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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Erfahrung gewachsen ist. Nachdem das Häufchen nichtpreußischer Deutschen so
zusammengeschmolzen, so entwaffnet und zerklüftet ist? Und da giebt es Leute,
die wollen träumen, sie könnten die Freiheit bei sich am Rhein und Main grün,
den. wenn in Berlin der Despotismus herrsche? Heißt man solche bodenlose
Verheißungen auch noch Politik machen?

Ja, es giebt Leute, die sogar meinen, sie könnten -- vielleicht nach Louis
Napoleons Tod -- in Süddeutschland eine Republik gründen, ohne in die
Alternative zwischen französischer Bevormundung oder preußischer Einmischung
zu gerathen. Wie es nach Louis Napoleons Tod gehen wird, der vielleicht nicht
so nahe ist. als man aufs Geradewohl annimmt, das wollen wir setzt dahin
gestellt sein lassen.

Ich kenne manchen guten Republikaner, der ist seiner Sache noch lange
nicht sicher. Ich kenne auch manchen guten Republikaner, der wird den Tag
als den schönsten seines Lebens begrüßen, da diesseits des Meeres für sein
Vaterland ein Freistaat erstünde wie Amerika. Aber daß er deshalb glaubt, so
etwas könne jemals in Deutschland geschehen, ohne daß das ganze Land
auch nördlich vom Main die höchste Stufe der Freiheit erklommen habe, so
leichtgläubig ist er nicht.

Da hilft kein Fluchen und kein Protestiren: das Schicksal Deutschlands ist
tausendfach festgeschmiedet an das Schicksal Preußens, obs uns gefalle oder
nicht. Wollt Ihr frei werden, so helft Preußen frei machen. Alles Andre ist
verlorene Mühe. Und um an Preußens Befreiung mitzuarbeiten, dazu müsset
Ihr in die Gemeinschaft des Bundes mit ihm eintreten und die Hand ans ge-
meinsame Werk mit anlegen. Statt all der schönen sieben Sachen, die ihm
der Süden verehren will, dereinst, wenn er seinen demokratischen Bund im
Lande der Hoffnung wird gegründet haben, statt dessen reichet jetzt den andern
Deutschen Eure Hand, Eure Kraft und Euren Willen und Vermehrt ihren Wi¬
derstand gegen den einzig und allein mächtigen Absolutismus, gegen den, welcher
auf Preußen lastet!

Da ist der Punkt, !wo der Hebel muß angesetzt werden und alles Andere
ist verlorene Mühe. Ein Zuwachs wie der Eurige ist nicht gleichgiltig für
Norddeutschland. Zur Zeit, als Deutschland noch nicht einmal in der Gestalt
eines Wunsches existirte. vor 75 Jahren, habt Ihr das Glück gehabt, ein Stück
republikanischer Entwickelung mit zu machen. Das hat Euch damals und für
immer das Land von Adels- und Kasten- und anderem Spinngewebe gereinigt,
und Eure Köpfe sind von damals an frei geblieben von niederträchtigen Respect,
von kriechenden Herrendienst und von kindischen Anhänglichkeiten. (Es ist nicht
Eure Schuld, wenn Ihr nicht auch von damals frei geblieben seid von Pfaffe"'
Klöstern und Jesuiten!) Den Geist der Freiheit und Gleichheit, den Ihr von
jener Zeit geerbt, das ist die Mitgift, die Ihr dem norddeutschen Bunde bringen


Erfahrung gewachsen ist. Nachdem das Häufchen nichtpreußischer Deutschen so
zusammengeschmolzen, so entwaffnet und zerklüftet ist? Und da giebt es Leute,
die wollen träumen, sie könnten die Freiheit bei sich am Rhein und Main grün,
den. wenn in Berlin der Despotismus herrsche? Heißt man solche bodenlose
Verheißungen auch noch Politik machen?

Ja, es giebt Leute, die sogar meinen, sie könnten — vielleicht nach Louis
Napoleons Tod — in Süddeutschland eine Republik gründen, ohne in die
Alternative zwischen französischer Bevormundung oder preußischer Einmischung
zu gerathen. Wie es nach Louis Napoleons Tod gehen wird, der vielleicht nicht
so nahe ist. als man aufs Geradewohl annimmt, das wollen wir setzt dahin
gestellt sein lassen.

Ich kenne manchen guten Republikaner, der ist seiner Sache noch lange
nicht sicher. Ich kenne auch manchen guten Republikaner, der wird den Tag
als den schönsten seines Lebens begrüßen, da diesseits des Meeres für sein
Vaterland ein Freistaat erstünde wie Amerika. Aber daß er deshalb glaubt, so
etwas könne jemals in Deutschland geschehen, ohne daß das ganze Land
auch nördlich vom Main die höchste Stufe der Freiheit erklommen habe, so
leichtgläubig ist er nicht.

Da hilft kein Fluchen und kein Protestiren: das Schicksal Deutschlands ist
tausendfach festgeschmiedet an das Schicksal Preußens, obs uns gefalle oder
nicht. Wollt Ihr frei werden, so helft Preußen frei machen. Alles Andre ist
verlorene Mühe. Und um an Preußens Befreiung mitzuarbeiten, dazu müsset
Ihr in die Gemeinschaft des Bundes mit ihm eintreten und die Hand ans ge-
meinsame Werk mit anlegen. Statt all der schönen sieben Sachen, die ihm
der Süden verehren will, dereinst, wenn er seinen demokratischen Bund im
Lande der Hoffnung wird gegründet haben, statt dessen reichet jetzt den andern
Deutschen Eure Hand, Eure Kraft und Euren Willen und Vermehrt ihren Wi¬
derstand gegen den einzig und allein mächtigen Absolutismus, gegen den, welcher
auf Preußen lastet!

Da ist der Punkt, !wo der Hebel muß angesetzt werden und alles Andere
ist verlorene Mühe. Ein Zuwachs wie der Eurige ist nicht gleichgiltig für
Norddeutschland. Zur Zeit, als Deutschland noch nicht einmal in der Gestalt
eines Wunsches existirte. vor 75 Jahren, habt Ihr das Glück gehabt, ein Stück
republikanischer Entwickelung mit zu machen. Das hat Euch damals und für
immer das Land von Adels- und Kasten- und anderem Spinngewebe gereinigt,
und Eure Köpfe sind von damals an frei geblieben von niederträchtigen Respect,
von kriechenden Herrendienst und von kindischen Anhänglichkeiten. (Es ist nicht
Eure Schuld, wenn Ihr nicht auch von damals frei geblieben seid von Pfaffe»'
Klöstern und Jesuiten!) Den Geist der Freiheit und Gleichheit, den Ihr von
jener Zeit geerbt, das ist die Mitgift, die Ihr dem norddeutschen Bunde bringen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/467>, abgerufen am 04.07.2024.