herr im Hause und wie ein
erbarmungsloser Herr.

Glaubt Ihr, das sei aus Liebe zum König von Sachsen oder zum König
von Bayern geschehen? Da war von Liebe nicht mehr die Rede als heute. Es '
War Preußens Wille, daß in Deutschland kein Freistaat aufkomme, und dieser
Wille war leider unwiderstehlich. Das war damals. Und wie erst heute?
Nachdem Preußen so unbändig an Menschen. Gewalt, Zuversicht, Ansehen und


Kind, daß niemand anders es war. als die Kaiser von Rußland und von
Frankreich. Zur Zeit als die grohherzogliche Regierung Darmstadt verließ,
stellte sie — wird behauptet — die Kostbarkeiten unter den Schutz des russischen
Gesandten, und es wird sogar vermuthet, der russische Kaiser habe sich auch bei
den Friedensverhandlungen große Verdienste um die Erhaltung der hessischen
Selbständigkeit erworben. Ein jeder sucht halt seine Rettung wo er kann und
es kommt uns nicht bei. einem Souverän zu verargen, daß er da Hilfe sucht,
wo er Beistand und Kraft zum Schutz dessen findet, was er als sein erbeigen¬
thümliches Recht werthschätzt. Aber einen solchen Staat thatsächlich selbständig
heißen, das ist doch wie ein Blinder von der Farbe reden; und ehe der Bürger
Weiter sich so in die Brust wirft, an.ß'te er doch fragen, wo der Bürger Barthel
den gährenden Most der souveränen hessischen Staatswürde herholt? Bei
Frankreich und Rußland! Nirgends sonst in der Welt. Nur Dank ihnen blieb
Preußen am Main stehen, nur Dank ihnen müssen wir heute noch unsere Zeit
damit verlieren, zu hadern, ob Deutschland Eins sein soll oder nicht?

In Deutschland giebt es Heuer nur eine Macht, und diese eine Macht ist
Preußen. Man muß die Augen schließen, um das nicht zu sehen, und nicht zu
sehen, daß Preußen gezwungen ist, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten.
Von Preußens Aufgabe in Deutschland kann gelten, was einst der erste Consul
zum englischen Gesandten sprach, als dieser sich weigerte, die französische Republik
anzuerkennen: „Anerkennen oder nicht. Sie ist wie die Sonne. Blind der,
welcher sie nicht sieht!" Preußen ist berufen, Deutschland in sich zu einigen,
wie Piemont dazu berufen war für Italien. Wie dann schließlich der Name
lauten wird, das lassen wir einstweilen nicht unsere größte Sorge sein. Wenn
Ihr nichts braucht, als daß der König von Preußen sich deutscher Kaiser nennen
lasse — nun es sind größere Wunder geschehen in unserer Zeit, das ist aber
auch lange nicht unser heißester Wunsch.

Als Preußen noch achtzehn Millionen Menschen hatte und das übrige
Deutschland ebenso viel, da konnte dennoch in Deutschland kein Land sich frei
machen, ohne Preußens Erlaubniß. Im Jahre 1849 hatten Baden. Rheinbayern
und Sachsen ihre Regierungen vertrieben und sich auf eigene Faust nach ihrem
freien Sinne einzurichten Anstalt getroffen. Aber Preußen schickte seine Sol¬
daten, warf die Freiheit nieder, setzte Militärgerichte ein. verurtheilte zu Pulver
und Blei, und verfuhr ohne Federlesen wie der Herr im Hause und wie ein
erbarmungsloser Herr.

Glaubt Ihr, das sei aus Liebe zum König von Sachsen oder zum König
von Bayern geschehen? Da war von Liebe nicht mehr die Rede als heute. Es '
War Preußens Wille, daß in Deutschland kein Freistaat aufkomme, und dieser
Wille war leider unwiderstehlich. Das war damals. Und wie erst heute?
Nachdem Preußen so unbändig an Menschen. Gewalt, Zuversicht, Ansehen und


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[0466] Kind, daß niemand anders es war. als die Kaiser von Rußland und von Frankreich. Zur Zeit als die grohherzogliche Regierung Darmstadt verließ, stellte sie — wird behauptet — die Kostbarkeiten unter den Schutz des russischen Gesandten, und es wird sogar vermuthet, der russische Kaiser habe sich auch bei den Friedensverhandlungen große Verdienste um die Erhaltung der hessischen Selbständigkeit erworben. Ein jeder sucht halt seine Rettung wo er kann und es kommt uns nicht bei. einem Souverän zu verargen, daß er da Hilfe sucht, wo er Beistand und Kraft zum Schutz dessen findet, was er als sein erbeigen¬ thümliches Recht werthschätzt. Aber einen solchen Staat thatsächlich selbständig heißen, das ist doch wie ein Blinder von der Farbe reden; und ehe der Bürger Weiter sich so in die Brust wirft, an.ß'te er doch fragen, wo der Bürger Barthel den gährenden Most der souveränen hessischen Staatswürde herholt? Bei Frankreich und Rußland! Nirgends sonst in der Welt. Nur Dank ihnen blieb Preußen am Main stehen, nur Dank ihnen müssen wir heute noch unsere Zeit damit verlieren, zu hadern, ob Deutschland Eins sein soll oder nicht? In Deutschland giebt es Heuer nur eine Macht, und diese eine Macht ist Preußen. Man muß die Augen schließen, um das nicht zu sehen, und nicht zu sehen, daß Preußen gezwungen ist, auf dem betretenen Wege fortzuschreiten. Von Preußens Aufgabe in Deutschland kann gelten, was einst der erste Consul zum englischen Gesandten sprach, als dieser sich weigerte, die französische Republik anzuerkennen: „Anerkennen oder nicht. Sie ist wie die Sonne. Blind der, welcher sie nicht sieht!" Preußen ist berufen, Deutschland in sich zu einigen, wie Piemont dazu berufen war für Italien. Wie dann schließlich der Name lauten wird, das lassen wir einstweilen nicht unsere größte Sorge sein. Wenn Ihr nichts braucht, als daß der König von Preußen sich deutscher Kaiser nennen lasse — nun es sind größere Wunder geschehen in unserer Zeit, das ist aber auch lange nicht unser heißester Wunsch. Als Preußen noch achtzehn Millionen Menschen hatte und das übrige Deutschland ebenso viel, da konnte dennoch in Deutschland kein Land sich frei machen, ohne Preußens Erlaubniß. Im Jahre 1849 hatten Baden. Rheinbayern und Sachsen ihre Regierungen vertrieben und sich auf eigene Faust nach ihrem freien Sinne einzurichten Anstalt getroffen. Aber Preußen schickte seine Sol¬ daten, warf die Freiheit nieder, setzte Militärgerichte ein. verurtheilte zu Pulver und Blei, und verfuhr ohne Federlesen wie der Herr im Hause und wie ein erbarmungsloser Herr. Glaubt Ihr, das sei aus Liebe zum König von Sachsen oder zum König von Bayern geschehen? Da war von Liebe nicht mehr die Rede als heute. Es ' War Preußens Wille, daß in Deutschland kein Freistaat aufkomme, und dieser Wille war leider unwiderstehlich. Das war damals. Und wie erst heute? Nachdem Preußen so unbändig an Menschen. Gewalt, Zuversicht, Ansehen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/466>, abgerufen am 04.07.2024.