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Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band.

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"die Janitscharen des heiligen Stuhls", das Feld behalten, und das Papstthum
mit dem Abzug der Franzosen sein Bündel schnüre.

Allein was würde der Papst durch die freiwillige Entfernung gewinnen?
Man sieht schwer den Zweck eines so abenteuerlichen Entschlusses ein. Das
Schlimmste, was dem Papstthum Passiren könnte, wäre doch dies, wenn es in
Malta oder in Majorca allmälig in Vergessenheit geriethe, und Italien und
Europa daraus die Moral zögen, daß sich auch ohne dieses Institut existiren
lasse. Keine Hand würde sich regen, um den irrenden Greis zurückzuführen;
selbst die Aureole des Martyrthums bliebe ihm versagt, wenn er freiwillig,
ohne provocirt zu sein, einen Posten aufgäbe, den ihm zu sichern Italien alle
möglichen Bürgschaften bietet. Und wenn er ginge, was wäre dies anders als
das verzweifelte Eingeständnis), daß ohne fremdländische Hilfe sein irdisches
Königthum rettungslos verloren ist, und was bliebe der italienischen Regierung
übrig, als den herrenlos gewordenen Staat wirklich in ihre Verwaltung zu
nehmen? Wer könnte mit Sicherheit voraussehen, ob und wann eine Restau¬
ration möglich wäre? Die Römer könnten nicht mehr gehindert werden, die
Annexion zu proclamiren, und Italien würde im Grunde aller Verbindlichkeiten,
die ihm aus dem Septembcrvcrtrag entspringen, ledig sein; denn es ist doch
nur verpflichtet, ein Regiment zu beschützen, welches besteht, nicht ein solches,
das freiwillig sich entfernt hat. Solche Erwägungen bleiben sicher wenigstens
einem Theil des Cardinalcollegiums nicht fremd. Es handelt sich nicht blos
um die Würde des Papstthums, die sich immerhin in ihr unfruchtbares non
possullms hüllen möchte: es handelt sich zugleich um Interesse und Existenz
der Cardinäle, und dieser Gesichtspunkt dürfte schließlich gleichfalls ins Gewicht
fallen.

Nun ist nicht zu bezweifeln, daß auch im Fall der Abreise des Papstes
die italienische Regierung so viel an ihr liegt mit äußerster Mäßigung zu Werke
gehen würde. Sie würde etwa provisorisch das Protektorat über die verwaisten
Provinzen übernehmen, aber es dem Papste freistellen, dahin zurückzukehren. Sie
würde durch Aufrechthaltung der Ordnung ihm zeigen, daß seine Rückkehr mit
keiner Gefahr für seine Person verbunden wäre. Sie würde nichts von seinen
geistlichen Rechten antasten, vielmehr durch gewissenhafte Erfüllung ihrer Ver¬
bindlichkeiten ihm den handgreiflichen Beweis liefern, daß er seine geistliche Ge¬
walt ausüben könne, ohne im Besitz eines weltlichen Reichs zu sein. Insofern
könnte grade die Entfernung des Papstes eine heilsame Aenderung des Sinns,
der die Encvkiiken inspirirte, bewirken, der Papst könnte, besser informire über
die Absichten des florentiner Cabinets, die Rückreise antreten, oder sein Nach¬
folger unter bescheideneren Verhältnissen daselbst wieder seinen Sitz aufschlagen.
Allein es ist nicht zu verkennen, daß die Versöhnlichkeit der italienischen Ne¬
gierung schließlich doch ihre Grenzen hat. Wollte sie selbst ihre Würde vergessen,


„die Janitscharen des heiligen Stuhls", das Feld behalten, und das Papstthum
mit dem Abzug der Franzosen sein Bündel schnüre.

Allein was würde der Papst durch die freiwillige Entfernung gewinnen?
Man sieht schwer den Zweck eines so abenteuerlichen Entschlusses ein. Das
Schlimmste, was dem Papstthum Passiren könnte, wäre doch dies, wenn es in
Malta oder in Majorca allmälig in Vergessenheit geriethe, und Italien und
Europa daraus die Moral zögen, daß sich auch ohne dieses Institut existiren
lasse. Keine Hand würde sich regen, um den irrenden Greis zurückzuführen;
selbst die Aureole des Martyrthums bliebe ihm versagt, wenn er freiwillig,
ohne provocirt zu sein, einen Posten aufgäbe, den ihm zu sichern Italien alle
möglichen Bürgschaften bietet. Und wenn er ginge, was wäre dies anders als
das verzweifelte Eingeständnis), daß ohne fremdländische Hilfe sein irdisches
Königthum rettungslos verloren ist, und was bliebe der italienischen Regierung
übrig, als den herrenlos gewordenen Staat wirklich in ihre Verwaltung zu
nehmen? Wer könnte mit Sicherheit voraussehen, ob und wann eine Restau¬
ration möglich wäre? Die Römer könnten nicht mehr gehindert werden, die
Annexion zu proclamiren, und Italien würde im Grunde aller Verbindlichkeiten,
die ihm aus dem Septembcrvcrtrag entspringen, ledig sein; denn es ist doch
nur verpflichtet, ein Regiment zu beschützen, welches besteht, nicht ein solches,
das freiwillig sich entfernt hat. Solche Erwägungen bleiben sicher wenigstens
einem Theil des Cardinalcollegiums nicht fremd. Es handelt sich nicht blos
um die Würde des Papstthums, die sich immerhin in ihr unfruchtbares non
possullms hüllen möchte: es handelt sich zugleich um Interesse und Existenz
der Cardinäle, und dieser Gesichtspunkt dürfte schließlich gleichfalls ins Gewicht
fallen.

Nun ist nicht zu bezweifeln, daß auch im Fall der Abreise des Papstes
die italienische Regierung so viel an ihr liegt mit äußerster Mäßigung zu Werke
gehen würde. Sie würde etwa provisorisch das Protektorat über die verwaisten
Provinzen übernehmen, aber es dem Papste freistellen, dahin zurückzukehren. Sie
würde durch Aufrechthaltung der Ordnung ihm zeigen, daß seine Rückkehr mit
keiner Gefahr für seine Person verbunden wäre. Sie würde nichts von seinen
geistlichen Rechten antasten, vielmehr durch gewissenhafte Erfüllung ihrer Ver¬
bindlichkeiten ihm den handgreiflichen Beweis liefern, daß er seine geistliche Ge¬
walt ausüben könne, ohne im Besitz eines weltlichen Reichs zu sein. Insofern
könnte grade die Entfernung des Papstes eine heilsame Aenderung des Sinns,
der die Encvkiiken inspirirte, bewirken, der Papst könnte, besser informire über
die Absichten des florentiner Cabinets, die Rückreise antreten, oder sein Nach¬
folger unter bescheideneren Verhältnissen daselbst wieder seinen Sitz aufschlagen.
Allein es ist nicht zu verkennen, daß die Versöhnlichkeit der italienischen Ne¬
gierung schließlich doch ihre Grenzen hat. Wollte sie selbst ihre Würde vergessen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 25, 1866, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341803_286147/395>, abgerufen am 04.07.2024.