Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weißer Oelfarbe auf seinem Geschäftsschild das Wort "Hof" und den obligaten
nassauischen Wappenlöwen im Voraus aus freien Stücken aus. Das war das
eiste, für jedermann deutlich erkennbare Vorzeichen des Verfalls der nassauischen
Dynastie. Kein Wunder, daß bei dem übereilten Ausmarsch, welchen das be¬
drohliche Telegramm Von der Lahn veranlaßt hatte, die Käppi nicht paßten.
Noch weniger paßten die preußischen Helme den Trainsoldatcn oder "Thräncrn",
wie man sie hier nannte. Ursprünglich hatte die nassauische Linie russische
Czakos getragen. So wollte es der russenfreundliche Herzog Wilhelm. Statt
der Czakos hatte Herzog Adolph 1849, als er für das preußische Dreikönigs-
bündniß schwärmte, die preußischen Helme eingeführt. Als er aber sich von
diesem lossagte, um zur bregenzer Coalition und später zum darmstadt-Würz¬
burger Bündniß überzugehen, führte der auf östreichische Empfehlung zum
nassauischen Premierminister beförderte darmstädtische Cavaleriegeneral Prinz
Wittgenstein statt des preußischen Helens ein Käppi ein, das die östreichische
Grundform trug, jedoch mit einigen specifisch nassauischen Modificationen ver¬
sehen war. Die Pickelhauben wurden nun dem aus Anlaß deS Kriegs plötzlich
neuformirten Train zugetheilt. Sie paßten aber nicht auf die betreffenden Köpfe.
So sahen wir denn am 17. Juni in der stillen grauen Frühe des Sonntags¬
morgens die durck das Telegramm allarmirte nassauische Brigade eiligst in
der Richtung nach Frankfurt ausrücken in einem Zustande, der weniger Kriegs¬
bereitschaft als Fluchtbereitschaft zu nennen war. Wir sahen Trainsoldaten, die
keine Zeit gehabt hatten, das Pferd anzuschirren und nun selber das Pferdc-
kummt um den Hals trugen, während sie das Pferd an der Leine führten.
Dem einen war die allzuweite Pickelhaube bis auf den Hals heruntergesunken,
so daß man nichts mehr von den kriegerischen Gesichtszügen sah. Dem andern
saß der zu enge Helm auf dem Occiput und das schuppengepanzerte Sturm-
band fand seinen Halt statt unter dem Kinn -- an der Spitze der Nase. Bei
jenem siel uns der sinnreiche Junker aus der Manch" ein, der das Barbier¬
becken für den Helm des Mambrino hielt und es betrachtend bemerkte: "Mich
dünkt und will es bedeuchten, als ob der Heide, welchem vormals dieser Helm
angehöret, einen sehr dicken Kopf gehabt haben müßte."

So also stürmte die Brigade fort, nachdem sie vorher rührenden Abschied
genommen. Denn sie erfreute sich sehr der Sympathien der weiblichen Be¬
völkerung, insonderheit von der dienenden Classe. In Hunderten von Dupli-
caten präsentirte sich in den Straßen und Alleen die Gruppe von Hektor und
Andromache,


"Will sich Hektor ewig von mir kehren,
Wo der Preuß' mit Zündnadelgcwchrcn" u. s. w.

hieß es; und die Thränen rannen. Sie hätten unvergossen bleiben können.
Denn kaum waren die Truppen eine gute Stunde fort, da kam abermals el>^


weißer Oelfarbe auf seinem Geschäftsschild das Wort „Hof" und den obligaten
nassauischen Wappenlöwen im Voraus aus freien Stücken aus. Das war das
eiste, für jedermann deutlich erkennbare Vorzeichen des Verfalls der nassauischen
Dynastie. Kein Wunder, daß bei dem übereilten Ausmarsch, welchen das be¬
drohliche Telegramm Von der Lahn veranlaßt hatte, die Käppi nicht paßten.
Noch weniger paßten die preußischen Helme den Trainsoldatcn oder „Thräncrn",
wie man sie hier nannte. Ursprünglich hatte die nassauische Linie russische
Czakos getragen. So wollte es der russenfreundliche Herzog Wilhelm. Statt
der Czakos hatte Herzog Adolph 1849, als er für das preußische Dreikönigs-
bündniß schwärmte, die preußischen Helme eingeführt. Als er aber sich von
diesem lossagte, um zur bregenzer Coalition und später zum darmstadt-Würz¬
burger Bündniß überzugehen, führte der auf östreichische Empfehlung zum
nassauischen Premierminister beförderte darmstädtische Cavaleriegeneral Prinz
Wittgenstein statt des preußischen Helens ein Käppi ein, das die östreichische
Grundform trug, jedoch mit einigen specifisch nassauischen Modificationen ver¬
sehen war. Die Pickelhauben wurden nun dem aus Anlaß deS Kriegs plötzlich
neuformirten Train zugetheilt. Sie paßten aber nicht auf die betreffenden Köpfe.
So sahen wir denn am 17. Juni in der stillen grauen Frühe des Sonntags¬
morgens die durck das Telegramm allarmirte nassauische Brigade eiligst in
der Richtung nach Frankfurt ausrücken in einem Zustande, der weniger Kriegs¬
bereitschaft als Fluchtbereitschaft zu nennen war. Wir sahen Trainsoldaten, die
keine Zeit gehabt hatten, das Pferd anzuschirren und nun selber das Pferdc-
kummt um den Hals trugen, während sie das Pferd an der Leine führten.
Dem einen war die allzuweite Pickelhaube bis auf den Hals heruntergesunken,
so daß man nichts mehr von den kriegerischen Gesichtszügen sah. Dem andern
saß der zu enge Helm auf dem Occiput und das schuppengepanzerte Sturm-
band fand seinen Halt statt unter dem Kinn — an der Spitze der Nase. Bei
jenem siel uns der sinnreiche Junker aus der Manch« ein, der das Barbier¬
becken für den Helm des Mambrino hielt und es betrachtend bemerkte: „Mich
dünkt und will es bedeuchten, als ob der Heide, welchem vormals dieser Helm
angehöret, einen sehr dicken Kopf gehabt haben müßte."

So also stürmte die Brigade fort, nachdem sie vorher rührenden Abschied
genommen. Denn sie erfreute sich sehr der Sympathien der weiblichen Be¬
völkerung, insonderheit von der dienenden Classe. In Hunderten von Dupli-
caten präsentirte sich in den Straßen und Alleen die Gruppe von Hektor und
Andromache,


„Will sich Hektor ewig von mir kehren,
Wo der Preuß' mit Zündnadelgcwchrcn" u. s. w.

hieß es; und die Thränen rannen. Sie hätten unvergossen bleiben können.
Denn kaum waren die Truppen eine gute Stunde fort, da kam abermals el>^


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0044" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286192"/>
          <p xml:id="ID_92" prev="#ID_91"> weißer Oelfarbe auf seinem Geschäftsschild das Wort &#x201E;Hof" und den obligaten<lb/>
nassauischen Wappenlöwen im Voraus aus freien Stücken aus. Das war das<lb/>
eiste, für jedermann deutlich erkennbare Vorzeichen des Verfalls der nassauischen<lb/>
Dynastie.  Kein Wunder, daß bei dem übereilten Ausmarsch, welchen das be¬<lb/>
drohliche Telegramm Von der Lahn veranlaßt hatte, die Käppi nicht paßten.<lb/>
Noch weniger paßten die preußischen Helme den Trainsoldatcn oder &#x201E;Thräncrn",<lb/>
wie man sie hier nannte.  Ursprünglich hatte die nassauische Linie russische<lb/>
Czakos getragen.  So wollte es der russenfreundliche Herzog Wilhelm. Statt<lb/>
der Czakos hatte Herzog Adolph 1849, als er für das preußische Dreikönigs-<lb/>
bündniß schwärmte, die preußischen Helme eingeführt.  Als er aber sich von<lb/>
diesem lossagte, um zur bregenzer Coalition und später zum darmstadt-Würz¬<lb/>
burger Bündniß überzugehen, führte der auf östreichische Empfehlung zum<lb/>
nassauischen Premierminister beförderte darmstädtische Cavaleriegeneral Prinz<lb/>
Wittgenstein statt des preußischen Helens ein Käppi ein, das die östreichische<lb/>
Grundform trug, jedoch mit einigen specifisch nassauischen Modificationen ver¬<lb/>
sehen war. Die Pickelhauben wurden nun dem aus Anlaß deS Kriegs plötzlich<lb/>
neuformirten Train zugetheilt. Sie paßten aber nicht auf die betreffenden Köpfe.<lb/>
So sahen wir denn am 17. Juni in der stillen grauen Frühe des Sonntags¬<lb/>
morgens die durck das Telegramm allarmirte nassauische Brigade eiligst in<lb/>
der Richtung nach Frankfurt ausrücken in einem Zustande, der weniger Kriegs¬<lb/>
bereitschaft als Fluchtbereitschaft zu nennen war. Wir sahen Trainsoldaten, die<lb/>
keine Zeit gehabt hatten, das Pferd anzuschirren und nun selber das Pferdc-<lb/>
kummt um den Hals trugen, während sie das Pferd an der Leine führten.<lb/>
Dem einen war die allzuweite Pickelhaube bis auf den Hals heruntergesunken,<lb/>
so daß man nichts mehr von den kriegerischen Gesichtszügen sah. Dem andern<lb/>
saß der zu enge Helm auf dem Occiput und das schuppengepanzerte Sturm-<lb/>
band fand seinen Halt statt unter dem Kinn &#x2014; an der Spitze der Nase. Bei<lb/>
jenem siel uns der sinnreiche Junker aus der Manch« ein, der das Barbier¬<lb/>
becken für den Helm des Mambrino hielt und es betrachtend bemerkte: &#x201E;Mich<lb/>
dünkt und will es bedeuchten, als ob der Heide, welchem vormals dieser Helm<lb/>
angehöret, einen sehr dicken Kopf gehabt haben müßte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_93"> So also stürmte die Brigade fort, nachdem sie vorher rührenden Abschied<lb/>
genommen. Denn sie erfreute sich sehr der Sympathien der weiblichen Be¬<lb/>
völkerung, insonderheit von der dienenden Classe. In Hunderten von Dupli-<lb/>
caten präsentirte sich in den Straßen und Alleen die Gruppe von Hektor und<lb/>
Andromache,</p><lb/>
          <quote> &#x201E;Will sich Hektor ewig von mir kehren,<lb/>
Wo der Preuß' mit Zündnadelgcwchrcn" u. s. w.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> hieß es; und die Thränen rannen.  Sie hätten unvergossen bleiben können.<lb/>
Denn kaum waren die Truppen eine gute Stunde fort, da kam abermals el&gt;^</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0044] weißer Oelfarbe auf seinem Geschäftsschild das Wort „Hof" und den obligaten nassauischen Wappenlöwen im Voraus aus freien Stücken aus. Das war das eiste, für jedermann deutlich erkennbare Vorzeichen des Verfalls der nassauischen Dynastie. Kein Wunder, daß bei dem übereilten Ausmarsch, welchen das be¬ drohliche Telegramm Von der Lahn veranlaßt hatte, die Käppi nicht paßten. Noch weniger paßten die preußischen Helme den Trainsoldatcn oder „Thräncrn", wie man sie hier nannte. Ursprünglich hatte die nassauische Linie russische Czakos getragen. So wollte es der russenfreundliche Herzog Wilhelm. Statt der Czakos hatte Herzog Adolph 1849, als er für das preußische Dreikönigs- bündniß schwärmte, die preußischen Helme eingeführt. Als er aber sich von diesem lossagte, um zur bregenzer Coalition und später zum darmstadt-Würz¬ burger Bündniß überzugehen, führte der auf östreichische Empfehlung zum nassauischen Premierminister beförderte darmstädtische Cavaleriegeneral Prinz Wittgenstein statt des preußischen Helens ein Käppi ein, das die östreichische Grundform trug, jedoch mit einigen specifisch nassauischen Modificationen ver¬ sehen war. Die Pickelhauben wurden nun dem aus Anlaß deS Kriegs plötzlich neuformirten Train zugetheilt. Sie paßten aber nicht auf die betreffenden Köpfe. So sahen wir denn am 17. Juni in der stillen grauen Frühe des Sonntags¬ morgens die durck das Telegramm allarmirte nassauische Brigade eiligst in der Richtung nach Frankfurt ausrücken in einem Zustande, der weniger Kriegs¬ bereitschaft als Fluchtbereitschaft zu nennen war. Wir sahen Trainsoldaten, die keine Zeit gehabt hatten, das Pferd anzuschirren und nun selber das Pferdc- kummt um den Hals trugen, während sie das Pferd an der Leine führten. Dem einen war die allzuweite Pickelhaube bis auf den Hals heruntergesunken, so daß man nichts mehr von den kriegerischen Gesichtszügen sah. Dem andern saß der zu enge Helm auf dem Occiput und das schuppengepanzerte Sturm- band fand seinen Halt statt unter dem Kinn — an der Spitze der Nase. Bei jenem siel uns der sinnreiche Junker aus der Manch« ein, der das Barbier¬ becken für den Helm des Mambrino hielt und es betrachtend bemerkte: „Mich dünkt und will es bedeuchten, als ob der Heide, welchem vormals dieser Helm angehöret, einen sehr dicken Kopf gehabt haben müßte." So also stürmte die Brigade fort, nachdem sie vorher rührenden Abschied genommen. Denn sie erfreute sich sehr der Sympathien der weiblichen Be¬ völkerung, insonderheit von der dienenden Classe. In Hunderten von Dupli- caten präsentirte sich in den Straßen und Alleen die Gruppe von Hektor und Andromache, „Will sich Hektor ewig von mir kehren, Wo der Preuß' mit Zündnadelgcwchrcn" u. s. w. hieß es; und die Thränen rannen. Sie hätten unvergossen bleiben können. Denn kaum waren die Truppen eine gute Stunde fort, da kam abermals el>^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/44
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/44>, abgerufen am 30.06.2024.