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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Und ist denn die Einheit nicht selbst ein Stück Freiheit? Warum hat
denn Deutschland seit fünfzig Jahren um Einheit gerufen? warum nach einem
Vaterlande vom Rhein bis zum Ozean? Ist denn die Freiheit blos ein ge¬
malter Götze, den man nur anbetet, weil er von außen mit Schwarz, Roth
und Gold angestrichen ist? Oder hat sie Leben im Leibe, beseelenden Odem
und heilvolle Kraft? Wenn die Einheit nichts ist als ein hölzerner Götze, so
sind die'Italiener Narren, die sich selig preisen in ihrem Besitz; -- so sind die
Amerikaner Narren, welche eine halbe Million Menschen und zehntausend Mil¬
lionen Gulden daran gesetzt haben, ihre Einheit zu erhalten; so waren die
großen Helden der französischen Revolution Narren, welche auf ihre Fahne
schrieben: Einheit und Unteilbarkeit oder den Tod!

Die Einheit ist aber keine Narrethei! Sie ist das Dasein, das Wesen,
das Fundament eines Volks, das Zusammenwirken seiner Kräfte und der Strom
seines Lebens, das Ineinandergreifen seiner Glieder und das Zusammenfließen
seiner Säfte; die Verbindung zwischen Kopf und Leib, zwischen Arm und Ge¬
hirn. Sagt man: ein Mensch ist gelähmt, so heißt das nichts anders: als die
Einheit ist aufgehoben in seinem Körper. Was der Kopf will, das führt der
Arm nicht aus, und wohin die Augen sehen, da trägt der Fuß nicht hin. Ein
Volk, das nicht eins ist, ist ein lahmes Volk, und ein Volk, das an Arm und
Bein gelähmt ist, wird nimmer ein freies Volk. Seit fünfzig Jahren war
Deutschland lahm. Kein Gliid folgte dem andern, kein Wille galt für die
Glieder. Und jetzt, da endlich über Dreivierthcilc der Nation in die Möglichkeit
gebracht worden sind, bald einen Willen und eine Kraft zu haben, jetzt sollen
wir uns mit dem letzten lahmen Arm wehren, daß nicht die Einheit zum Ziele
gedeihe?

Und warum denn? Weil Preußen der Staat ist. unter dessen Bei- und
Vorstand die Einheit erworben werden soll! Und weil Euch Preußen nicht frei
genug ist! Sieh da! Sollte man nicht meinen, Ihr seiet auf Rosen gebettet?
Wenn man hört, wie die Leute vom Sonderbund in ihren Manifesten die Kost¬
verächter spielen, über die Lage des preußischen Volkes mitleidig die Achsel
zucken, so möchte man wahrhaftig denken, sie hätten bis jetzt im Lande-der
ewigen Seligkeit gelebt. Sie hätten nur brauchen zu commandiren, so wären
flugs der Großherzog und der Herr v. Dalwigk bereit gewesen, ihnen Alles an
den Augen abzusehen.

Wie stand es denn aber in Wirklichkeit? Ist vielleicht die hessische Ver-
fassung besser als die preußische? oder ist sie strenger beobachtet worden? Ist
die Kammer der Standesherrn in Darmstadt liberaler als das Herrenhaus in
Berlin? Sind die Herren Fürst von Menburg und Bcuon v. Riedesel bessere
Demokraten als die Herren v. Kleist-Retzow und v. Senfft-Pilsach? Nach dem
Buchstaben der preußischen Verfassung wenigstens kann ohne Zustimmung der


Und ist denn die Einheit nicht selbst ein Stück Freiheit? Warum hat
denn Deutschland seit fünfzig Jahren um Einheit gerufen? warum nach einem
Vaterlande vom Rhein bis zum Ozean? Ist denn die Freiheit blos ein ge¬
malter Götze, den man nur anbetet, weil er von außen mit Schwarz, Roth
und Gold angestrichen ist? Oder hat sie Leben im Leibe, beseelenden Odem
und heilvolle Kraft? Wenn die Einheit nichts ist als ein hölzerner Götze, so
sind die'Italiener Narren, die sich selig preisen in ihrem Besitz; — so sind die
Amerikaner Narren, welche eine halbe Million Menschen und zehntausend Mil¬
lionen Gulden daran gesetzt haben, ihre Einheit zu erhalten; so waren die
großen Helden der französischen Revolution Narren, welche auf ihre Fahne
schrieben: Einheit und Unteilbarkeit oder den Tod!

Die Einheit ist aber keine Narrethei! Sie ist das Dasein, das Wesen,
das Fundament eines Volks, das Zusammenwirken seiner Kräfte und der Strom
seines Lebens, das Ineinandergreifen seiner Glieder und das Zusammenfließen
seiner Säfte; die Verbindung zwischen Kopf und Leib, zwischen Arm und Ge¬
hirn. Sagt man: ein Mensch ist gelähmt, so heißt das nichts anders: als die
Einheit ist aufgehoben in seinem Körper. Was der Kopf will, das führt der
Arm nicht aus, und wohin die Augen sehen, da trägt der Fuß nicht hin. Ein
Volk, das nicht eins ist, ist ein lahmes Volk, und ein Volk, das an Arm und
Bein gelähmt ist, wird nimmer ein freies Volk. Seit fünfzig Jahren war
Deutschland lahm. Kein Gliid folgte dem andern, kein Wille galt für die
Glieder. Und jetzt, da endlich über Dreivierthcilc der Nation in die Möglichkeit
gebracht worden sind, bald einen Willen und eine Kraft zu haben, jetzt sollen
wir uns mit dem letzten lahmen Arm wehren, daß nicht die Einheit zum Ziele
gedeihe?

Und warum denn? Weil Preußen der Staat ist. unter dessen Bei- und
Vorstand die Einheit erworben werden soll! Und weil Euch Preußen nicht frei
genug ist! Sieh da! Sollte man nicht meinen, Ihr seiet auf Rosen gebettet?
Wenn man hört, wie die Leute vom Sonderbund in ihren Manifesten die Kost¬
verächter spielen, über die Lage des preußischen Volkes mitleidig die Achsel
zucken, so möchte man wahrhaftig denken, sie hätten bis jetzt im Lande-der
ewigen Seligkeit gelebt. Sie hätten nur brauchen zu commandiren, so wären
flugs der Großherzog und der Herr v. Dalwigk bereit gewesen, ihnen Alles an
den Augen abzusehen.

Wie stand es denn aber in Wirklichkeit? Ist vielleicht die hessische Ver-
fassung besser als die preußische? oder ist sie strenger beobachtet worden? Ist
die Kammer der Standesherrn in Darmstadt liberaler als das Herrenhaus in
Berlin? Sind die Herren Fürst von Menburg und Bcuon v. Riedesel bessere
Demokraten als die Herren v. Kleist-Retzow und v. Senfft-Pilsach? Nach dem
Buchstaben der preußischen Verfassung wenigstens kann ohne Zustimmung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/464>, abgerufen am 04.07.2024.