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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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zweiten Kammer sein Gesetz zu Stande kommen, und die zweite Kammer wird
ausschließlich vom Volke gewählt. In der hessischen Kammer aber sitzen sechs
Mitglieder, welche nicht vom Volke ernannt sind, und bei Uneinigkeit mit den
Standesherren werden die zwei Kammern in einen Topf geworfen, in welchem
die Vertreter des Volkes unfehlbar ersaufen. Möchte doch der bisherige Ab¬
geordnete für Mainz nicht verlangen, daß wir uns den Lehren seiner eigenen
jüngsten Erfahrung verschließen! Als vor sechs Monaten der Krieg vor der
Thüre stand, als Herr v. Dalwigk. wie es stets in Zeiten der Noth zu geschehen
pflegt, die Kammer beschwor, Gut und Blut für den Landesherrn zu opfern,
da bot Herr Dumont alles an. alles, was Herr v. Dalwigk nur begehrte, wenn
die Regierung dem Lande seine lang ersehnten heißen Wünsche nach etwas Frei¬
heit und Selbständigkeit erfüllen wollte. Aber die Reaction strich kein I-Pünkt-
chen aus ihrem Programm. Selbst als ihr das Wasser an den Hals ging,
blieb sie unbeugsam und Herr Dumont mußte nachgeben, ohne irgendetwas
erlangt zu haben. Und jetzt spricht er von der Freiheit und dem Recht und
den demokratischen Einrichtungen, die er braucht, um glücklich zu sein, als hätte
er nur zu sagen: Tischchen deck dich! so stund auch alles da und Herr v. Dal¬
wigk werde ihn bedienen, wie eine gütige Fee! Nichts ist ihm gut genug für
unsern verwöhnten Magen. Damit der Nordbund von ihm auf gleichem Fuß
zugelassen werde, wie ein süddeutscher Kleinstaat, muß er erst fix und fertig sein,
ausgeschmückt mit allen Reizen der Schönheit und der Liebe: sonst kann ihn
das freie, das glückliche, das musterhaft regierte Hessen-Darmstadt nicht gut¬
heißen. Und schließlich wird aus unserem dereinstigen Füllhorn des Ueber¬
flusses dem Nordbund eine künftige Ausstattung mit allen Gütern des Lebens
verheißen! Redet man so im Lande der Wirklichkeit oder sind wir im Lande der
Träume?

Aber -- sagt man Euch -- es ist männlicher Bürger unwürdig, den Ein¬
tritt in einen Bund zu begehren, der gar nicht einmal Verlangen nach ihnen
an den Tag legt!

So lasse man uns denn doch fragen: wer verlangt nicht nach Euch? Alle
guten Bürger des norddeutschen Bundes verlangen grade so sehnlichst nach Euch,
wie Ihr nach ihnen die Hand ausstreckt; und es kommen diesseits des Mains
grade so viel brave Leute aufs Dutzend, wie jenseits. Ob Euch der Herr
v. Kleist-Retzow oder v. Senfft-Pilsach will oder nicht will, darauf kommt es
grade so wenig an, als ob Euch der Fürst von Meriburg und der Herr
V. Riedesel wollen ziehen lassen oder nicht. Welch zimperliches Wesen! und
wie übel angebracht! Hört man diese sonderbündlerischen Hessen so stolz von
ihrer Würde und Selbständigkeit reden, so sollte man doch wirklich glauben, es
sei die Feder des Herrn v. Dalwigk oder das Schwert des Prinzen Alexander,
welches die Preußen am Main zum Stehen gebracht. Nun weiß aber jedes


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zweiten Kammer sein Gesetz zu Stande kommen, und die zweite Kammer wird
ausschließlich vom Volke gewählt. In der hessischen Kammer aber sitzen sechs
Mitglieder, welche nicht vom Volke ernannt sind, und bei Uneinigkeit mit den
Standesherren werden die zwei Kammern in einen Topf geworfen, in welchem
die Vertreter des Volkes unfehlbar ersaufen. Möchte doch der bisherige Ab¬
geordnete für Mainz nicht verlangen, daß wir uns den Lehren seiner eigenen
jüngsten Erfahrung verschließen! Als vor sechs Monaten der Krieg vor der
Thüre stand, als Herr v. Dalwigk. wie es stets in Zeiten der Noth zu geschehen
pflegt, die Kammer beschwor, Gut und Blut für den Landesherrn zu opfern,
da bot Herr Dumont alles an. alles, was Herr v. Dalwigk nur begehrte, wenn
die Regierung dem Lande seine lang ersehnten heißen Wünsche nach etwas Frei¬
heit und Selbständigkeit erfüllen wollte. Aber die Reaction strich kein I-Pünkt-
chen aus ihrem Programm. Selbst als ihr das Wasser an den Hals ging,
blieb sie unbeugsam und Herr Dumont mußte nachgeben, ohne irgendetwas
erlangt zu haben. Und jetzt spricht er von der Freiheit und dem Recht und
den demokratischen Einrichtungen, die er braucht, um glücklich zu sein, als hätte
er nur zu sagen: Tischchen deck dich! so stund auch alles da und Herr v. Dal¬
wigk werde ihn bedienen, wie eine gütige Fee! Nichts ist ihm gut genug für
unsern verwöhnten Magen. Damit der Nordbund von ihm auf gleichem Fuß
zugelassen werde, wie ein süddeutscher Kleinstaat, muß er erst fix und fertig sein,
ausgeschmückt mit allen Reizen der Schönheit und der Liebe: sonst kann ihn
das freie, das glückliche, das musterhaft regierte Hessen-Darmstadt nicht gut¬
heißen. Und schließlich wird aus unserem dereinstigen Füllhorn des Ueber¬
flusses dem Nordbund eine künftige Ausstattung mit allen Gütern des Lebens
verheißen! Redet man so im Lande der Wirklichkeit oder sind wir im Lande der
Träume?

Aber — sagt man Euch — es ist männlicher Bürger unwürdig, den Ein¬
tritt in einen Bund zu begehren, der gar nicht einmal Verlangen nach ihnen
an den Tag legt!

So lasse man uns denn doch fragen: wer verlangt nicht nach Euch? Alle
guten Bürger des norddeutschen Bundes verlangen grade so sehnlichst nach Euch,
wie Ihr nach ihnen die Hand ausstreckt; und es kommen diesseits des Mains
grade so viel brave Leute aufs Dutzend, wie jenseits. Ob Euch der Herr
v. Kleist-Retzow oder v. Senfft-Pilsach will oder nicht will, darauf kommt es
grade so wenig an, als ob Euch der Fürst von Meriburg und der Herr
V. Riedesel wollen ziehen lassen oder nicht. Welch zimperliches Wesen! und
wie übel angebracht! Hört man diese sonderbündlerischen Hessen so stolz von
ihrer Würde und Selbständigkeit reden, so sollte man doch wirklich glauben, es
sei die Feder des Herrn v. Dalwigk oder das Schwert des Prinzen Alexander,
welches die Preußen am Main zum Stehen gebracht. Nun weiß aber jedes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/465>, abgerufen am 04.07.2024.