Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

derung dieser kriegerischen Action ihren besonderen " Specialartisten " bedürfte.
Höchst komisch war es, als ewig wiederkehrenden Beweisgrund dafür, das! noth¬
wendig Spione in Hülle und Fülle im Lande sein müßten, den Umstand an¬
führen zu hören, die preußischen Führer kennten ja Weg und Steg in unserem
Lande besser als wir selbst, während doch Nassau nur eine Enclave Preußens,
zwischen Koblenz und Wetzlar, mit einer preußischen Etappenstraße mitten durch,
ist, und für das Ländchen keine andere brauchbare und zuverlässige Specialkarte
existirt als grade die des preußischen Generalstabs, deren sich auch die Negie¬
rung für ihre Arbeiten zu bedienen pflegt. Allein in dieser aufgeregten Zeit
war der Gedanke an diese Karte ein viel zu pbilisirös nahe liegender, einfacher,
hausbackener. Man bedürfte der Romantik mit Kant MÜt, und deshalb sing
man Spione.

Ebenso unglücklich, wie mit dem Fangen der vermeintlichen fremden Spione
des Feindes, war man mit seinen eigenen Spionen.

Der Herzog von Nassau hatte einen pensionirten Generalstabshauptmann
zum Chef seiner Spionage ernannt. Alle Behörden, die Polizei- und Landjägcr-
mannschaft waren angewiesen, ihm hilfreiche Hand zu leisten. In Civil ge¬
kleidet umschlich er die Preußen. Wenige Tage nach der verhängnifzvollen
Bundestagsabstimmung vom 14. Juni, in der Nacht vom Sonnabend auf den
Sonntag, telegraphirt dieser Hauptmann von der Lahn aus (wo er sich be¬
findet, um die im Kreis Wetzlar concentrirten preußischen Truppen zu obser-
viren), die Preußen fehlen sich von dort in Bewegung. Das Telegramm
gelangte Morgens 5 Uhr an den Herzog. Sofort Allarm aller nassauischcn
Truppen, welche in Bibrick und Wiesbaden concentrirt waren! Die Generale
galoppiren. Die Offiziere setzen die östreichischen Käppi, die Soldaten die
nassauischeu Käppi, die Trainsoldaten die preußischen Pickelhauben auf. In die¬
ser Abstufung der Kopfbedeckung des Militärs wollte man offenbar mit ahnungs-
und beziehungsreicher Symbolik die unendliche Ueberlegenheit Oestreichs über
Preußen andeuten. Man hatte sie unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ge¬
wählt. Der Herzog hatte höchstselbst in Wien, wohin er damals ging, bei
einem wiener Militärkappenmacher die östreichischen Käppi für seine Offiziere
bestellt, deren Kopfmaß er sich dorthin hatte schicken lassen. Die wiener Käppi
kamen Ende Mai hier an. Aber, o Unglück, sie paßten nicht auf die betreffen¬
den nassauischen OWersköpfe; und der Hofkappenmachcr Frannd, aufgefordert, sie
"ach Maßgabe der einzelnen nassauischen Ofsizierskopfindividualuäten zu ändern,
antwortete mit dem echten Stolz eines deutschen Handwerkers: "Ich bin kein
Kappen flicke r, sondern ein Kappen nacher, und wer die Kappen schlecht ge¬
macht, der kann sie auch verbessern." Mit dem Verluste des Hofprädicats
bedroht, ging der wackere Meister, noch ehe man die Drohung verwirklicht hatte,
still resignirt ans Werk, stellte seine Leiter an die Hausthüre und strich mit


Grenzboten IV. 1866. 5

derung dieser kriegerischen Action ihren besonderen „ Specialartisten " bedürfte.
Höchst komisch war es, als ewig wiederkehrenden Beweisgrund dafür, das! noth¬
wendig Spione in Hülle und Fülle im Lande sein müßten, den Umstand an¬
führen zu hören, die preußischen Führer kennten ja Weg und Steg in unserem
Lande besser als wir selbst, während doch Nassau nur eine Enclave Preußens,
zwischen Koblenz und Wetzlar, mit einer preußischen Etappenstraße mitten durch,
ist, und für das Ländchen keine andere brauchbare und zuverlässige Specialkarte
existirt als grade die des preußischen Generalstabs, deren sich auch die Negie¬
rung für ihre Arbeiten zu bedienen pflegt. Allein in dieser aufgeregten Zeit
war der Gedanke an diese Karte ein viel zu pbilisirös nahe liegender, einfacher,
hausbackener. Man bedürfte der Romantik mit Kant MÜt, und deshalb sing
man Spione.

Ebenso unglücklich, wie mit dem Fangen der vermeintlichen fremden Spione
des Feindes, war man mit seinen eigenen Spionen.

Der Herzog von Nassau hatte einen pensionirten Generalstabshauptmann
zum Chef seiner Spionage ernannt. Alle Behörden, die Polizei- und Landjägcr-
mannschaft waren angewiesen, ihm hilfreiche Hand zu leisten. In Civil ge¬
kleidet umschlich er die Preußen. Wenige Tage nach der verhängnifzvollen
Bundestagsabstimmung vom 14. Juni, in der Nacht vom Sonnabend auf den
Sonntag, telegraphirt dieser Hauptmann von der Lahn aus (wo er sich be¬
findet, um die im Kreis Wetzlar concentrirten preußischen Truppen zu obser-
viren), die Preußen fehlen sich von dort in Bewegung. Das Telegramm
gelangte Morgens 5 Uhr an den Herzog. Sofort Allarm aller nassauischcn
Truppen, welche in Bibrick und Wiesbaden concentrirt waren! Die Generale
galoppiren. Die Offiziere setzen die östreichischen Käppi, die Soldaten die
nassauischeu Käppi, die Trainsoldaten die preußischen Pickelhauben auf. In die¬
ser Abstufung der Kopfbedeckung des Militärs wollte man offenbar mit ahnungs-
und beziehungsreicher Symbolik die unendliche Ueberlegenheit Oestreichs über
Preußen andeuten. Man hatte sie unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ge¬
wählt. Der Herzog hatte höchstselbst in Wien, wohin er damals ging, bei
einem wiener Militärkappenmacher die östreichischen Käppi für seine Offiziere
bestellt, deren Kopfmaß er sich dorthin hatte schicken lassen. Die wiener Käppi
kamen Ende Mai hier an. Aber, o Unglück, sie paßten nicht auf die betreffen¬
den nassauischen OWersköpfe; und der Hofkappenmachcr Frannd, aufgefordert, sie
»ach Maßgabe der einzelnen nassauischen Ofsizierskopfindividualuäten zu ändern,
antwortete mit dem echten Stolz eines deutschen Handwerkers: „Ich bin kein
Kappen flicke r, sondern ein Kappen nacher, und wer die Kappen schlecht ge¬
macht, der kann sie auch verbessern." Mit dem Verluste des Hofprädicats
bedroht, ging der wackere Meister, noch ehe man die Drohung verwirklicht hatte,
still resignirt ans Werk, stellte seine Leiter an die Hausthüre und strich mit


Grenzboten IV. 1866. 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286191"/>
          <p xml:id="ID_89" prev="#ID_88"> derung dieser kriegerischen Action ihren besonderen &#x201E; Specialartisten " bedürfte.<lb/>
Höchst komisch war es, als ewig wiederkehrenden Beweisgrund dafür, das! noth¬<lb/>
wendig Spione in Hülle und Fülle im Lande sein müßten, den Umstand an¬<lb/>
führen zu hören, die preußischen Führer kennten ja Weg und Steg in unserem<lb/>
Lande besser als wir selbst, während doch Nassau nur eine Enclave Preußens,<lb/>
zwischen Koblenz und Wetzlar, mit einer preußischen Etappenstraße mitten durch,<lb/>
ist, und für das Ländchen keine andere brauchbare und zuverlässige Specialkarte<lb/>
existirt als grade die des preußischen Generalstabs, deren sich auch die Negie¬<lb/>
rung für ihre Arbeiten zu bedienen pflegt. Allein in dieser aufgeregten Zeit<lb/>
war der Gedanke an diese Karte ein viel zu pbilisirös nahe liegender, einfacher,<lb/>
hausbackener. Man bedürfte der Romantik mit Kant MÜt, und deshalb sing<lb/>
man Spione.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90"> Ebenso unglücklich, wie mit dem Fangen der vermeintlichen fremden Spione<lb/>
des Feindes, war man mit seinen eigenen Spionen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_91" next="#ID_92"> Der Herzog von Nassau hatte einen pensionirten Generalstabshauptmann<lb/>
zum Chef seiner Spionage ernannt. Alle Behörden, die Polizei- und Landjägcr-<lb/>
mannschaft waren angewiesen, ihm hilfreiche Hand zu leisten. In Civil ge¬<lb/>
kleidet umschlich er die Preußen. Wenige Tage nach der verhängnifzvollen<lb/>
Bundestagsabstimmung vom 14. Juni, in der Nacht vom Sonnabend auf den<lb/>
Sonntag, telegraphirt dieser Hauptmann von der Lahn aus (wo er sich be¬<lb/>
findet, um die im Kreis Wetzlar concentrirten preußischen Truppen zu obser-<lb/>
viren), die Preußen fehlen sich von dort in Bewegung. Das Telegramm<lb/>
gelangte Morgens 5 Uhr an den Herzog. Sofort Allarm aller nassauischcn<lb/>
Truppen, welche in Bibrick und Wiesbaden concentrirt waren! Die Generale<lb/>
galoppiren. Die Offiziere setzen die östreichischen Käppi, die Soldaten die<lb/>
nassauischeu Käppi, die Trainsoldaten die preußischen Pickelhauben auf. In die¬<lb/>
ser Abstufung der Kopfbedeckung des Militärs wollte man offenbar mit ahnungs-<lb/>
und beziehungsreicher Symbolik die unendliche Ueberlegenheit Oestreichs über<lb/>
Preußen andeuten. Man hatte sie unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ge¬<lb/>
wählt. Der Herzog hatte höchstselbst in Wien, wohin er damals ging, bei<lb/>
einem wiener Militärkappenmacher die östreichischen Käppi für seine Offiziere<lb/>
bestellt, deren Kopfmaß er sich dorthin hatte schicken lassen. Die wiener Käppi<lb/>
kamen Ende Mai hier an. Aber, o Unglück, sie paßten nicht auf die betreffen¬<lb/>
den nassauischen OWersköpfe; und der Hofkappenmachcr Frannd, aufgefordert, sie<lb/>
»ach Maßgabe der einzelnen nassauischen Ofsizierskopfindividualuäten zu ändern,<lb/>
antwortete mit dem echten Stolz eines deutschen Handwerkers: &#x201E;Ich bin kein<lb/>
Kappen flicke r, sondern ein Kappen nacher, und wer die Kappen schlecht ge¬<lb/>
macht, der kann sie auch verbessern." Mit dem Verluste des Hofprädicats<lb/>
bedroht, ging der wackere Meister, noch ehe man die Drohung verwirklicht hatte,<lb/>
still resignirt ans Werk, stellte seine Leiter an die Hausthüre und strich mit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1866. 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0043] derung dieser kriegerischen Action ihren besonderen „ Specialartisten " bedürfte. Höchst komisch war es, als ewig wiederkehrenden Beweisgrund dafür, das! noth¬ wendig Spione in Hülle und Fülle im Lande sein müßten, den Umstand an¬ führen zu hören, die preußischen Führer kennten ja Weg und Steg in unserem Lande besser als wir selbst, während doch Nassau nur eine Enclave Preußens, zwischen Koblenz und Wetzlar, mit einer preußischen Etappenstraße mitten durch, ist, und für das Ländchen keine andere brauchbare und zuverlässige Specialkarte existirt als grade die des preußischen Generalstabs, deren sich auch die Negie¬ rung für ihre Arbeiten zu bedienen pflegt. Allein in dieser aufgeregten Zeit war der Gedanke an diese Karte ein viel zu pbilisirös nahe liegender, einfacher, hausbackener. Man bedürfte der Romantik mit Kant MÜt, und deshalb sing man Spione. Ebenso unglücklich, wie mit dem Fangen der vermeintlichen fremden Spione des Feindes, war man mit seinen eigenen Spionen. Der Herzog von Nassau hatte einen pensionirten Generalstabshauptmann zum Chef seiner Spionage ernannt. Alle Behörden, die Polizei- und Landjägcr- mannschaft waren angewiesen, ihm hilfreiche Hand zu leisten. In Civil ge¬ kleidet umschlich er die Preußen. Wenige Tage nach der verhängnifzvollen Bundestagsabstimmung vom 14. Juni, in der Nacht vom Sonnabend auf den Sonntag, telegraphirt dieser Hauptmann von der Lahn aus (wo er sich be¬ findet, um die im Kreis Wetzlar concentrirten preußischen Truppen zu obser- viren), die Preußen fehlen sich von dort in Bewegung. Das Telegramm gelangte Morgens 5 Uhr an den Herzog. Sofort Allarm aller nassauischcn Truppen, welche in Bibrick und Wiesbaden concentrirt waren! Die Generale galoppiren. Die Offiziere setzen die östreichischen Käppi, die Soldaten die nassauischeu Käppi, die Trainsoldaten die preußischen Pickelhauben auf. In die¬ ser Abstufung der Kopfbedeckung des Militärs wollte man offenbar mit ahnungs- und beziehungsreicher Symbolik die unendliche Ueberlegenheit Oestreichs über Preußen andeuten. Man hatte sie unmittelbar vor Ausbruch des Krieges ge¬ wählt. Der Herzog hatte höchstselbst in Wien, wohin er damals ging, bei einem wiener Militärkappenmacher die östreichischen Käppi für seine Offiziere bestellt, deren Kopfmaß er sich dorthin hatte schicken lassen. Die wiener Käppi kamen Ende Mai hier an. Aber, o Unglück, sie paßten nicht auf die betreffen¬ den nassauischen OWersköpfe; und der Hofkappenmachcr Frannd, aufgefordert, sie »ach Maßgabe der einzelnen nassauischen Ofsizierskopfindividualuäten zu ändern, antwortete mit dem echten Stolz eines deutschen Handwerkers: „Ich bin kein Kappen flicke r, sondern ein Kappen nacher, und wer die Kappen schlecht ge¬ macht, der kann sie auch verbessern." Mit dem Verluste des Hofprädicats bedroht, ging der wackere Meister, noch ehe man die Drohung verwirklicht hatte, still resignirt ans Werk, stellte seine Leiter an die Hausthüre und strich mit Grenzboten IV. 1866. 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/43
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/43>, abgerufen am 30.06.2024.