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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Im Jahre 1848 Redacteur der "Mainzer Zeitung", deren Leitartikel selbst
der. welcher ihre Tendenz nicht billigte, wegen ihres kräftigen Ungestüms, ihrer
geistreichen Schärfe und ihrer eindringenden Gewalt bewundern mußte, im Jahre
184V in das in Trümmer fallende deutsche Parlament gewählt, -- dieses Par¬
lament, welches über der Theorie die Praxis, über dem formellen Recht die
materielle Möcht, über der scheinbaren Freiheit die reale Einheit vergessen zu
haben scheint --, mußte er später nach Paris flüchten, um dem Rachedurst des
kleinlichsten kleinstaatlichen Neactiönchens zu entfliehen.

Aber er blieb auf französischer Erde ein treuer Sohn des deutschen Wate"
landes. Kein neues oder großes Ereigniß tauchte auf, ohne daß er seine Stimme
darüber abgab. Im Jahre 1859 verspottete er in seinem "Juchheh, nach Italia!"
den östreichisch-legitimistischen Fanatismus, welcher einen Theil von Süd- und
Mitteldeutschland ergriffen hatte; im Jahre 1865 bekämpfte er die "Trias" der
Herren Oesterlen, Trabert und Eckardt; im Jahre 1866 focht er für die Devise:
"Durch Einheit zur Freiheit!" und ließ seine glänzenden Ausführungen grade
in der düsseldorfer "Rheinischen Zeitung" drucken, in welcher sich einige nieder-
rheinische Radicale für den umgekehrten Weg capricirt zu haben scheinen.

Doch genug der Vorrede. Das Werk muß sich selbst loben. Das Wahl-
manifest Nambergers an die Wähler Rheinhessens lautet, wie folgt:

,"Die Wahl der Abgeordneten für die hessische Kammer hat dieses Mal
eine Bedeutung, welche weit über die Grenzen des Landes Kinausreicht. Sie
kann von unabsehbarer Folge für das gesammte Deutschland sein. In der
entsPeldungsschwangeren Wichtigkeit solchen Momentes schöpft ein altes Mit¬
glied der demokratischen Partei den Muth, auf-den Wunsch einiger Gleichge-
sinnten nach langjähriger Trennung in den vorbereitenden Kampf der Mei¬
nungen miteinzutreten.

Und obwohl es sich um einen Kampf handelt, so sollte dennoch Eines
nicht vergessen werden. Es sind nicht blos Bürger derselben Stadt zunächst,
sondern auch Männer derselben freisinnigen Grundsätze, die einander gegenüber¬
stehen. Daß ihre Ansichten von einander abweichen, scheint unvermeidlich; daß
jeder der seinigen zum Sieg verhelfe, ist Gewissenspflicht; aber mitten in diesem
Widerstreit möge keine von beiden Seiten außer Acht lassen, daß beide dem
guten Geist dienen, daß jede Verunglimpfung, Verhöhnung des Gegners nur
dem gemeinsamen Feind, dem Rückschritt, Vorschub leisten würde.

Im Namen dieses guten Geistes und unter seinem versöhnenden Einfluß
möge es mir vergönnt sein, zu untersuchen, wo die Wahrheit und wo der Irr¬
thum waltet.

Von allen Uebeln, unter denen Deutschland seufzte, war anerkanntermaßen
das Bestehen der kleinen selbständigen Landcshcrrschasten, welche der westfälische
und der wiener Kongreß verewigt hatten, das größte. Alle Versuche diesen


Im Jahre 1848 Redacteur der „Mainzer Zeitung", deren Leitartikel selbst
der. welcher ihre Tendenz nicht billigte, wegen ihres kräftigen Ungestüms, ihrer
geistreichen Schärfe und ihrer eindringenden Gewalt bewundern mußte, im Jahre
184V in das in Trümmer fallende deutsche Parlament gewählt, — dieses Par¬
lament, welches über der Theorie die Praxis, über dem formellen Recht die
materielle Möcht, über der scheinbaren Freiheit die reale Einheit vergessen zu
haben scheint —, mußte er später nach Paris flüchten, um dem Rachedurst des
kleinlichsten kleinstaatlichen Neactiönchens zu entfliehen.

Aber er blieb auf französischer Erde ein treuer Sohn des deutschen Wate»
landes. Kein neues oder großes Ereigniß tauchte auf, ohne daß er seine Stimme
darüber abgab. Im Jahre 1859 verspottete er in seinem „Juchheh, nach Italia!"
den östreichisch-legitimistischen Fanatismus, welcher einen Theil von Süd- und
Mitteldeutschland ergriffen hatte; im Jahre 1865 bekämpfte er die „Trias" der
Herren Oesterlen, Trabert und Eckardt; im Jahre 1866 focht er für die Devise:
„Durch Einheit zur Freiheit!" und ließ seine glänzenden Ausführungen grade
in der düsseldorfer „Rheinischen Zeitung" drucken, in welcher sich einige nieder-
rheinische Radicale für den umgekehrten Weg capricirt zu haben scheinen.

Doch genug der Vorrede. Das Werk muß sich selbst loben. Das Wahl-
manifest Nambergers an die Wähler Rheinhessens lautet, wie folgt:

,„Die Wahl der Abgeordneten für die hessische Kammer hat dieses Mal
eine Bedeutung, welche weit über die Grenzen des Landes Kinausreicht. Sie
kann von unabsehbarer Folge für das gesammte Deutschland sein. In der
entsPeldungsschwangeren Wichtigkeit solchen Momentes schöpft ein altes Mit¬
glied der demokratischen Partei den Muth, auf-den Wunsch einiger Gleichge-
sinnten nach langjähriger Trennung in den vorbereitenden Kampf der Mei¬
nungen miteinzutreten.

Und obwohl es sich um einen Kampf handelt, so sollte dennoch Eines
nicht vergessen werden. Es sind nicht blos Bürger derselben Stadt zunächst,
sondern auch Männer derselben freisinnigen Grundsätze, die einander gegenüber¬
stehen. Daß ihre Ansichten von einander abweichen, scheint unvermeidlich; daß
jeder der seinigen zum Sieg verhelfe, ist Gewissenspflicht; aber mitten in diesem
Widerstreit möge keine von beiden Seiten außer Acht lassen, daß beide dem
guten Geist dienen, daß jede Verunglimpfung, Verhöhnung des Gegners nur
dem gemeinsamen Feind, dem Rückschritt, Vorschub leisten würde.

Im Namen dieses guten Geistes und unter seinem versöhnenden Einfluß
möge es mir vergönnt sein, zu untersuchen, wo die Wahrheit und wo der Irr¬
thum waltet.

Von allen Uebeln, unter denen Deutschland seufzte, war anerkanntermaßen
das Bestehen der kleinen selbständigen Landcshcrrschasten, welche der westfälische
und der wiener Kongreß verewigt hatten, das größte. Alle Versuche diesen


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[0461] Im Jahre 1848 Redacteur der „Mainzer Zeitung", deren Leitartikel selbst der. welcher ihre Tendenz nicht billigte, wegen ihres kräftigen Ungestüms, ihrer geistreichen Schärfe und ihrer eindringenden Gewalt bewundern mußte, im Jahre 184V in das in Trümmer fallende deutsche Parlament gewählt, — dieses Par¬ lament, welches über der Theorie die Praxis, über dem formellen Recht die materielle Möcht, über der scheinbaren Freiheit die reale Einheit vergessen zu haben scheint —, mußte er später nach Paris flüchten, um dem Rachedurst des kleinlichsten kleinstaatlichen Neactiönchens zu entfliehen. Aber er blieb auf französischer Erde ein treuer Sohn des deutschen Wate» landes. Kein neues oder großes Ereigniß tauchte auf, ohne daß er seine Stimme darüber abgab. Im Jahre 1859 verspottete er in seinem „Juchheh, nach Italia!" den östreichisch-legitimistischen Fanatismus, welcher einen Theil von Süd- und Mitteldeutschland ergriffen hatte; im Jahre 1865 bekämpfte er die „Trias" der Herren Oesterlen, Trabert und Eckardt; im Jahre 1866 focht er für die Devise: „Durch Einheit zur Freiheit!" und ließ seine glänzenden Ausführungen grade in der düsseldorfer „Rheinischen Zeitung" drucken, in welcher sich einige nieder- rheinische Radicale für den umgekehrten Weg capricirt zu haben scheinen. Doch genug der Vorrede. Das Werk muß sich selbst loben. Das Wahl- manifest Nambergers an die Wähler Rheinhessens lautet, wie folgt: ,„Die Wahl der Abgeordneten für die hessische Kammer hat dieses Mal eine Bedeutung, welche weit über die Grenzen des Landes Kinausreicht. Sie kann von unabsehbarer Folge für das gesammte Deutschland sein. In der entsPeldungsschwangeren Wichtigkeit solchen Momentes schöpft ein altes Mit¬ glied der demokratischen Partei den Muth, auf-den Wunsch einiger Gleichge- sinnten nach langjähriger Trennung in den vorbereitenden Kampf der Mei¬ nungen miteinzutreten. Und obwohl es sich um einen Kampf handelt, so sollte dennoch Eines nicht vergessen werden. Es sind nicht blos Bürger derselben Stadt zunächst, sondern auch Männer derselben freisinnigen Grundsätze, die einander gegenüber¬ stehen. Daß ihre Ansichten von einander abweichen, scheint unvermeidlich; daß jeder der seinigen zum Sieg verhelfe, ist Gewissenspflicht; aber mitten in diesem Widerstreit möge keine von beiden Seiten außer Acht lassen, daß beide dem guten Geist dienen, daß jede Verunglimpfung, Verhöhnung des Gegners nur dem gemeinsamen Feind, dem Rückschritt, Vorschub leisten würde. Im Namen dieses guten Geistes und unter seinem versöhnenden Einfluß möge es mir vergönnt sein, zu untersuchen, wo die Wahrheit und wo der Irr¬ thum waltet. Von allen Uebeln, unter denen Deutschland seufzte, war anerkanntermaßen das Bestehen der kleinen selbständigen Landcshcrrschasten, welche der westfälische und der wiener Kongreß verewigt hatten, das größte. Alle Versuche diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/461>, abgerufen am 02.07.2024.