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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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versichern die genannten Herrn, daß diese Erzählung nicht wahr sei.) Diese
und andere Anekdoten Holbachs vermochten indeß den schwülen Horizont nicht
aufzuheitern; und als er endlich, nachdem die Audienz -- oder in Anbetracht
der Pausen, aus denen sie wesentlich bestand-- die Abschiedsschau drei Stunden
gedauert hatte, dem Herzog zum Schlüsse die Versicherung gab, das ganze Land
sei ihm jetzt immer noch mit der größten Treue und Anhänglichkeit zugethan,
schüttelte der hohe Herr das Haupt und sprach: "Wenn dem so wäre, dann
saß' ich nicht hier!" So wird uns glaubhaft berichtet.

Jene Offiziere aber fuhren hierauf zurück und dinirten zusammen in Frank¬
furt. Worauf sie angestoßen haben, weiß ich nicht. Aber wenn ihr das Gläser-
geklirr einer Wiederherstellung des Alten gegolten hat, aufrichtige Hoffnung oder
gar Zuversicht darauf haben sie schwerlich gehegt. Denn wäre auch die Stern,
kunst wirklich Lüge, die Restauration des Herzogthums Nassau gehört ohne
Zweifel zu den letzten Möglichkeiten. Beim Umsturz dieses Monumentes deut-
scher Kleinfürstlichkeit ist kein Stück Piedestal stehen geblieben, worauf der Torso
neu errichtet werden könnte. Vielmehr, der Sockel war grade das Erste, was
fiel; der Boden glitt dem alten Regime unter den Füßen hinweg. Auch nicht
einmal die elementare Grundlage, die sonst allenthalben die Reste des klein-
staatlichen Wesens noch trägt, jene loyale Treue g. tont prix, die anderwärts
in allen Schichten der Bevölkerung ihre Wurzeln nährt, hat die walramsche
Linie des nassauer Hauses zu erwerben vermocht.

Für den Volkspsychologen ist es lehrreich, die populären Empfindungen
und Urtheile sowie das obligate unartikulirte Geräusch, das den Throncassirungen
dieses großen Sommers gefolgt ist, und seine Objecte zu vergleichen. In Kur¬
hessen trat ein Fürst von der Schaubühne ab, der, wie schon oben besprochen
wurde, auch dem gutherzigsten Volksstamm keine Liebe abgewinnen konnte. Er
fragte nicht darnach; als Karikatur eines Despoten fürchtete oder ignorirte er
auch die loyalsten Regungen politischen Lebens; scheelsüchtiger Egoismus einer
kleinen Seele war ihm einziger Gesichtspunkt bei fürstlichen Entscheidungen, die
das Höchste wie den Plunder den gleichen im niedrigen Sinne persönlichen
Empfindungen unterwarf. Aber es ist zweifelhaft, ob er nicht die dunkle Vor¬
stellung gehabt hat, daß er in diesem System der bloßen Unterlassungen --
wenn anders ihm System überhaupt angesonnen werden kann -- seiner Pflicht
folge. Pflicht ist ein formaler Begriff; er wäre nicht das erste CuriosuM in
der Geschichte der Fürsten, welche das "Nein" zum Staatsgrundgesetz erhoben
hat. Seine Antipathie gegen Preußen wird ihm niemand verargen; konnte
doch er, der auf einer der Klammern saß, welche die Theile des norddeutschen
Staates geographisch binden, den Zeitpunkt nach Minuten voraussehn, der ihn
eliminiren mußte; und es hat noch kaum ein Sterblicher seinem leibhaftigen
Fatum mit Grazie den Platz geräumt. Indeß er war, weder auch in jedem


versichern die genannten Herrn, daß diese Erzählung nicht wahr sei.) Diese
und andere Anekdoten Holbachs vermochten indeß den schwülen Horizont nicht
aufzuheitern; und als er endlich, nachdem die Audienz — oder in Anbetracht
der Pausen, aus denen sie wesentlich bestand— die Abschiedsschau drei Stunden
gedauert hatte, dem Herzog zum Schlüsse die Versicherung gab, das ganze Land
sei ihm jetzt immer noch mit der größten Treue und Anhänglichkeit zugethan,
schüttelte der hohe Herr das Haupt und sprach: „Wenn dem so wäre, dann
saß' ich nicht hier!" So wird uns glaubhaft berichtet.

Jene Offiziere aber fuhren hierauf zurück und dinirten zusammen in Frank¬
furt. Worauf sie angestoßen haben, weiß ich nicht. Aber wenn ihr das Gläser-
geklirr einer Wiederherstellung des Alten gegolten hat, aufrichtige Hoffnung oder
gar Zuversicht darauf haben sie schwerlich gehegt. Denn wäre auch die Stern,
kunst wirklich Lüge, die Restauration des Herzogthums Nassau gehört ohne
Zweifel zu den letzten Möglichkeiten. Beim Umsturz dieses Monumentes deut-
scher Kleinfürstlichkeit ist kein Stück Piedestal stehen geblieben, worauf der Torso
neu errichtet werden könnte. Vielmehr, der Sockel war grade das Erste, was
fiel; der Boden glitt dem alten Regime unter den Füßen hinweg. Auch nicht
einmal die elementare Grundlage, die sonst allenthalben die Reste des klein-
staatlichen Wesens noch trägt, jene loyale Treue g. tont prix, die anderwärts
in allen Schichten der Bevölkerung ihre Wurzeln nährt, hat die walramsche
Linie des nassauer Hauses zu erwerben vermocht.

Für den Volkspsychologen ist es lehrreich, die populären Empfindungen
und Urtheile sowie das obligate unartikulirte Geräusch, das den Throncassirungen
dieses großen Sommers gefolgt ist, und seine Objecte zu vergleichen. In Kur¬
hessen trat ein Fürst von der Schaubühne ab, der, wie schon oben besprochen
wurde, auch dem gutherzigsten Volksstamm keine Liebe abgewinnen konnte. Er
fragte nicht darnach; als Karikatur eines Despoten fürchtete oder ignorirte er
auch die loyalsten Regungen politischen Lebens; scheelsüchtiger Egoismus einer
kleinen Seele war ihm einziger Gesichtspunkt bei fürstlichen Entscheidungen, die
das Höchste wie den Plunder den gleichen im niedrigen Sinne persönlichen
Empfindungen unterwarf. Aber es ist zweifelhaft, ob er nicht die dunkle Vor¬
stellung gehabt hat, daß er in diesem System der bloßen Unterlassungen —
wenn anders ihm System überhaupt angesonnen werden kann — seiner Pflicht
folge. Pflicht ist ein formaler Begriff; er wäre nicht das erste CuriosuM in
der Geschichte der Fürsten, welche das „Nein" zum Staatsgrundgesetz erhoben
hat. Seine Antipathie gegen Preußen wird ihm niemand verargen; konnte
doch er, der auf einer der Klammern saß, welche die Theile des norddeutschen
Staates geographisch binden, den Zeitpunkt nach Minuten voraussehn, der ihn
eliminiren mußte; und es hat noch kaum ein Sterblicher seinem leibhaftigen
Fatum mit Grazie den Platz geräumt. Indeß er war, weder auch in jedem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/410>, abgerufen am 04.07.2024.