Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war es offenbar doch höchst zweckmäßig und den militärischen Antecedentien des
Höchstcommandirenden völlig angemessen, wenn es 1866 in Nassau ebenso wenig
Eisenbahnen gab, als dreißig Jahre früher in Spanien.

Seit Anfang Juli schläft der Herzog nicht mehr in seiner Residenz Bibrich
am Rhein, weil er fürchtet, von den Preußen dort aufgehoben zu werden, son¬
dern in der Bundcsfestung Mainz. Dies wird mir von glaubhaften Personen
aus Bibrich und Mainz, welche ihn Abends hinauf und Morgens herunter
reiten sehen, erzählt. Dasselbe thut sein Generaladjutant Generalmajor Hiero-
nymus Ziemieckt v. Zimiechenstein, ein Mann von unbekannter Herkunft, der
vor etwa drei Lustren als armer Oberlieutenant oder fremder Eapitcmo in das
Land kam und nun ein sehr reicher General ist. Der Boltswltz nennt die
prachtvolle Villa, die er sich in der Nähe des Kursaals erbaut hat. die "Aclien-
boutikc". Denn man behauptet, daß sie von dem an Spiclbankactien gemachten
Gewinne erbaut sei. Während der Herr General seine werthe Person in Mainz
in Sicherheit brachte, sorgte er für die Sicherheit seiner Villa Dadurch, daß er
sie von je sechs Mann Soldaten bewachen ließ.

Der Schrecken, der oben herrscht, verbreitet sich mit wachsender Kraft bis
in die untersten Regionen. Am stärksten herrschte er in ewigen katholischen
Landbezirken. Ein Mann aus dem katholischen Landstädtchen Hadamar, das
sich eines katholischen Couplets, Gymnasiums und anderer derartiger Anstalten
erfreut, welche für Aufklärung sorgen, sagte mir: "Wenn man bei uns eine
Bohnenstange in die Erde steckt und eine preußische Pickelhaube darauf pflanzt,
dann wagt sich kein Mensch mehr vor die Thüre!"

In dem hadamcuschen Dorfe Ellar, welches ein starkes Contingent zum
katholischen Klerus aus der Zahl seiner wohlhabenden Bauernsöhne zu stellen
pflegt und ganz unter klerikalen Einflüsse steht, beeilten sich die Bauern auf die
Nachricht, "der Brelß" sei im Anmärsche, ihr Getreide, ihre Leinwand und ihr
Geld zu vergraben. Die Angst der Ellarer und die von ihnen getroffenen
Maßregeln wurden ruchbar. Die weniger ängstliche Jugend des Nachbardorfes
Dorchheim beschloß einen freundnachbarlichen Schabernack. Um die Stunde der
Mitternacht zogen drei dorchheimer Jünglinge, schwer bewaffnet, gen Ellar. Der
eine endete auf einem zu diesem Zwecke mitgebrachten Nachtwächtcrhorne guoa,ä
xc)Wo Militärische Signale. Der zweite tractirte nach Kräften eine alte Gie߬
kanne, um ihr Töne zu entlocken, welche denen der Trommel möglichst ähnlich
sähen. Der dritte aber schoß mehrmals aus einem verrosteten Gewehr. Darob
entstand in Ellar eine furchtbare Paniquc. Alles rennet, rettet, flüchtet. Die
Männer binden das Lied'im Stalle los, die Weiber binden sich die kleinen
Kinder auf den Rücken, und so geht es mit Mann und Maus, mit Kind und
Kegel in wilder 'Flucht in die benachbarten Wälder, wo man hauste, bis der
schlechte Witz bekannt wurde, und der allgemeine Spott und Hohn die Ge-


war es offenbar doch höchst zweckmäßig und den militärischen Antecedentien des
Höchstcommandirenden völlig angemessen, wenn es 1866 in Nassau ebenso wenig
Eisenbahnen gab, als dreißig Jahre früher in Spanien.

Seit Anfang Juli schläft der Herzog nicht mehr in seiner Residenz Bibrich
am Rhein, weil er fürchtet, von den Preußen dort aufgehoben zu werden, son¬
dern in der Bundcsfestung Mainz. Dies wird mir von glaubhaften Personen
aus Bibrich und Mainz, welche ihn Abends hinauf und Morgens herunter
reiten sehen, erzählt. Dasselbe thut sein Generaladjutant Generalmajor Hiero-
nymus Ziemieckt v. Zimiechenstein, ein Mann von unbekannter Herkunft, der
vor etwa drei Lustren als armer Oberlieutenant oder fremder Eapitcmo in das
Land kam und nun ein sehr reicher General ist. Der Boltswltz nennt die
prachtvolle Villa, die er sich in der Nähe des Kursaals erbaut hat. die „Aclien-
boutikc". Denn man behauptet, daß sie von dem an Spiclbankactien gemachten
Gewinne erbaut sei. Während der Herr General seine werthe Person in Mainz
in Sicherheit brachte, sorgte er für die Sicherheit seiner Villa Dadurch, daß er
sie von je sechs Mann Soldaten bewachen ließ.

Der Schrecken, der oben herrscht, verbreitet sich mit wachsender Kraft bis
in die untersten Regionen. Am stärksten herrschte er in ewigen katholischen
Landbezirken. Ein Mann aus dem katholischen Landstädtchen Hadamar, das
sich eines katholischen Couplets, Gymnasiums und anderer derartiger Anstalten
erfreut, welche für Aufklärung sorgen, sagte mir: „Wenn man bei uns eine
Bohnenstange in die Erde steckt und eine preußische Pickelhaube darauf pflanzt,
dann wagt sich kein Mensch mehr vor die Thüre!"

In dem hadamcuschen Dorfe Ellar, welches ein starkes Contingent zum
katholischen Klerus aus der Zahl seiner wohlhabenden Bauernsöhne zu stellen
pflegt und ganz unter klerikalen Einflüsse steht, beeilten sich die Bauern auf die
Nachricht, „der Brelß" sei im Anmärsche, ihr Getreide, ihre Leinwand und ihr
Geld zu vergraben. Die Angst der Ellarer und die von ihnen getroffenen
Maßregeln wurden ruchbar. Die weniger ängstliche Jugend des Nachbardorfes
Dorchheim beschloß einen freundnachbarlichen Schabernack. Um die Stunde der
Mitternacht zogen drei dorchheimer Jünglinge, schwer bewaffnet, gen Ellar. Der
eine endete auf einem zu diesem Zwecke mitgebrachten Nachtwächtcrhorne guoa,ä
xc)Wo Militärische Signale. Der zweite tractirte nach Kräften eine alte Gie߬
kanne, um ihr Töne zu entlocken, welche denen der Trommel möglichst ähnlich
sähen. Der dritte aber schoß mehrmals aus einem verrosteten Gewehr. Darob
entstand in Ellar eine furchtbare Paniquc. Alles rennet, rettet, flüchtet. Die
Männer binden das Lied'im Stalle los, die Weiber binden sich die kleinen
Kinder auf den Rücken, und so geht es mit Mann und Maus, mit Kind und
Kegel in wilder 'Flucht in die benachbarten Wälder, wo man hauste, bis der
schlechte Witz bekannt wurde, und der allgemeine Spott und Hohn die Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286194"/>
          <p xml:id="ID_98" prev="#ID_97"> war es offenbar doch höchst zweckmäßig und den militärischen Antecedentien des<lb/>
Höchstcommandirenden völlig angemessen, wenn es 1866 in Nassau ebenso wenig<lb/>
Eisenbahnen gab, als dreißig Jahre früher in Spanien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99"> Seit Anfang Juli schläft der Herzog nicht mehr in seiner Residenz Bibrich<lb/>
am Rhein, weil er fürchtet, von den Preußen dort aufgehoben zu werden, son¬<lb/>
dern in der Bundcsfestung Mainz. Dies wird mir von glaubhaften Personen<lb/>
aus Bibrich und Mainz, welche ihn Abends hinauf und Morgens herunter<lb/>
reiten sehen, erzählt. Dasselbe thut sein Generaladjutant Generalmajor Hiero-<lb/>
nymus Ziemieckt v. Zimiechenstein, ein Mann von unbekannter Herkunft, der<lb/>
vor etwa drei Lustren als armer Oberlieutenant oder fremder Eapitcmo in das<lb/>
Land kam und nun ein sehr reicher General ist. Der Boltswltz nennt die<lb/>
prachtvolle Villa, die er sich in der Nähe des Kursaals erbaut hat. die &#x201E;Aclien-<lb/>
boutikc". Denn man behauptet, daß sie von dem an Spiclbankactien gemachten<lb/>
Gewinne erbaut sei. Während der Herr General seine werthe Person in Mainz<lb/>
in Sicherheit brachte, sorgte er für die Sicherheit seiner Villa Dadurch, daß er<lb/>
sie von je sechs Mann Soldaten bewachen ließ.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100"> Der Schrecken, der oben herrscht, verbreitet sich mit wachsender Kraft bis<lb/>
in die untersten Regionen. Am stärksten herrschte er in ewigen katholischen<lb/>
Landbezirken. Ein Mann aus dem katholischen Landstädtchen Hadamar, das<lb/>
sich eines katholischen Couplets, Gymnasiums und anderer derartiger Anstalten<lb/>
erfreut, welche für Aufklärung sorgen, sagte mir: &#x201E;Wenn man bei uns eine<lb/>
Bohnenstange in die Erde steckt und eine preußische Pickelhaube darauf pflanzt,<lb/>
dann wagt sich kein Mensch mehr vor die Thüre!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_101" next="#ID_102"> In dem hadamcuschen Dorfe Ellar, welches ein starkes Contingent zum<lb/>
katholischen Klerus aus der Zahl seiner wohlhabenden Bauernsöhne zu stellen<lb/>
pflegt und ganz unter klerikalen Einflüsse steht, beeilten sich die Bauern auf die<lb/>
Nachricht, &#x201E;der Brelß" sei im Anmärsche, ihr Getreide, ihre Leinwand und ihr<lb/>
Geld zu vergraben. Die Angst der Ellarer und die von ihnen getroffenen<lb/>
Maßregeln wurden ruchbar. Die weniger ängstliche Jugend des Nachbardorfes<lb/>
Dorchheim beschloß einen freundnachbarlichen Schabernack. Um die Stunde der<lb/>
Mitternacht zogen drei dorchheimer Jünglinge, schwer bewaffnet, gen Ellar. Der<lb/>
eine endete auf einem zu diesem Zwecke mitgebrachten Nachtwächtcrhorne guoa,ä<lb/>
xc)Wo Militärische Signale. Der zweite tractirte nach Kräften eine alte Gie߬<lb/>
kanne, um ihr Töne zu entlocken, welche denen der Trommel möglichst ähnlich<lb/>
sähen. Der dritte aber schoß mehrmals aus einem verrosteten Gewehr. Darob<lb/>
entstand in Ellar eine furchtbare Paniquc. Alles rennet, rettet, flüchtet. Die<lb/>
Männer binden das Lied'im Stalle los, die Weiber binden sich die kleinen<lb/>
Kinder auf den Rücken, und so geht es mit Mann und Maus, mit Kind und<lb/>
Kegel in wilder 'Flucht in die benachbarten Wälder, wo man hauste, bis der<lb/>
schlechte Witz bekannt wurde, und der allgemeine Spott und Hohn die Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0046] war es offenbar doch höchst zweckmäßig und den militärischen Antecedentien des Höchstcommandirenden völlig angemessen, wenn es 1866 in Nassau ebenso wenig Eisenbahnen gab, als dreißig Jahre früher in Spanien. Seit Anfang Juli schläft der Herzog nicht mehr in seiner Residenz Bibrich am Rhein, weil er fürchtet, von den Preußen dort aufgehoben zu werden, son¬ dern in der Bundcsfestung Mainz. Dies wird mir von glaubhaften Personen aus Bibrich und Mainz, welche ihn Abends hinauf und Morgens herunter reiten sehen, erzählt. Dasselbe thut sein Generaladjutant Generalmajor Hiero- nymus Ziemieckt v. Zimiechenstein, ein Mann von unbekannter Herkunft, der vor etwa drei Lustren als armer Oberlieutenant oder fremder Eapitcmo in das Land kam und nun ein sehr reicher General ist. Der Boltswltz nennt die prachtvolle Villa, die er sich in der Nähe des Kursaals erbaut hat. die „Aclien- boutikc". Denn man behauptet, daß sie von dem an Spiclbankactien gemachten Gewinne erbaut sei. Während der Herr General seine werthe Person in Mainz in Sicherheit brachte, sorgte er für die Sicherheit seiner Villa Dadurch, daß er sie von je sechs Mann Soldaten bewachen ließ. Der Schrecken, der oben herrscht, verbreitet sich mit wachsender Kraft bis in die untersten Regionen. Am stärksten herrschte er in ewigen katholischen Landbezirken. Ein Mann aus dem katholischen Landstädtchen Hadamar, das sich eines katholischen Couplets, Gymnasiums und anderer derartiger Anstalten erfreut, welche für Aufklärung sorgen, sagte mir: „Wenn man bei uns eine Bohnenstange in die Erde steckt und eine preußische Pickelhaube darauf pflanzt, dann wagt sich kein Mensch mehr vor die Thüre!" In dem hadamcuschen Dorfe Ellar, welches ein starkes Contingent zum katholischen Klerus aus der Zahl seiner wohlhabenden Bauernsöhne zu stellen pflegt und ganz unter klerikalen Einflüsse steht, beeilten sich die Bauern auf die Nachricht, „der Brelß" sei im Anmärsche, ihr Getreide, ihre Leinwand und ihr Geld zu vergraben. Die Angst der Ellarer und die von ihnen getroffenen Maßregeln wurden ruchbar. Die weniger ängstliche Jugend des Nachbardorfes Dorchheim beschloß einen freundnachbarlichen Schabernack. Um die Stunde der Mitternacht zogen drei dorchheimer Jünglinge, schwer bewaffnet, gen Ellar. Der eine endete auf einem zu diesem Zwecke mitgebrachten Nachtwächtcrhorne guoa,ä xc)Wo Militärische Signale. Der zweite tractirte nach Kräften eine alte Gie߬ kanne, um ihr Töne zu entlocken, welche denen der Trommel möglichst ähnlich sähen. Der dritte aber schoß mehrmals aus einem verrosteten Gewehr. Darob entstand in Ellar eine furchtbare Paniquc. Alles rennet, rettet, flüchtet. Die Männer binden das Lied'im Stalle los, die Weiber binden sich die kleinen Kinder auf den Rücken, und so geht es mit Mann und Maus, mit Kind und Kegel in wilder 'Flucht in die benachbarten Wälder, wo man hauste, bis der schlechte Witz bekannt wurde, und der allgemeine Spott und Hohn die Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/46
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/46>, abgerufen am 30.06.2024.