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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Telegramm des spionirenden Hauptmanns von der Lahn, allerdings seien die
preußischen Truppen aus dem Kreise Wetzlar aufgebrochen, aber nicht nach
Wiesbaden zu, sondern in entgegengesetzter Richtung, nach Kassel; und kaum
war dieses Telegramm angekommen, da setzte sich der Herzog höchstselbst zu
Pferde, um seine Truppen wiederzuholen. Er beglückwünschte sie. wegen ihrer
Bravour und bezeichnete <das Ganze als einen Probeallarm und einen sehr ge¬
lungenen Uebungsmarsch; die Soldaten rückten wieder in Wiesbaden ein und
der Andromachen trüber Blick wurde wieder heiter.

Aber seitdem hatte das naive Gefühl der sogenannten "Bundestreue"
dem der Unsicherheit und dem Bewußtsein, daß man schweren Ereignissen ent¬
gegengehe. Platz gemacht*). Auf verschiedenen Eisenbahnstationen in der Nähe
der Residenz Bibrich wurden Truppen mit geladenem Gewehr und gespanntem
Hahn aufgepflanzt, um, wen" ein Zug mit Preußen heranbrause (was nun
freilich wohl in der Art grade nicht sehr wahrscheinlich war), Feuer auf den¬
selben zu geben. Der erwähnte Chef des Auskundschaftungswesens hatte stets
eine geheizte Locomotive zu seiner Verfügung, womit er nächtlicherweile seinen
recvgnoscirenden "Löwenritt" ü. 1a Freiligrath in das Land hinein machte. Später
riß man auf der Lahn- und der Nheinbahn die Schienen auf, namentlich in den
Tunnels. Nassau selbst hatte unter diesen Unterbrechungen des Verkehrs schwer
zu leiden. Die Preußen nicht. Denn diese führen einen wohl organistrten Eisen¬
bahntrain mit sich, der alles Zerstörte in kürzester Frist wieder flickt.

Der Herzog hatte von seinen neun Generalen (9 Stück auf 6000 Mann)
den einen Namens Roth zum Commandanten der Brigade ernannt. Obgleich
sein etwas verkümmertes Aeußere keineswegs Aehnlichkeit mit dem martialischen
Benedek verrieth, hielt man ihn doch für einen ebenso furchtbaren Haudegen.
Denn er hatte in seiner Jugend in Spanien eine Karlistenbande geführt und ^ ^
wußte aus der Heimath des Don Quixote sehr merkwürdige Geschichten "tsi
tiemxo alö röMg, Nlrrieg.swQg," zu erzählen. Er hat sich nun zwar keines¬
wegs im ferneren Verlaufe der Dinge als Feldherr bewählt, wohl aber hatte
er, wie mir ein Mitglied der Eisenbahnverwaltung erzählte, eines Tags den
Einfall, den in der That höchst spanischen Einfall, sämmtliche Tunnels und
Brücken unserer soeben erst mit schweren Kosten vollendeten Staatscisenbahnen
müßten -- wahrscheinlich irr in^orein Miierulissiini nassoiei gloriam -- in
die Luft gesprengt werden. Die Wiederherstellung derselben würde uns etwa
sieben Millionen gekostet haben. Dies schien jedoch dem Herrn General ein
Moment von untergeordneter Wichtigkeit zu sein. In Spanien gab es zu
Zeiten des Don Karlos keine Eisenbahnen. Dort hatte der General seine
Kriegskunst gelernt; und da er dieselbe nun in Nassau anzuwenden hatte, so



") Dies war am 17. Juni. Grade vier Wochen später, am Is. Juli, mußte der Herzog
Adolph sein Land verlassen, um, wie er selbst sagte, nicht i" Kriegsgefangenschaft zu gerathen
5*

Telegramm des spionirenden Hauptmanns von der Lahn, allerdings seien die
preußischen Truppen aus dem Kreise Wetzlar aufgebrochen, aber nicht nach
Wiesbaden zu, sondern in entgegengesetzter Richtung, nach Kassel; und kaum
war dieses Telegramm angekommen, da setzte sich der Herzog höchstselbst zu
Pferde, um seine Truppen wiederzuholen. Er beglückwünschte sie. wegen ihrer
Bravour und bezeichnete <das Ganze als einen Probeallarm und einen sehr ge¬
lungenen Uebungsmarsch; die Soldaten rückten wieder in Wiesbaden ein und
der Andromachen trüber Blick wurde wieder heiter.

Aber seitdem hatte das naive Gefühl der sogenannten „Bundestreue"
dem der Unsicherheit und dem Bewußtsein, daß man schweren Ereignissen ent¬
gegengehe. Platz gemacht*). Auf verschiedenen Eisenbahnstationen in der Nähe
der Residenz Bibrich wurden Truppen mit geladenem Gewehr und gespanntem
Hahn aufgepflanzt, um, wen» ein Zug mit Preußen heranbrause (was nun
freilich wohl in der Art grade nicht sehr wahrscheinlich war), Feuer auf den¬
selben zu geben. Der erwähnte Chef des Auskundschaftungswesens hatte stets
eine geheizte Locomotive zu seiner Verfügung, womit er nächtlicherweile seinen
recvgnoscirenden „Löwenritt" ü. 1a Freiligrath in das Land hinein machte. Später
riß man auf der Lahn- und der Nheinbahn die Schienen auf, namentlich in den
Tunnels. Nassau selbst hatte unter diesen Unterbrechungen des Verkehrs schwer
zu leiden. Die Preußen nicht. Denn diese führen einen wohl organistrten Eisen¬
bahntrain mit sich, der alles Zerstörte in kürzester Frist wieder flickt.

Der Herzog hatte von seinen neun Generalen (9 Stück auf 6000 Mann)
den einen Namens Roth zum Commandanten der Brigade ernannt. Obgleich
sein etwas verkümmertes Aeußere keineswegs Aehnlichkeit mit dem martialischen
Benedek verrieth, hielt man ihn doch für einen ebenso furchtbaren Haudegen.
Denn er hatte in seiner Jugend in Spanien eine Karlistenbande geführt und ^ ^
wußte aus der Heimath des Don Quixote sehr merkwürdige Geschichten „tsi
tiemxo alö röMg, Nlrrieg.swQg," zu erzählen. Er hat sich nun zwar keines¬
wegs im ferneren Verlaufe der Dinge als Feldherr bewählt, wohl aber hatte
er, wie mir ein Mitglied der Eisenbahnverwaltung erzählte, eines Tags den
Einfall, den in der That höchst spanischen Einfall, sämmtliche Tunnels und
Brücken unserer soeben erst mit schweren Kosten vollendeten Staatscisenbahnen
müßten — wahrscheinlich irr in^orein Miierulissiini nassoiei gloriam — in
die Luft gesprengt werden. Die Wiederherstellung derselben würde uns etwa
sieben Millionen gekostet haben. Dies schien jedoch dem Herrn General ein
Moment von untergeordneter Wichtigkeit zu sein. In Spanien gab es zu
Zeiten des Don Karlos keine Eisenbahnen. Dort hatte der General seine
Kriegskunst gelernt; und da er dieselbe nun in Nassau anzuwenden hatte, so



") Dies war am 17. Juni. Grade vier Wochen später, am Is. Juli, mußte der Herzog
Adolph sein Land verlassen, um, wie er selbst sagte, nicht i» Kriegsgefangenschaft zu gerathen
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[0045] Telegramm des spionirenden Hauptmanns von der Lahn, allerdings seien die preußischen Truppen aus dem Kreise Wetzlar aufgebrochen, aber nicht nach Wiesbaden zu, sondern in entgegengesetzter Richtung, nach Kassel; und kaum war dieses Telegramm angekommen, da setzte sich der Herzog höchstselbst zu Pferde, um seine Truppen wiederzuholen. Er beglückwünschte sie. wegen ihrer Bravour und bezeichnete <das Ganze als einen Probeallarm und einen sehr ge¬ lungenen Uebungsmarsch; die Soldaten rückten wieder in Wiesbaden ein und der Andromachen trüber Blick wurde wieder heiter. Aber seitdem hatte das naive Gefühl der sogenannten „Bundestreue" dem der Unsicherheit und dem Bewußtsein, daß man schweren Ereignissen ent¬ gegengehe. Platz gemacht*). Auf verschiedenen Eisenbahnstationen in der Nähe der Residenz Bibrich wurden Truppen mit geladenem Gewehr und gespanntem Hahn aufgepflanzt, um, wen» ein Zug mit Preußen heranbrause (was nun freilich wohl in der Art grade nicht sehr wahrscheinlich war), Feuer auf den¬ selben zu geben. Der erwähnte Chef des Auskundschaftungswesens hatte stets eine geheizte Locomotive zu seiner Verfügung, womit er nächtlicherweile seinen recvgnoscirenden „Löwenritt" ü. 1a Freiligrath in das Land hinein machte. Später riß man auf der Lahn- und der Nheinbahn die Schienen auf, namentlich in den Tunnels. Nassau selbst hatte unter diesen Unterbrechungen des Verkehrs schwer zu leiden. Die Preußen nicht. Denn diese führen einen wohl organistrten Eisen¬ bahntrain mit sich, der alles Zerstörte in kürzester Frist wieder flickt. Der Herzog hatte von seinen neun Generalen (9 Stück auf 6000 Mann) den einen Namens Roth zum Commandanten der Brigade ernannt. Obgleich sein etwas verkümmertes Aeußere keineswegs Aehnlichkeit mit dem martialischen Benedek verrieth, hielt man ihn doch für einen ebenso furchtbaren Haudegen. Denn er hatte in seiner Jugend in Spanien eine Karlistenbande geführt und ^ ^ wußte aus der Heimath des Don Quixote sehr merkwürdige Geschichten „tsi tiemxo alö röMg, Nlrrieg.swQg," zu erzählen. Er hat sich nun zwar keines¬ wegs im ferneren Verlaufe der Dinge als Feldherr bewählt, wohl aber hatte er, wie mir ein Mitglied der Eisenbahnverwaltung erzählte, eines Tags den Einfall, den in der That höchst spanischen Einfall, sämmtliche Tunnels und Brücken unserer soeben erst mit schweren Kosten vollendeten Staatscisenbahnen müßten — wahrscheinlich irr in^orein Miierulissiini nassoiei gloriam — in die Luft gesprengt werden. Die Wiederherstellung derselben würde uns etwa sieben Millionen gekostet haben. Dies schien jedoch dem Herrn General ein Moment von untergeordneter Wichtigkeit zu sein. In Spanien gab es zu Zeiten des Don Karlos keine Eisenbahnen. Dort hatte der General seine Kriegskunst gelernt; und da er dieselbe nun in Nassau anzuwenden hatte, so ") Dies war am 17. Juni. Grade vier Wochen später, am Is. Juli, mußte der Herzog Adolph sein Land verlassen, um, wie er selbst sagte, nicht i» Kriegsgefangenschaft zu gerathen 5*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/45>, abgerufen am 30.06.2024.