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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Dem Kaufmanne, der nicht mit Waaren, sondern mit Geld und Credit handelt,
kann daher Oestreich nicht gleichgiltig sein. Der Gläubiger kümmert sich um
einen soliden bombenfesten Schuldner wenig oder gar nicht. Den unsichere
Schuldner aber, an welchem doch immer noch etwas zu verdienen ist, behandelt
er mit der größten Sorgfalt, wie die Eltern unter ihren Kindern das schwache
vorziehen, nicht obgleich, sondern weil es kränklich ist, und weil sie doch wenig¬
stens in Zukunft noch Erfreuliches von ihm zu erleben hoffen. Wer diesen
Causalnexus durchschaut, wird manches entschuldigen.

Aber verhehlen kann ich es doch nicht, es ist ein widerwärtiger und selt¬
samer Anblick, dieselben schwärmen zu sehen für die biederen Czechen in dem-
selben Augenblicke, wo die letzteren die Juden in Böhmen, das Messer in der
Hand, an der Kehle packen und ihnen hier "Stribro" (Silber her!) in die Ohren
schreie". Könnten doch diese biedern "deutschen Brüder" aus den böhmischen
Wäldern, wenn sie siegreich in die freie Reichsstadt am Main einrücken, in ihrer
waldursprünglich-sanscülottischer Naivetät den Einfall haben, dort dieselbe Ope¬
ration zu wiederholen, die sie in ihrer Heimath mit bestem Erfolge ausgeführt!
An Anzeichen dazu fehlt es auch im deutschen Reich nicht. Grade in den
preußenfeindlichsten Theilen Bayerns hat man Judenhetzen versucht. In Nassau
hat noch kürzlich der Graf von Walderdvrff, der Hvchtorv der ersten Kammer,
in der letzteren eine heftige Philippika gegen die "abscheulichen Juden, welche
die Bauern ruinirten" losgelassen. Es wurde nur von liberaler Seile er¬
wiedert, es gäbe Christen, die schlimmer seien; wenn ein Jude etwas verdiene,
so gebe er es doch alsbald wieder in Circulation und lasse es für die bürger¬
liche Gesellschaft arbeiten; wenn aber ein edler Gras die Bauern schlachte und
zu Pächtern oder Leibeigenen mache und deren freies Gut seinem gräflichen
Fideicommiß einverleibe, dann werde dieses der todten Hand und der Lati¬
fundienwirthschaft verfallene Eigenthum für immer dem wirthschaftlichen Ver¬
kehr und der bürgerlichen Gesellschaft entzogen; solches verübe "der Jude"
nicht. Auch hier stand der östreichisch gesinnte Graf gegen, die liberale anti¬
östreichische Partei für die Juden, d. h. für deren Bürgerrecht und Glaubens¬
freiheit.

Grade in dem nassaui.schen Bezirk aber, in welchem der genannte Graf
wohnt und wo sein Einfluß allmächtig ist, weil alle Bauern indirect und die
durch seine Guts- und Kammerverwaltung aus Bauern in Pächter verwandelten
Hintersassen direct von ihm abhängig sind, grade dort entbrannte auch infolge
der klerikalen Agitation eine Judenhetze. Die Sache kam in der Kammer zur
Sprache. Der Graf Walderdvrff war leider abwesend. Die liberale Partei
wollte einen Abwesenden nicht angreifen. Der Präsident der zweiten Kammer
beschränkte sich aus die Bemerkung, er bedauere die Abwesenheit des Herrn
Grasen, derselbe würde, wenn anwesend, es vielleicht haben erläutern können,


Dem Kaufmanne, der nicht mit Waaren, sondern mit Geld und Credit handelt,
kann daher Oestreich nicht gleichgiltig sein. Der Gläubiger kümmert sich um
einen soliden bombenfesten Schuldner wenig oder gar nicht. Den unsichere
Schuldner aber, an welchem doch immer noch etwas zu verdienen ist, behandelt
er mit der größten Sorgfalt, wie die Eltern unter ihren Kindern das schwache
vorziehen, nicht obgleich, sondern weil es kränklich ist, und weil sie doch wenig¬
stens in Zukunft noch Erfreuliches von ihm zu erleben hoffen. Wer diesen
Causalnexus durchschaut, wird manches entschuldigen.

Aber verhehlen kann ich es doch nicht, es ist ein widerwärtiger und selt¬
samer Anblick, dieselben schwärmen zu sehen für die biederen Czechen in dem-
selben Augenblicke, wo die letzteren die Juden in Böhmen, das Messer in der
Hand, an der Kehle packen und ihnen hier „Stribro" (Silber her!) in die Ohren
schreie». Könnten doch diese biedern „deutschen Brüder" aus den böhmischen
Wäldern, wenn sie siegreich in die freie Reichsstadt am Main einrücken, in ihrer
waldursprünglich-sanscülottischer Naivetät den Einfall haben, dort dieselbe Ope¬
ration zu wiederholen, die sie in ihrer Heimath mit bestem Erfolge ausgeführt!
An Anzeichen dazu fehlt es auch im deutschen Reich nicht. Grade in den
preußenfeindlichsten Theilen Bayerns hat man Judenhetzen versucht. In Nassau
hat noch kürzlich der Graf von Walderdvrff, der Hvchtorv der ersten Kammer,
in der letzteren eine heftige Philippika gegen die „abscheulichen Juden, welche
die Bauern ruinirten" losgelassen. Es wurde nur von liberaler Seile er¬
wiedert, es gäbe Christen, die schlimmer seien; wenn ein Jude etwas verdiene,
so gebe er es doch alsbald wieder in Circulation und lasse es für die bürger¬
liche Gesellschaft arbeiten; wenn aber ein edler Gras die Bauern schlachte und
zu Pächtern oder Leibeigenen mache und deren freies Gut seinem gräflichen
Fideicommiß einverleibe, dann werde dieses der todten Hand und der Lati¬
fundienwirthschaft verfallene Eigenthum für immer dem wirthschaftlichen Ver¬
kehr und der bürgerlichen Gesellschaft entzogen; solches verübe „der Jude"
nicht. Auch hier stand der östreichisch gesinnte Graf gegen, die liberale anti¬
östreichische Partei für die Juden, d. h. für deren Bürgerrecht und Glaubens¬
freiheit.

Grade in dem nassaui.schen Bezirk aber, in welchem der genannte Graf
wohnt und wo sein Einfluß allmächtig ist, weil alle Bauern indirect und die
durch seine Guts- und Kammerverwaltung aus Bauern in Pächter verwandelten
Hintersassen direct von ihm abhängig sind, grade dort entbrannte auch infolge
der klerikalen Agitation eine Judenhetze. Die Sache kam in der Kammer zur
Sprache. Der Graf Walderdvrff war leider abwesend. Die liberale Partei
wollte einen Abwesenden nicht angreifen. Der Präsident der zweiten Kammer
beschränkte sich aus die Bemerkung, er bedauere die Abwesenheit des Herrn
Grasen, derselbe würde, wenn anwesend, es vielleicht haben erläutern können,


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[0041] Dem Kaufmanne, der nicht mit Waaren, sondern mit Geld und Credit handelt, kann daher Oestreich nicht gleichgiltig sein. Der Gläubiger kümmert sich um einen soliden bombenfesten Schuldner wenig oder gar nicht. Den unsichere Schuldner aber, an welchem doch immer noch etwas zu verdienen ist, behandelt er mit der größten Sorgfalt, wie die Eltern unter ihren Kindern das schwache vorziehen, nicht obgleich, sondern weil es kränklich ist, und weil sie doch wenig¬ stens in Zukunft noch Erfreuliches von ihm zu erleben hoffen. Wer diesen Causalnexus durchschaut, wird manches entschuldigen. Aber verhehlen kann ich es doch nicht, es ist ein widerwärtiger und selt¬ samer Anblick, dieselben schwärmen zu sehen für die biederen Czechen in dem- selben Augenblicke, wo die letzteren die Juden in Böhmen, das Messer in der Hand, an der Kehle packen und ihnen hier „Stribro" (Silber her!) in die Ohren schreie». Könnten doch diese biedern „deutschen Brüder" aus den böhmischen Wäldern, wenn sie siegreich in die freie Reichsstadt am Main einrücken, in ihrer waldursprünglich-sanscülottischer Naivetät den Einfall haben, dort dieselbe Ope¬ ration zu wiederholen, die sie in ihrer Heimath mit bestem Erfolge ausgeführt! An Anzeichen dazu fehlt es auch im deutschen Reich nicht. Grade in den preußenfeindlichsten Theilen Bayerns hat man Judenhetzen versucht. In Nassau hat noch kürzlich der Graf von Walderdvrff, der Hvchtorv der ersten Kammer, in der letzteren eine heftige Philippika gegen die „abscheulichen Juden, welche die Bauern ruinirten" losgelassen. Es wurde nur von liberaler Seile er¬ wiedert, es gäbe Christen, die schlimmer seien; wenn ein Jude etwas verdiene, so gebe er es doch alsbald wieder in Circulation und lasse es für die bürger¬ liche Gesellschaft arbeiten; wenn aber ein edler Gras die Bauern schlachte und zu Pächtern oder Leibeigenen mache und deren freies Gut seinem gräflichen Fideicommiß einverleibe, dann werde dieses der todten Hand und der Lati¬ fundienwirthschaft verfallene Eigenthum für immer dem wirthschaftlichen Ver¬ kehr und der bürgerlichen Gesellschaft entzogen; solches verübe „der Jude" nicht. Auch hier stand der östreichisch gesinnte Graf gegen, die liberale anti¬ östreichische Partei für die Juden, d. h. für deren Bürgerrecht und Glaubens¬ freiheit. Grade in dem nassaui.schen Bezirk aber, in welchem der genannte Graf wohnt und wo sein Einfluß allmächtig ist, weil alle Bauern indirect und die durch seine Guts- und Kammerverwaltung aus Bauern in Pächter verwandelten Hintersassen direct von ihm abhängig sind, grade dort entbrannte auch infolge der klerikalen Agitation eine Judenhetze. Die Sache kam in der Kammer zur Sprache. Der Graf Walderdvrff war leider abwesend. Die liberale Partei wollte einen Abwesenden nicht angreifen. Der Präsident der zweiten Kammer beschränkte sich aus die Bemerkung, er bedauere die Abwesenheit des Herrn Grasen, derselbe würde, wenn anwesend, es vielleicht haben erläutern können,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/41>, abgerufen am 30.06.2024.