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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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Montalembert auf der Petersau, einer zur Bundesfestung gehörigen Rheininsel,
aus zusah, wie die Bayern Bibrich beschossen, fuhren mit dem Frühzug gen
Frankfurt und dann gen Rumpenheim. Man sagt, der Herzog werde ihnen
aus Privatmitteln zu ihrer preußischen Pension so viel zulegen, daß sie dem
bisherigen nassauischen Activgehalt gleichkommt, bis zu ihres Lebens Ende.

Als sie in den engen Raum eintraten, den jetzt der hohe Herr bewohnt,
war der letztere so ergriffen, daß er nur die Worte sprechen konnte: "Das sind
noch die einzigen Treuen!" Dann lehnte er sich, den Kopf tief aus die Brust
herabgesenkt, mit dem Rücken an einen Consoltisch. und die Thränen rannen
ihm in den seit der letzten Campagne ergrauten Bart. Auch ein Theil der
Offiziere konnte sich des Weinens nicht enthalten. Und es gab so eine lange
bange Stille, die nur durch das Schluchzen eines oder des andern unterbrochen
wurde. Da der Herzog nach Verlauf einer halben Stunde immer noch in
seiner stummen Niedergeschlagenheit verharrte, und die Etikette den Offizieren
verbot, die Initiative des Gesprächs zu ergreifen, entstand nach und nach eine
gewisse Verlegenheit, welche der General v. Holbach mit seiner ihm in solchen
Fällen eigenthümlichen Geistesgegenwart dadurch beseitigte, daß er dem Herzog
sagte, die Offiziere seien gekommen, um auch Ihrer Hoheit der Frau Herzogin
und den durchlauchtigsten Herrn Prinzen ihre allerunterthänigste Aufwartung zu
machen. Infolge dessen rief der Herzog selbst seine hohe Gemahlin und die
beiden Söhne aus dem Nebenzimmer herein. Dann verfiel er wieder in sein
finsteres Schweigen. Die Frau Herzogin führte von nun an allein die Con-
versation mit den dreizehn Getreuen. Sie stellte ihnen die Prinzen vor und
sprach: "Betrachtet euch noch einmal euere beiden jungen Herrn und bewahrt
denselben euere Treue bis zu besseren Zeiten." Dann ergoß sie sich in leb¬
haften Vorwürfen gegen diejenigen vormals nassauischen Offiziere, welche der
angestammten Dynastie die Treue gebrochen und preußische Dienste genommen
hätten. Diesen Vorwürfen stimmten auch diejenigen unter den Offizieren bei,
deren eigene Verwandte sich in dem von der Herzogin getadelten Falle befanden.
General v. Holbach aber, dessen Söhne auch preußische Dienste genommen,
suchte mit gewohntem Geschick die Unterhaltung von diesem, ein wenig epinösen
Thema abzulenken, indem er zu erzählen begann, was jetzt die bösen Fortschritts¬
leute in Wiesbaden für ein grauenhaftes Regiment führten; er, General v. Hol¬
bach, sei dieser Tage einmal zu dem königlichen Civilcommissar vorbeschicden
gewesen und erst nach langem Warten im Vorzimmer vorgelassen worden;
während er mit demselben im Gespräch begriffen gewesen, habe es plötzlich sehr
kräftig an der Thüre geklopft und ohne das Hereinrufen abzuwarten, sei Dr. B.
hereingestürzt mit den Worten: "Ich muß heute noch nach Berlin und kann
deshalb die Sache nicht fertig machen", worauf der königliche Civilcommissar
erwidert habe: Nun gut, dann mag sie Herr Dr. L. machen. (Beiläufig bemerkt


Montalembert auf der Petersau, einer zur Bundesfestung gehörigen Rheininsel,
aus zusah, wie die Bayern Bibrich beschossen, fuhren mit dem Frühzug gen
Frankfurt und dann gen Rumpenheim. Man sagt, der Herzog werde ihnen
aus Privatmitteln zu ihrer preußischen Pension so viel zulegen, daß sie dem
bisherigen nassauischen Activgehalt gleichkommt, bis zu ihres Lebens Ende.

Als sie in den engen Raum eintraten, den jetzt der hohe Herr bewohnt,
war der letztere so ergriffen, daß er nur die Worte sprechen konnte: „Das sind
noch die einzigen Treuen!" Dann lehnte er sich, den Kopf tief aus die Brust
herabgesenkt, mit dem Rücken an einen Consoltisch. und die Thränen rannen
ihm in den seit der letzten Campagne ergrauten Bart. Auch ein Theil der
Offiziere konnte sich des Weinens nicht enthalten. Und es gab so eine lange
bange Stille, die nur durch das Schluchzen eines oder des andern unterbrochen
wurde. Da der Herzog nach Verlauf einer halben Stunde immer noch in
seiner stummen Niedergeschlagenheit verharrte, und die Etikette den Offizieren
verbot, die Initiative des Gesprächs zu ergreifen, entstand nach und nach eine
gewisse Verlegenheit, welche der General v. Holbach mit seiner ihm in solchen
Fällen eigenthümlichen Geistesgegenwart dadurch beseitigte, daß er dem Herzog
sagte, die Offiziere seien gekommen, um auch Ihrer Hoheit der Frau Herzogin
und den durchlauchtigsten Herrn Prinzen ihre allerunterthänigste Aufwartung zu
machen. Infolge dessen rief der Herzog selbst seine hohe Gemahlin und die
beiden Söhne aus dem Nebenzimmer herein. Dann verfiel er wieder in sein
finsteres Schweigen. Die Frau Herzogin führte von nun an allein die Con-
versation mit den dreizehn Getreuen. Sie stellte ihnen die Prinzen vor und
sprach: „Betrachtet euch noch einmal euere beiden jungen Herrn und bewahrt
denselben euere Treue bis zu besseren Zeiten." Dann ergoß sie sich in leb¬
haften Vorwürfen gegen diejenigen vormals nassauischen Offiziere, welche der
angestammten Dynastie die Treue gebrochen und preußische Dienste genommen
hätten. Diesen Vorwürfen stimmten auch diejenigen unter den Offizieren bei,
deren eigene Verwandte sich in dem von der Herzogin getadelten Falle befanden.
General v. Holbach aber, dessen Söhne auch preußische Dienste genommen,
suchte mit gewohntem Geschick die Unterhaltung von diesem, ein wenig epinösen
Thema abzulenken, indem er zu erzählen begann, was jetzt die bösen Fortschritts¬
leute in Wiesbaden für ein grauenhaftes Regiment führten; er, General v. Hol¬
bach, sei dieser Tage einmal zu dem königlichen Civilcommissar vorbeschicden
gewesen und erst nach langem Warten im Vorzimmer vorgelassen worden;
während er mit demselben im Gespräch begriffen gewesen, habe es plötzlich sehr
kräftig an der Thüre geklopft und ohne das Hereinrufen abzuwarten, sei Dr. B.
hereingestürzt mit den Worten: „Ich muß heute noch nach Berlin und kann
deshalb die Sache nicht fertig machen", worauf der königliche Civilcommissar
erwidert habe: Nun gut, dann mag sie Herr Dr. L. machen. (Beiläufig bemerkt


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[0409] Montalembert auf der Petersau, einer zur Bundesfestung gehörigen Rheininsel, aus zusah, wie die Bayern Bibrich beschossen, fuhren mit dem Frühzug gen Frankfurt und dann gen Rumpenheim. Man sagt, der Herzog werde ihnen aus Privatmitteln zu ihrer preußischen Pension so viel zulegen, daß sie dem bisherigen nassauischen Activgehalt gleichkommt, bis zu ihres Lebens Ende. Als sie in den engen Raum eintraten, den jetzt der hohe Herr bewohnt, war der letztere so ergriffen, daß er nur die Worte sprechen konnte: „Das sind noch die einzigen Treuen!" Dann lehnte er sich, den Kopf tief aus die Brust herabgesenkt, mit dem Rücken an einen Consoltisch. und die Thränen rannen ihm in den seit der letzten Campagne ergrauten Bart. Auch ein Theil der Offiziere konnte sich des Weinens nicht enthalten. Und es gab so eine lange bange Stille, die nur durch das Schluchzen eines oder des andern unterbrochen wurde. Da der Herzog nach Verlauf einer halben Stunde immer noch in seiner stummen Niedergeschlagenheit verharrte, und die Etikette den Offizieren verbot, die Initiative des Gesprächs zu ergreifen, entstand nach und nach eine gewisse Verlegenheit, welche der General v. Holbach mit seiner ihm in solchen Fällen eigenthümlichen Geistesgegenwart dadurch beseitigte, daß er dem Herzog sagte, die Offiziere seien gekommen, um auch Ihrer Hoheit der Frau Herzogin und den durchlauchtigsten Herrn Prinzen ihre allerunterthänigste Aufwartung zu machen. Infolge dessen rief der Herzog selbst seine hohe Gemahlin und die beiden Söhne aus dem Nebenzimmer herein. Dann verfiel er wieder in sein finsteres Schweigen. Die Frau Herzogin führte von nun an allein die Con- versation mit den dreizehn Getreuen. Sie stellte ihnen die Prinzen vor und sprach: „Betrachtet euch noch einmal euere beiden jungen Herrn und bewahrt denselben euere Treue bis zu besseren Zeiten." Dann ergoß sie sich in leb¬ haften Vorwürfen gegen diejenigen vormals nassauischen Offiziere, welche der angestammten Dynastie die Treue gebrochen und preußische Dienste genommen hätten. Diesen Vorwürfen stimmten auch diejenigen unter den Offizieren bei, deren eigene Verwandte sich in dem von der Herzogin getadelten Falle befanden. General v. Holbach aber, dessen Söhne auch preußische Dienste genommen, suchte mit gewohntem Geschick die Unterhaltung von diesem, ein wenig epinösen Thema abzulenken, indem er zu erzählen begann, was jetzt die bösen Fortschritts¬ leute in Wiesbaden für ein grauenhaftes Regiment führten; er, General v. Hol¬ bach, sei dieser Tage einmal zu dem königlichen Civilcommissar vorbeschicden gewesen und erst nach langem Warten im Vorzimmer vorgelassen worden; während er mit demselben im Gespräch begriffen gewesen, habe es plötzlich sehr kräftig an der Thüre geklopft und ohne das Hereinrufen abzuwarten, sei Dr. B. hereingestürzt mit den Worten: „Ich muß heute noch nach Berlin und kann deshalb die Sache nicht fertig machen", worauf der königliche Civilcommissar erwidert habe: Nun gut, dann mag sie Herr Dr. L. machen. (Beiläufig bemerkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/409>, abgerufen am 04.07.2024.