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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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andern Sinne eine absolut ungraziöse, so doch eine hartknochige Natur, in voller
Uebereinstimmung mit sich selbst; wen er schädigte, dem milderte eine gewisse
Komik, die allen solchen Charakterköpfen eigen ist. den Zorn. So geschah es,
daß die Fußspuren seines fürstlichen Daseins mit sonst unertlcnlich mäßigem
Aufwande von sittlicher Entrüstung hinweggeräumt wurden. Freilich sein Ver¬
dienst war es nicht; aber sein Volk war zu gut, um ihm zu fluchen.

Vor der nachhaltigen, unbelehrbarer Selbstwilligkeit, die sich hinter der
sogenannten Treue derjenigen Hannoveraner verbirgt, welche Witz unb Willens-
kraft in sinnloser Opposition gegen die neuen Zustände vergeuden, hat die
Hessen ihre gerade Art trotz der politischen Hungerkur der Jüngstvcrgangcnheit
behütet. Immerhin verlangt auch menschliche Schwäche ihre Gerechtigkeit; in
Hannover insbesondre haben wir es mit der xar exeöllmieö deutschen Schwäche
zu thun, sich Gegenstände der Anbetung und Hingabe zu schaffen, wo keine
sind. Lebten wir im Zeitalter Fichtes, man würde sagen können, König Georg
von Hannover sei nur die fleischgewordene Selbstsetzung seines Volkes gewesen.
So sehr auch ihre Anerkennung gegen die Natur geht, seine Popularität hat
einerseits, wenn schon in dünnem Aufgusse, dennoch Verwandtschaft mit dem
starren Idealismus Hagens von Tronege; nur fehlt leider seinen nordischen
Nachfahren die ästhetische und zugleich sittliche Weihe des Heroismus.

Ohne Frage hat den blinden Monarchen am meisten unter seinen Schick¬
salsgenossen die harrende Kraft des Formalismus fürstlicher Hoheit getragen
und geschützt. Die christlich-germanische Weihe, die Sucht, alles Große und
Kleine,, was ihn betraf, providentiell zu nehmen, der Pomp und die Munificenz,
mit welcher er auszutreten liebte, die zur Schau getragene Leugnung seines orga¬
nischen^ Gebrechens, dazu die völlig mittelalterliche Auffassung seiner Würde,
die ihn jeden Tag fähig gemacht hätte, im Verdruß über oppositionelle Ten¬
denzen Heinrich den Löwen zu copiren, der Badewiek der Erde gleich machte,
weil es ihm die Thore verschloß, endlich die methodelosen Evolutionen seiner
inneren und äußeren Politik, die. angethan mit dem Zauber des vollkommenen
Widerspruches, so geheimnißvoll wirkten, daß noch heute im Lande unter Weisen
und Thoren die Sage geht von König Georgs staunenswürdiger Konsequenz:
-- alle diese Züge haben sich als ebenso viele heldische Symptome erwiesen,
aber, ihre Wirkung auf die Gemüther ist doch überraschend gewesen. Jeder
Epilog aber hat, ausgesprochen oder stillschweigend, zugleich apologetische Ab-
sicht, und so mag zur Ehre der Anhänger der Welscndynastie hier das Zuge-
ständniß nicht unterdrückt werden, daß weiland König Georg an seinen Beruf
wirklich geglaubt habe, sein Land zur patriarchalischen Glückseligkeit zurückzu-
dirigiren. Er war ein lebendiger Anachronismus, dies Prädicat erschöpft sein
ganzes Wesen, aber ein gewisser Stil läßt sich demselben nicht absprechen.

Ein äußerlicher Umstand, der schon in den Tagen seines Glückes peinlichen


andern Sinne eine absolut ungraziöse, so doch eine hartknochige Natur, in voller
Uebereinstimmung mit sich selbst; wen er schädigte, dem milderte eine gewisse
Komik, die allen solchen Charakterköpfen eigen ist. den Zorn. So geschah es,
daß die Fußspuren seines fürstlichen Daseins mit sonst unertlcnlich mäßigem
Aufwande von sittlicher Entrüstung hinweggeräumt wurden. Freilich sein Ver¬
dienst war es nicht; aber sein Volk war zu gut, um ihm zu fluchen.

Vor der nachhaltigen, unbelehrbarer Selbstwilligkeit, die sich hinter der
sogenannten Treue derjenigen Hannoveraner verbirgt, welche Witz unb Willens-
kraft in sinnloser Opposition gegen die neuen Zustände vergeuden, hat die
Hessen ihre gerade Art trotz der politischen Hungerkur der Jüngstvcrgangcnheit
behütet. Immerhin verlangt auch menschliche Schwäche ihre Gerechtigkeit; in
Hannover insbesondre haben wir es mit der xar exeöllmieö deutschen Schwäche
zu thun, sich Gegenstände der Anbetung und Hingabe zu schaffen, wo keine
sind. Lebten wir im Zeitalter Fichtes, man würde sagen können, König Georg
von Hannover sei nur die fleischgewordene Selbstsetzung seines Volkes gewesen.
So sehr auch ihre Anerkennung gegen die Natur geht, seine Popularität hat
einerseits, wenn schon in dünnem Aufgusse, dennoch Verwandtschaft mit dem
starren Idealismus Hagens von Tronege; nur fehlt leider seinen nordischen
Nachfahren die ästhetische und zugleich sittliche Weihe des Heroismus.

Ohne Frage hat den blinden Monarchen am meisten unter seinen Schick¬
salsgenossen die harrende Kraft des Formalismus fürstlicher Hoheit getragen
und geschützt. Die christlich-germanische Weihe, die Sucht, alles Große und
Kleine,, was ihn betraf, providentiell zu nehmen, der Pomp und die Munificenz,
mit welcher er auszutreten liebte, die zur Schau getragene Leugnung seines orga¬
nischen^ Gebrechens, dazu die völlig mittelalterliche Auffassung seiner Würde,
die ihn jeden Tag fähig gemacht hätte, im Verdruß über oppositionelle Ten¬
denzen Heinrich den Löwen zu copiren, der Badewiek der Erde gleich machte,
weil es ihm die Thore verschloß, endlich die methodelosen Evolutionen seiner
inneren und äußeren Politik, die. angethan mit dem Zauber des vollkommenen
Widerspruches, so geheimnißvoll wirkten, daß noch heute im Lande unter Weisen
und Thoren die Sage geht von König Georgs staunenswürdiger Konsequenz:
— alle diese Züge haben sich als ebenso viele heldische Symptome erwiesen,
aber, ihre Wirkung auf die Gemüther ist doch überraschend gewesen. Jeder
Epilog aber hat, ausgesprochen oder stillschweigend, zugleich apologetische Ab-
sicht, und so mag zur Ehre der Anhänger der Welscndynastie hier das Zuge-
ständniß nicht unterdrückt werden, daß weiland König Georg an seinen Beruf
wirklich geglaubt habe, sein Land zur patriarchalischen Glückseligkeit zurückzu-
dirigiren. Er war ein lebendiger Anachronismus, dies Prädicat erschöpft sein
ganzes Wesen, aber ein gewisser Stil läßt sich demselben nicht absprechen.

Ein äußerlicher Umstand, der schon in den Tagen seines Glückes peinlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/411>, abgerufen am 02.07.2024.