Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

warum er den großen Einfluß, den er in seiner tzeimath besitze, nicht angewandt
habe, um jene Excesse -- zu verhindern. Lapienti sat!

Beiläufig bemerkt, verdient es in den kleinstaatlichen Geschichtsannalen ver¬
zeichnet zu werden, daß, als am 6. Juli die nassauische Ständeversammlung
(vereinigte erste und zweite Kammer) über die Credite, welche die Regierung
gefordert hatte, um für Oestreich in den Krieg zu ziehen, abstimmte (und sie
verweigerte), auf der Adelsbank der ersten Kammer, welche zehn Mitglieder
zählt, nur zwei saßen. Von diesen zwei stimmte der eine, ein Beamter, für die
Regierung, der andere, ein Kammerherr des Herzogs, gegen die Regierung.
Dem letzteren, dem Freiherrn v. Schwartzkovpen, ließ der Herzog noch zur sel¬
bigen Stunde wegen dieses "eines Kammerherrn unwürdigen Benehmens" den
Schlüssel abverlangen.

Die übrigen acht Lordschaften fehlten. Acht Tage vorher, ehe Oestreichs
Niederlagen stattgefunden und bekannt geworden waren, waren sie alle da und
hatten tapfer für den Bundesbeschluß vom 14. Juni, also für Oestreich, ge¬
stimmt und zum Theil auch gesprochen. lömxorn. mutantur, et nos mutamur
in illis.

Ein sehr häßlicher Zug tritt in dieser aufgeregten Zeit -- nicht bei dem
Volk, denn wo es sündigt, da liegt wirklich,' meiner Wahrnehmung nach, die
Ursache im Kopf und nicht im Herzen, das trotz alledem treu und brav ist --
bei Einzelnen hervor, nämlich der Hang, die Aufregung der Masse zur Be¬
friedigung gehässiger persönlicher Leidenschaften zu benutzen, namentlich sie zu
Zwecken der Privatrache auszubeuten. Aus der großen Reihe solcher Vorfälle
hier ein Beispiel:

Am 28. Juni machten die Preußen von Koblenz aus eine militärische Pro¬
menade nach Montabaur, einem nassauischen Städtchen, wo ein Justizamt seinen
Sitz hat. Ein Advocat aus der Nähe, der bei dem Justizamt seine Geschäfte
erledigt hatte, war im Begriff, das Local zu verlassen, als er in der Haus¬
thüre in mehr überraschender als angenehmer Weise mit einer Husarenpatrouille
zusammenstieß, welche ihn mit gezogenem Säbel und gespanntem Pistol anhielt,
sie zum Amtmann zu führen. Natürlich leistete der in so kategorischer Weise
Aufgeforderte Folge. Diesen Hergang benutzte ein ebenso unfähiger als neidi¬
scher College, um jenen zu denunciren, er habe die Preußen ins Land geführt
und ihnen als Spion gedient. Ein solcher Vorwurf, geschickt verbreitet und
aufgeputzt, war in diesen Tagen nicht ohne Lebensgefahr für den Verläumdeten.

Die Bundestagsarmee hat in Nassau allerdings gelegentlich neunzehn preu¬
ßische Landwchrsoldaten gefangen genommen. Aber weit hervorragender, qua¬
litativ und quantitativ, war das Fangen von "Spionen". Weit mehr wie die
Kriegführung schien sie dieses Geschäft als ihre eigentliche specifische Berufs¬
sphäre zu betrachten und sie lag demselben mit einem Eifer ob, daß die sehn-


warum er den großen Einfluß, den er in seiner tzeimath besitze, nicht angewandt
habe, um jene Excesse — zu verhindern. Lapienti sat!

Beiläufig bemerkt, verdient es in den kleinstaatlichen Geschichtsannalen ver¬
zeichnet zu werden, daß, als am 6. Juli die nassauische Ständeversammlung
(vereinigte erste und zweite Kammer) über die Credite, welche die Regierung
gefordert hatte, um für Oestreich in den Krieg zu ziehen, abstimmte (und sie
verweigerte), auf der Adelsbank der ersten Kammer, welche zehn Mitglieder
zählt, nur zwei saßen. Von diesen zwei stimmte der eine, ein Beamter, für die
Regierung, der andere, ein Kammerherr des Herzogs, gegen die Regierung.
Dem letzteren, dem Freiherrn v. Schwartzkovpen, ließ der Herzog noch zur sel¬
bigen Stunde wegen dieses „eines Kammerherrn unwürdigen Benehmens" den
Schlüssel abverlangen.

Die übrigen acht Lordschaften fehlten. Acht Tage vorher, ehe Oestreichs
Niederlagen stattgefunden und bekannt geworden waren, waren sie alle da und
hatten tapfer für den Bundesbeschluß vom 14. Juni, also für Oestreich, ge¬
stimmt und zum Theil auch gesprochen. lömxorn. mutantur, et nos mutamur
in illis.

Ein sehr häßlicher Zug tritt in dieser aufgeregten Zeit — nicht bei dem
Volk, denn wo es sündigt, da liegt wirklich,' meiner Wahrnehmung nach, die
Ursache im Kopf und nicht im Herzen, das trotz alledem treu und brav ist —
bei Einzelnen hervor, nämlich der Hang, die Aufregung der Masse zur Be¬
friedigung gehässiger persönlicher Leidenschaften zu benutzen, namentlich sie zu
Zwecken der Privatrache auszubeuten. Aus der großen Reihe solcher Vorfälle
hier ein Beispiel:

Am 28. Juni machten die Preußen von Koblenz aus eine militärische Pro¬
menade nach Montabaur, einem nassauischen Städtchen, wo ein Justizamt seinen
Sitz hat. Ein Advocat aus der Nähe, der bei dem Justizamt seine Geschäfte
erledigt hatte, war im Begriff, das Local zu verlassen, als er in der Haus¬
thüre in mehr überraschender als angenehmer Weise mit einer Husarenpatrouille
zusammenstieß, welche ihn mit gezogenem Säbel und gespanntem Pistol anhielt,
sie zum Amtmann zu führen. Natürlich leistete der in so kategorischer Weise
Aufgeforderte Folge. Diesen Hergang benutzte ein ebenso unfähiger als neidi¬
scher College, um jenen zu denunciren, er habe die Preußen ins Land geführt
und ihnen als Spion gedient. Ein solcher Vorwurf, geschickt verbreitet und
aufgeputzt, war in diesen Tagen nicht ohne Lebensgefahr für den Verläumdeten.

Die Bundestagsarmee hat in Nassau allerdings gelegentlich neunzehn preu¬
ßische Landwchrsoldaten gefangen genommen. Aber weit hervorragender, qua¬
litativ und quantitativ, war das Fangen von „Spionen". Weit mehr wie die
Kriegführung schien sie dieses Geschäft als ihre eigentliche specifische Berufs¬
sphäre zu betrachten und sie lag demselben mit einem Eifer ob, daß die sehn-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0042" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/286190"/>
          <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> warum er den großen Einfluß, den er in seiner tzeimath besitze, nicht angewandt<lb/>
habe, um jene Excesse &#x2014; zu verhindern.  Lapienti sat!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_84"> Beiläufig bemerkt, verdient es in den kleinstaatlichen Geschichtsannalen ver¬<lb/>
zeichnet zu werden, daß, als am 6. Juli die nassauische Ständeversammlung<lb/>
(vereinigte erste und zweite Kammer) über die Credite, welche die Regierung<lb/>
gefordert hatte, um für Oestreich in den Krieg zu ziehen, abstimmte (und sie<lb/>
verweigerte), auf der Adelsbank der ersten Kammer, welche zehn Mitglieder<lb/>
zählt, nur zwei saßen. Von diesen zwei stimmte der eine, ein Beamter, für die<lb/>
Regierung, der andere, ein Kammerherr des Herzogs, gegen die Regierung.<lb/>
Dem letzteren, dem Freiherrn v. Schwartzkovpen, ließ der Herzog noch zur sel¬<lb/>
bigen Stunde wegen dieses &#x201E;eines Kammerherrn unwürdigen Benehmens" den<lb/>
Schlüssel abverlangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_85"> Die übrigen acht Lordschaften fehlten. Acht Tage vorher, ehe Oestreichs<lb/>
Niederlagen stattgefunden und bekannt geworden waren, waren sie alle da und<lb/>
hatten tapfer für den Bundesbeschluß vom 14. Juni, also für Oestreich, ge¬<lb/>
stimmt und zum Theil auch gesprochen. lömxorn. mutantur, et nos mutamur<lb/>
in illis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_86"> Ein sehr häßlicher Zug tritt in dieser aufgeregten Zeit &#x2014; nicht bei dem<lb/>
Volk, denn wo es sündigt, da liegt wirklich,' meiner Wahrnehmung nach, die<lb/>
Ursache im Kopf und nicht im Herzen, das trotz alledem treu und brav ist &#x2014;<lb/>
bei Einzelnen hervor, nämlich der Hang, die Aufregung der Masse zur Be¬<lb/>
friedigung gehässiger persönlicher Leidenschaften zu benutzen, namentlich sie zu<lb/>
Zwecken der Privatrache auszubeuten. Aus der großen Reihe solcher Vorfälle<lb/>
hier ein Beispiel:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_87"> Am 28. Juni machten die Preußen von Koblenz aus eine militärische Pro¬<lb/>
menade nach Montabaur, einem nassauischen Städtchen, wo ein Justizamt seinen<lb/>
Sitz hat. Ein Advocat aus der Nähe, der bei dem Justizamt seine Geschäfte<lb/>
erledigt hatte, war im Begriff, das Local zu verlassen, als er in der Haus¬<lb/>
thüre in mehr überraschender als angenehmer Weise mit einer Husarenpatrouille<lb/>
zusammenstieß, welche ihn mit gezogenem Säbel und gespanntem Pistol anhielt,<lb/>
sie zum Amtmann zu führen. Natürlich leistete der in so kategorischer Weise<lb/>
Aufgeforderte Folge. Diesen Hergang benutzte ein ebenso unfähiger als neidi¬<lb/>
scher College, um jenen zu denunciren, er habe die Preußen ins Land geführt<lb/>
und ihnen als Spion gedient. Ein solcher Vorwurf, geschickt verbreitet und<lb/>
aufgeputzt, war in diesen Tagen nicht ohne Lebensgefahr für den Verläumdeten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_88" next="#ID_89"> Die Bundestagsarmee hat in Nassau allerdings gelegentlich neunzehn preu¬<lb/>
ßische Landwchrsoldaten gefangen genommen. Aber weit hervorragender, qua¬<lb/>
litativ und quantitativ, war das Fangen von &#x201E;Spionen". Weit mehr wie die<lb/>
Kriegführung schien sie dieses Geschäft als ihre eigentliche specifische Berufs¬<lb/>
sphäre zu betrachten und sie lag demselben mit einem Eifer ob, daß die sehn-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0042] warum er den großen Einfluß, den er in seiner tzeimath besitze, nicht angewandt habe, um jene Excesse — zu verhindern. Lapienti sat! Beiläufig bemerkt, verdient es in den kleinstaatlichen Geschichtsannalen ver¬ zeichnet zu werden, daß, als am 6. Juli die nassauische Ständeversammlung (vereinigte erste und zweite Kammer) über die Credite, welche die Regierung gefordert hatte, um für Oestreich in den Krieg zu ziehen, abstimmte (und sie verweigerte), auf der Adelsbank der ersten Kammer, welche zehn Mitglieder zählt, nur zwei saßen. Von diesen zwei stimmte der eine, ein Beamter, für die Regierung, der andere, ein Kammerherr des Herzogs, gegen die Regierung. Dem letzteren, dem Freiherrn v. Schwartzkovpen, ließ der Herzog noch zur sel¬ bigen Stunde wegen dieses „eines Kammerherrn unwürdigen Benehmens" den Schlüssel abverlangen. Die übrigen acht Lordschaften fehlten. Acht Tage vorher, ehe Oestreichs Niederlagen stattgefunden und bekannt geworden waren, waren sie alle da und hatten tapfer für den Bundesbeschluß vom 14. Juni, also für Oestreich, ge¬ stimmt und zum Theil auch gesprochen. lömxorn. mutantur, et nos mutamur in illis. Ein sehr häßlicher Zug tritt in dieser aufgeregten Zeit — nicht bei dem Volk, denn wo es sündigt, da liegt wirklich,' meiner Wahrnehmung nach, die Ursache im Kopf und nicht im Herzen, das trotz alledem treu und brav ist — bei Einzelnen hervor, nämlich der Hang, die Aufregung der Masse zur Be¬ friedigung gehässiger persönlicher Leidenschaften zu benutzen, namentlich sie zu Zwecken der Privatrache auszubeuten. Aus der großen Reihe solcher Vorfälle hier ein Beispiel: Am 28. Juni machten die Preußen von Koblenz aus eine militärische Pro¬ menade nach Montabaur, einem nassauischen Städtchen, wo ein Justizamt seinen Sitz hat. Ein Advocat aus der Nähe, der bei dem Justizamt seine Geschäfte erledigt hatte, war im Begriff, das Local zu verlassen, als er in der Haus¬ thüre in mehr überraschender als angenehmer Weise mit einer Husarenpatrouille zusammenstieß, welche ihn mit gezogenem Säbel und gespanntem Pistol anhielt, sie zum Amtmann zu führen. Natürlich leistete der in so kategorischer Weise Aufgeforderte Folge. Diesen Hergang benutzte ein ebenso unfähiger als neidi¬ scher College, um jenen zu denunciren, er habe die Preußen ins Land geführt und ihnen als Spion gedient. Ein solcher Vorwurf, geschickt verbreitet und aufgeputzt, war in diesen Tagen nicht ohne Lebensgefahr für den Verläumdeten. Die Bundestagsarmee hat in Nassau allerdings gelegentlich neunzehn preu¬ ßische Landwchrsoldaten gefangen genommen. Aber weit hervorragender, qua¬ litativ und quantitativ, war das Fangen von „Spionen". Weit mehr wie die Kriegführung schien sie dieses Geschäft als ihre eigentliche specifische Berufs¬ sphäre zu betrachten und sie lag demselben mit einem Eifer ob, daß die sehn-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/42
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/42>, abgerufen am 30.06.2024.